Adoptionsrecht für Schwule und Lesben?
08.05.2008 um 14:20
Lesben und Kinder
ExpertInnen schätzen, dass 1/3 der Lesben Kinder haben, viele Lesben entscheiden sich bewusst für ein Leben mit Kindern. Der Weg zum Kind ist dabei so bunt wie die lesbische Lebensweise selbst. Manche Lesben haben Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen, manche durch (Selbst-)Insemination oder durch ergebnisorientierten Geschlechtsverkehr mit einem Mann. Andere Lesben entscheiden sich für Pflegekinder oder für eine Adoption als Einzelperson.
Vorurteile gegenüber lesbischer Elternschaft
In den letzten Jahren setzten sich lesbische Mütter offensiv für ihre Interessen ein. In der Öffentlichkeit werden sie erst langsam wahrgenommen, begegnen allerdings häufig Unverständnis und Vorbehalten. Lesbischen Müttern wird beispielsweise mangelnde Erziehungsfähigkeit unterstellt, außerdem könnten sie ihren Kindern keine verlässlichen Strukturen bieten, da sie nicht in einem kontinuierlichen Beziehungsgefüge lebten.
Die Bedenken und Vorurteile gegenüber lesbischer Elternschaft lassen sich drei Hauptkategorien zuordnen:
Durch das Vorenthalten gegengeschlechtlicher Bezugs- und/oder Identifikationspersonen sei bei Kindern aus lesbischen Familien mit Störungen in der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität zu rechnen.
Es wird befürchtet, Kinder könnten durch das Heranwachsen in einer lesbischen Familie selbst eine gleichgeschlechtliche Orientierung entwickeln.
Kinder lesbischer Mütter seien – wie diese selbst – sozialer Stigmatisierung ausgesetzt. Sie würden von Gleichaltrigen gegretelt und seien sozial isoliert.
Diese Vorurteile stellen die gesellschaftlichen Toleranzbeteuerungen gegenüber der lesbischen Lebensweise in Frage. Denn wenn Lesbischsein als gleichwertige Lebensweise akzeptiert würde, müsste eine gleichgeschlechtliche Orientierung von Heranwachsenden nicht als nachteilig empfunden werden. Genau an diesem Punkt zeigt sich die tatsächliche Einstellung zur Homosexualität.
Aus der Perspektive der Entwicklungs- und Familienpsychologie entbehren die unter 1. und 2. angeführten Befürchtungen der wissenschaftlichen Grundlage. So kommen alle bisher vorliegenden empirischen Studien zu dem Ergebnis, dass sich Kinder, die bei lesbischen Müttern groß werden, in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung nicht anders entwickeln als Kinder, die in einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft aufwachsen.
Für ein störungsförderndes Erziehungsverhalten lesbischer Mütter, z. B. bezüglich der Entwicklung der kindlichen Geschlechtsidentität, gibt es ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte. Einige Studien zeigen eher die Tendenz, dass lesbische Mütter ihren Kindern wesentlich häufiger den Kontakt zu männlichen Bezugspersonen ermöglichen als alleinerziehende heterosexuelle Mütter dies tun.
Die überwiegend aus den USA stammenden Studien der 80er und 90er Jahre lassen sich in ihren Ergebnissen folgendermaßen zusammenfassen: Im Verlauf der Entwicklung gibt es zwischen Kindern heterosexueller und homosexueller Eltern keine signifikanten Unterschiede in der Geschlechtsrollenidentität, im Rollenverhalten und der sexuellen Orientierung. Auch die psychische Entwicklung – hinsichtlich Selbstbewusstsein, Sozialverhalten, Loslösung von den Eltern und Kontakte zu Gleichaltrigen – verläuft altersgemäß.
Entscheidend für die kindliche Entwicklung ist den Erkenntnissen zufolge weniger die sexuelle Ausrichtung der Eltern als vielmehr die Qualität der Beziehung ("Love makes a family"). Stabilität, Selbstwertgefühl und Zufriedenheit lesbischer Mütter mit ihrer Lebensform sind für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern überaus wichtig. So zeigen nicht nur Studien, sondern auch Erfahrungen lesbischer Mütter, dass bei einem frühen Coming-Out gegenüber den eigenen Kindern diese weniger Schwierigkeiten im Umgang mit dem Lesbischsein ihrer Mutter haben.
