Voodoo-Magie
29.10.2005 um 00:30
Das Zittern des Leichnams
In der Umgebung von Port-au-Prince bekam Pío Martinéz zahllose Geschichten zu hören, die nach der Überzeugung der Erzähler die reale Existenz von Wiedergängern belegten. So wurde ihm beispielsweise eine verstörte junge Frau vorgeführt, von der es in tadelndem Tonfall hieß, dass sie und ihre Familie sich "von den Loas entfernt" hätten. Offenbar war es bereits eine Folge dieses Verrats, dass der junge Gemahl wenige Monate nach der Hochzeit auf mysteriöse Weise ums Leben kam: Angeblich war er vom Dach eines Bauernhauses gestürzt. Zwar konnte nie geklärt werden, was er dort oben gesucht hatte; Tatsache war jedoch, dass man ihn eines Morgens am Boden vor dem Gemäuer fand, und zwar mit zerschmettertem Schädel.
Zweifellos begingen die Familien des Toten und der jungen Witwe den zweiten folgenreichen Fehler, als sie den jungen Mann nach katholischem Ritus bestatten ließen - ohne zugleich dafür zu sorgen, dass ein Hungan oder eine Mambo nach voodooistischem Brauch den Gros-bon-ange des Unglücklichen aus dessen Leichnam befreien konnte.
Bereits in der dritten Nacht nach der Bestattung suchte der Tote die Witwe heim. Genauer gesagt: Von einem süßen Traum geblendet, wähnte sie sich in den Armen ihres Gemahls; deutlich spürte sie seine zärtlichen Berührungen, die Lippen, die sich auf ihren Mund pressten... bis ihr auf einmal die Kälte seiner Hände bewusst wurde und der modrige Geruch, der seinem Mund entströmte. Da erwachte sie, hieß es, mit einem Schrei und fand sich weiterhin in den Armen ihres Gatten - "eines hohläugigen Leichnams, der sie mit verwesenden Fingern liebkoste".
Immerhin drei Wiederholungen dieses makabren Erlebnisses stand die junge Witwe durch; dann wandten sie und die Familie des Verstorbenen sich widerstrebend an die örtliche Mambo. Diese empfahl die im Voodooismus übliche Zeremonie, genannt Dessounen, um den Gros-bon-ange des Toten aus der zerfallenden Hülle zu befreien. Noch eine letzte Nacht als Bedenkzeit erbat sich die Witwe; in dieser Nacht muss etwas Grauenvolles vorgefallen sein. Schon am folgenden Tag jedenfalls wurde die Zeremonie des Dessounen auf dem örtlichen Friedhof nachgeholt.
Auf westliche Betrachter wirkt diese Zeremonie selbst dann - gelinde gesagt - bizarr, wenn in ihrem Mittelpunkt eine soeben verstorbene Person steht. Um wieviel makabrer aber mutet das Ritual an, wenn hierfür eine vor Tagen bestattete Leiche eigens wieder aus Grab und Sarg holt. Die Rechtfertigung freilich lautet aus voodooistischer Sicht, dass man hierdurch nicht den Frieden des Betreffenden störe, sondern ihm allererst zur verdienten Grabesruhe verhelfe.
Unter reger Anteilnahme des ganzen Humfò wird das Grab am hellen Tag geöffnet. Auf dem Hügel frisch aufgeschütteter Erde beginnen sogleich einige Hunsis zu tanzen, von denen Gèdè Besitz ergriffen hat. Erdbrocken das Behältnis mit dem Toten mühsam aus der Grube ziehen. Dann ächzen die Nägel, splittern die Bohlen: Auf ein Zeichen der Priesterin öffnen die Gehilfen mit einem Stemmeisen den Sarg.
Der Tote, eingehüllt in ein Leichetuch, liegt starr und kalt in seinem Behältnis. Doch die Mambo lässt sich nicht täuschen. Unter gebannter Anteilnahme der Hunsis befiehlt sie, den Leichnam aus dem Sarg zu heben und ins Gras neben dem offenen Grab zu legen. Dann kniet sie nieder neben dem Toten, der bereits Verwesungszeichen aufweist, lüftet das Leichentuch und kauert sich rittlings über ihn.
Sie schüttelt die Asson, die heilige Rassel; währenddessen nimmt die Besessenheit einiger Hunsis durch Todesgott Gèdè enstatische Züge an.Mit rauher Stimme flüstert die Mambo dem Leichnam Beschwörungen ins Ohr - Beschwörungen, die natürlich nicht dem toten Körper gelten, sondern dem Gros-bon-ange, der durch ein sträfliches Versäumnis der Lebenden im Leichnam eingesperrt ist.
Zum Abschluss ihrer magischen Flüsterrede ruft die Mambo dreimal mit lauter Stimme den Namen des Toten. Da überläuft ein Zittern den Leichnam, er hebt den Kopf oder sogar auch Hals und Schultern, als wollte er der Mambo, seiner Retterin, noch einmal tief in die Augen sehen. Aber dann verlässt ihn jene Energie, die in ihm noch gefangen war: Endlich schlüpfen Loa und Seele aus seinem Mund, der sich wie zu einem lautlosen Schrei weit geöffnet hat. Dann sinkt der Leichnam zurück, nun wirklich von allen Lebensgeistern befreit. Jetzt erst können sich auch die Seele des Verstorbenen und dessen Loa mèt-tèt voneinander lösen, um sich beide in die Welt der Invisibles zu begeben.
Die Mambo erhebt sich; man legt den Leichnam zurück in den Sarg und setzt diesen wieder ins Grab, das die Hunsis unter besessenen Gesängen neuerlich verschließen. In heiterer Stimmung, nun sorgenfrei und zuversichtlich, verlassen die Lebenden den Friedhof und begeben sich zurück in ihre Welt, die mit der Welt der Toten allerdings innig vermischt bleibt.
Wer die ihm anvertrauten Toten durch ein vorschriftsmäßiges Dessounen aus dieser Welt geleitet, heißt es, hat von der Geisterwelt der Toten nichts Übles zu befürchten - im Gegenteil. Denn die Ahnen sind zugleich die Weisen des Voodoo, an die man sich mit jedem lebenspraktischen Problem vertrauensvoll wenden kann.
Diese Überzeugung der Voodooanhänger wird selbstredend auch durch die Geschichte von jener Witwe bestätigt: Nach vollzogenem Dessounen, so erfuhr Martinéz, sei die junge Frau nie wieder vom Wiedergänger ihres verstorbenen Gatten behelligt worden - auch nicht in der Nacht, die auf ihre neuerliche Vermählung folgte
Quelle: Pietro Bandini - Voodoo - von Hexen, Zombies und schwarzer Magie
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