@Doors, Can, Pandorra
Populismus:
Nehmen wir Kritik einmal ganz weg, so bedeutet das nur, dass man mit dem großen Strom schwimmt - meistens hinter anderen her - seltener vorne dran. Das dafür heutzutage gebrauchte Modewort ist Mainstream. Dass man mit der Masse schwimmt, daran ist zunächst nichts. Schließlich muss jedem zugebilligt werden, Mensch zu sein. Menschen sind wir und Menschen müssen wir auch bleiben dürfen. Und in Grönemeyers Song kommt meines Wissens keine Zeile vor wie: "Weil er lernt und weil er denkt".
Trotzdem muss man es hinnehmen, wenn Mainstream-Inhalte von den "Fachidioten" im allgemeinen nicht gerade als sonderlich fundiert eingestuft werden. Jeder wird wohl einsehen, dass sich selbstverständlich Hinz und Kunz gerne z.B. über Autos unterhalten dürfen. Jeder wird genauso einsehen, dass Statements von Mechatronikern, Industriedesignern, Ingenieuren, IT-Fachleuten usw. zu entsprechenden Themen dann aber eeetwas fundierter sein werden. Ausnahmen gibt es selbstverständlich. Passionierte Bastler oder Heimwerker stellen so manchen Experten in die Ecke und lassen ihn dünn aussehen. Deshalb verallgemeinern wir:
Eine fundierte Meinung beruht auf fundiertem Wissen.
Und sich fundiertes Wissen anzueignen kostet viel viel Zeit.
Also: In Foren wie diesem hier wird zu unterschiedlichen Themen eben auch in Kaffeeklatsch-Manier Stellung bezogen. Das muss so sein. Das darf so sein. Und das kann anders gar nicht sein.
Nicht sehr souverän ist es allerdings, wenns bei manchen Schwätzchen NUR ums Rechthaben geht oder darum, dass man sich wechselseitig bestätigt oder bauchpinselt. Auch das ist zwar menschlich-allzu-menschlich und von dieser Warte her betrachtet bestens nachzuvollziehen. Aber in dieser Hinsicht würde ich die (mir ansonsten etwas zu hart erscheinende) Kritik von Can bestätigen:
Wenn etwas aus einer persönlichen Betroffenheit entspringt, dann sollte man es dazu-sagen. Betroffene haben ein Anrecht auf ihre Betroffenheit und müssen auch das Recht haben, diese Betroffenheit entsprechend ausdrücken zu dürfen.
Weist man darauf allerdings nicht hin und greift derartig sensible Themen auf (ob nun "allgemein" oder wie auch immer) ohne über einen entsprechenden Wissens-Fundus zu verfügen, dann muss man es auch wegstecken, wenn irgend-jemand hier vorbei-geschneit kommt und einen darauf hinweist.
Doors schrieb:
Die Lebensumstände, in die jemand hinein geboren wird, kann sich niemand aussuchen. Aber man kann und muss selbst sehen, was man daraus macht. Meinen Kinder gegenüber habe ich das mal mit einer Tüte Lego-Steine verglichen, die man bei der Geburt bekommt. Was man mit denen anstellt, liegt an der eigenen Kreativität, Hartnäckigkeit und Geduld. Wer arme Eltern hatte, muss nicht arm werden. Wer dumme Eltern hatte, muss nicht dumm werden. Wer gewalttätige Eltern hatte, muss nicht gewalttätig werden.
Typischer wie so kann man Mainstream-Klischees nicht darbieten.
Als Klischee genial. Inhaltlich aber nicht nur dünn sondern eben auch mit logischen Mängeln behaftet:
Man bekommt "Lego-Steine". Und was sind Kreativität, Hartnäckigkeit und Geduld?
Keine Lego-Steine?
Fällt den meisten überhaupt nicht auf - so ein unlogischer Dreher.
Viele haben "Nummer 5" gesehen. Da repariert ein Roboter sich selbst. Wie macht er das? Er nimmt Teile SEINER SELBST.
Er wirkt also mit Teilen seiner selbst auf Teile seiner selbst.
Einwände dazu? Dann bitte anmelden!
Was geschieht, wenn Lego-Steine auf Lego-Steine einwirken wollten?
Überhaupt nichts.
Weil sie das ohne zusätzliche (komplexere Elemente) gar nicht könnten.
Die "Lego-Steine" sind der Versuch eines Menschen (hier Doors), die komplexe und unfassbare Welt, von der wir umgeben sind, handhabbar zu machen. Ist mit der Religion genau das gleiche: Dort wird genau in der selben Art und Weise mit "Lego-Steinen" hantiert, damit das Unbegreifliche wieder "greiflich" wird...
Also: Wir haben EXAKT diese Situation! :
Neuronale Verbände (Module / Areale /Bereiche) wirken auf Neuronale Verbände (Module / Areale /Bereiche). Gleiches wirkt auf Gleiches.
Vor unfassbar langer Zeit in der Kiosk-Heftchen-Serie "Perry Rhodan" bereits bildhaft auf intelligente IT-Systeme übertragen: Ein Großcomputer bestand aus zwei Computern - dem Computer und dem Contra-Computer. Beide Systeme (in EINEM) überwachten und kontrollierten sich wechselseitig. Ist technisch heute zigfach in unterschiedlichster Art und Weise umgesetzt in vielen komplexen Systemen, die bis zu einem gewissen Punkt autonom arbeiten und sich dann wechselseitig abgleichen.