Punkt 3 ist der einzige Einwand, der aus wissenschaftlicher Sicht aufrechterhalten werden kann, denn es ist immer noch eine Tatsache, dass Kinder aus lesbischen Familien erhöhte soziale Stig-matisierung erfahren. Die Forschung zeigt allerdings ebenso, dass der "Stigmatisierungseffekt" nicht dramatisiert werden sollte.
Hier ist außerdem die Gesellschaft gefordert, denn ein erheblicher Teil der Diskriminierung findet aufgrund der Nichtwahrnehmung der Familienform lesbischer Familien in Schule und Freizeit statt. Widersprüchlich am Diskriminierungsargument ist darüber hinaus, dass hier in erster Linie dem einzelnen Individuum die Verantwortung für die Provokation diskriminierenden Verhaltens zugeschoben wird, während die Diskriminierung und Stigmatisierung an sich kaum hinterfragt wird.
Ein wesentlicher Beitrag, der Diskriminierung und Stigmatisierung abzubauen hilft, besteht in der rechtlichen Absicherung der Lebenssituation von Kindern, die bei lesbischen Müttern aufwachsen, und – wo von den Frauen gewünscht – der Absicherung der Partnerinnenrechte in Bezug auf das gemeinsame Kind.
Familienbegriff
Zentral für die gesellschaftliche Bewertung der Thematik "Kinder in lesbischen Beziehungen" ist der zugrundegelegte Familienbegriff. Die unterschiedlichen Familienbegriffe verdeutlichen, dass Familie kein statisches, sondern sowohl soziologisch als auch politisch ein wandlungsfähiges Konstrukt darstellt.
Der enge Familienbegriff assoziiert in seiner traditionellen Vorstellung ein heterosexuelles Elternpaar mit einem oder mehreren Kindern (Vater-Mutter-Kind-Familie). Ob es sich dabei um eheliche, nichteheliche, Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder handelt ist nicht ausschlaggebend, zentrales Attribut ist das verheiratete gemischtgeschlechtliche Elternpaar.
Der leicht erweiterte Familienbegriff bezieht auch unverheiratete heterosexuelle Paare mit Kindern oder Alleinerziehende ("Ein-Eltern-Familien") mit ein. Die derzeitige Koalitionsregierung von SPD und Bündnis90/Die Grünen ging in ihrer Koalitionsvereinbarung von Familie in vielfältiger Form aus "Familie ist da wo Kinder sind" (in auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften). Sie hält sich allerdings selbst nicht an diese Vorgabe, denn aus familienpolitischer, familiensoziologischer und gesetzgeberischer Perspektive gelten Lesben mit Kindern nach wie vor nicht als
Familie.
Der weite Familienbegriff, dass Familie nicht da ist, wo Ehe, sondern wo Nähe ist (nach Christina Schenk), wird einem Postulat der Beachtung und Wertschätzung von lesbischen Familien viel eher gerecht. An die Stelle der biologischen tritt hier die soziale Familie, die sich in Wahlgemeinschaften verschiedenster Form – zusammenwohnend oder nicht, mit oder ohne Kinder – ausgestaltet (vgl. Infoblatt 2 vom Frühjahr 2000: Wahlgemeinschaften).
Rechtliche Aspekte
Mit der Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) aus 1998 sollten die Rechte der Kinder ins Zentrum gerückt werden. Darüber hinaus stärkt die Reform die Rechte der biologischen Väter. Wesentlichen Stellenwert nehmen im neuen KindRG die Förderung des Kindeswohls durch stabile und kontinuierliche Lebensbedingungen sowie der Abbau bestehender Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern ein. Die soziale Elternschaft wird in dieser Reform gestärkt. Dennoch findet soziale Elternschaft ausschließlich in ihrer heterosexuellen Ausprägung Beachtung, die Lebenssituation von Kindern lesbischer Eltern wurde bisher nicht berücksichtigt.