Im Gehirn (ganz grob skizziert) gibt es im wesentlichen die älteren Bereiche rund um das limbische System, die motivational IMMER die Dominanz behalten, denen sich aber im Laufe der Evolution ein fortwährend leistungsfähigerer "Contra-Computer" im Stirnhirn-Bereich entgegenstellen musste, dem es letztlich zukommt, bei einer gereiften Persönlichkeit sicher darüber entscheiden zu können, welches Gefühl / welche Motivation / welcher (An)Trieb
WANN - WO - WIE STARK zur Entfaltung kommt resp. kommen darf.
Es wirken "Lego-Steine" auf "Lego-Steine". Aber jedem, der ein wenig reflektiert, wird nun (so hoffe ich doch) transparent geworden sein, dass es hier eben NIE und NIMMER um "Lego-Steine" geht!
Den Kindern gegenüber als Mutter nicht verkehrt solche Sprüche. Aber es ist vollkommen wurscht, was man da eigentlich sagt: Es geht um eine Aufmunterung, eine Animation im positiven Sinn - einen "guten Klaps auf die Schultern". Solche "Klapse" verteilt Doors offensichtlich gerne und ich will davon ausgehen auch erfolgreich. Also nichts verkehrt daran. Absicht und Effekt sind ok. Nur nachdenken darf man über solche gutgemeinten Sprüche nicht.
Denn es ist nicht nur die Tischkante neben runter-gefallen, dass eben (wenn schon) Kreativität, Hartnäckigkeit und Geduld GENAU SO "Lego-Steine" wären, wie der/bzw. das, was da etwas "aus ihnen macht". Und zum andern (wieder vollkommen unbemerkt) fällt dann auch noch das Konsekutive ebenfalls links die Tischkante runter:
Was gehört denn zum Aufmuntern? Was gehört zur Motivation / zur Animation?
Wieder wird (nachdem diese Frage nun gestellt ist) allen schlagartig klar, wie groß doch der Unterschied ist, ob ich in meiner Annäherung an diese Welt und in meinen Lernversuchen, zu denen ich angeregt werde, von meinen Bezugs-Personen kreativ, mit Ausdauer und Geduld begleitet und gefördert werde ODER ob ich es mit Bezugs-Personen zu tun habe, die einfallslos sind, stur und unbeweglich und/oder die bei der kleinsten Kleinigkeit bereits die Geduld mit mir verlieren!?
Das muss eigentlich jedem einleuchten.
Dass dies Spuren in einem Menschen hinterlässt: Dazu müsste es doch auch nicht notwendig sein, auch nur irgend-etwas zu sagen. Keiner stellt in Frage, dass man schon mit einem scharf geschliffenen Kunst-Fingernagel den Lack am Auto "versauen" kann. Aber NEIIIIN: In der Kindheit kann man erleben was man will - das entscheidet trotzdem nicht darüber, wie oder was man später wird....
Streichen wir bitte einmal diesen hoffnungslos antiquierten Begriff "Schuld". Wer "Schuld ist", ob jemand "Schuld ist" und ob dieser Begriff außerhalb von Schuld-Zuschreibung und Reue überhaupt den geringsten Sinn macht, das wollen wir gar nicht entscheiden. Aaaaber: Es geht doch um URSÄCHLICHKEITEN. Und mit Ursächlichkeiten kann ich doch nicht verfahren, wie es mir je und je gerade in den Kram passt!? Mal haben sie eine Wirkung - und wo es mir quer im Magen liegt, da haben sie keine?...
Dann: Es steht auch völlig außer Frage, dass selbstverständlich haargenau das Gleiche nicht auf jeden Mensch gleich wirkt. Wieder eine Selbstverständlichkeit eigentlich: Wenn ein Sturm weht, fällt ja auch nicht jeder Baum! Oder: Ob Baum oder Bambus - mit unterschiedlichen Strategien kann man den Stürmen des Lebens auf unterschiedliche Weise standhalten. Ebenfalls selbstredend.
Aber dass es "NICHTS ausmacht", was von den Eltern auf die Kinder einwirkt:
NA NA NA.....
Hierzu vielleicht wenigstens mal den wichtigen psychologischen Fachbegriff
Resilienz nachschlagen. WENIGSTENS DAS !
Und ganz am Ende: Die Wissenschaft beschäftigt sich meist mit großen Zahlen. Mit Durchschnitts-Werten.
Einfaches Beispiel: Angenommen unter 1000 Rauchern würden Fünfe Lungenkrebs kriegen. Untersuche ich nur 100, kann es sein, dass die 5 unter den restlichen 900 zu finden gewesen wären, die NICHT untersucht worden sind.
GENAU HIER ist dann der Unterschied zwischen Populismus und Wissenschaft:
Der Wissenschaftler schließt aus 100 Untersuchungs-Ergebnissen NICHT, dass Rauchen nichts mit Lungenkrebs zu tun hat.
Demgegenüber habe ich mit unzähligen Rauchern gesprochen, die alle behauptet haben, das wäre Quatsch "von wegen dem Krebs": Sie schließen das aus ihren wenigen persönlichen Erfahrungen. All die, die so reden, haben in aller Regel noch KEINEN erlebt mit Lungenkrebs - bzw. haben sie einen erlebt, behaupten sie (fernab jeder diagnostischen Fähigkeit), das könne auch "andere Ursachen" gehabt haben. Es wird also vollmundig aus der Unwissenheit "geschöpft".
Der wissenschaftlich arbeitende Mediziner stützt sich auf hundert-tausende von Fällen und ersieht aus dieser großen Zahl ganz klar, wie hoch das Risiko TATSÄCHLICH ist.
Der Populist pfeift auf solche Durchschnitts-Werte, pfeift auf eine Normalverteilung oder die gauß'sche Glockenkurve - kann mit alledem sehr oft nicht einmal etwas anfangen:
Tut aber nicht selten so, als seien gerade SEINE "Ergebnisse" noch fundierter als fundiert...