Dabei sind die bestehenden rechtlichen Regelungen mehr als dürftig und in Bezug auf sorge- und umgangsrechtliche Angelegenheiten nützt auch der Verweis auf privatrechtliche Regelungen kaum etwas. Diese Rechtsunsicherheit wirkt sich auf lesbische Familien oftmals belastend aus, indem sich sorgeberechtigte Mütter und soziale Mütter Verantwortung nicht teilen können. Schließlich hat in der Auswirkung gegenüber Schulen, Behörden etc. nur die sorgeberechtigte Bezugsperson das Entscheidungsrecht und muss dieses u. U. noch mit dem biologischen Vater des Kindes teilen, sofern auch er das Sorgerecht innehat.
Keine rechtliche Absicherung für lesbische Familien mit Kindern gibt es
im Miet- und Wohnrecht. Partnerinnen in einer lesbischen Lebensgemeinschaft gelten nicht als Angehörige, daraus folgt z. B., dass sie für sich und ihre Kinder keinen gemeinsamen Wohnberechtigungsschein erhalten können (bis auf wenige Ausnahmen in einzelnen Bundesländern wie Berlin)
im Erbrecht, wo Partnerinnen und deren Kinder wie Fremde behandelt werden
im Steuerrecht, wo z. B. eine lesbische Arbeitnehmerin, die für den Lebensunterhalt ihrer so-zialen Kinder aufkommt, diese nicht auf die Steuerkarte eintragen lassen kann
in sozialrechtlichen Fragen wie Anspruch auf Erziehungsgeld, Anspruch auf Erziehungsurlaub bei sozialen Müttern, Kindergeld
im Fall einer Trennung keine Regelungen für den weiteren Umgang zwischen der Ex-Partnerin und dem Kind
bei Tod der biologischen Mutter keine Sicherheit, dass das Kind im gewohnten Umfeld bleiben kann
Daran wird auch die eingetragene Lebenspartnerschaft nichts ändern.
Diese Nichtanerkennung der sozialen Elternschaft führt zu erheblichen sozialen und ökonomischen Nachteilen. In der täglichen Pflege und Erziehungsarbeit haben soziale Elternteile z. B. keine Möglichkeit Entscheidungen über ärztliche Behandlungen für das Kind zu treffen oder in der Schule, bei Behörden, bei Auslandsreisen die biologische Mutter zu vertreten.
Für heterosexuelle Paare gibt es in solchen Fällen die Möglichkeit zu heiraten und die Kinder des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin zu adoptieren (Stiefelternadoption), was das gemeinsame Sorgerecht verschafft. Aus der Sicht des Kindeswohls führt dies zu Sicherheit, insbesondere wenn der biologischen Mutter etwas zustößt.
Fast alle Länder, in denen Partnerinnenschaftsrechte für unverheiratete Paare (teilweise unabhängig von deren sexueller Ausrichtung) existieren – wie z. B. die skandinavischen Länder – unterscheiden beim gemeinsamen Sorgerecht, gemeinsamer Adoption bzw. Stiefkindadoption zwischen hetero- und homosexueller Partnerinnenschaft. Begründet wird dies meist mit einer Art Unzumutbarkeit gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft. Das bedeutet, der Gesetzgeber verfolgt eine Strategie der Rücksichtnahme auf die Vorurteile der Bevölkerung.
Es sind jedoch dringend rechtliche Regelungen erforderlich, die die Situation gleichgeschlechtlicher Paare mit Kindern verbessern. Diese könnten sein:
Ermöglichung der Adoption/Stiefelternadoption für gleichgeschlechtl. Paare.
Möglichkeit zur Teilhabe an der elterlichen Sorge für soziale Mütter. Dies sollte nicht an das Bestehen einer eingetragenen Partnerinnenschaft geknüpft werden. Das "Kleine Sorgerecht", das in diesem Zusammenhang in der Diskussion ist, betrifft lediglich die Mitentscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens, die häufig vorkommen u. ohne ernstzunehmende Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes sind (z. B. Entschuldigung in der Schule im Krankheitsfall, Behandlung leichterer Erkrankungen wie Erkältungen).
Frankfurter Lesben 2001