Ray. schrieb:Würdest du ihm als Gutachter ein positives Gutachten schreiben? Wohlwissend, dass wenn erneut etwas passieren sollte das so große Wellen schlagen wird, dass es einen für immer routiniert. Man würde dich nie wieder begutachten lassen.
Diese Frage hier in die Runde zu werfen, ist ja nun mehr als unfair. Ein Gutachter wird ja gerade deswegen mit einer Begutachtung beauftragt, weil er auf einem bestimmten Fachgebiet besondere Fachkenntnisse und Erfahrungen vorweisen kann. Zudem führt er für so ein Gutachten meist mehrere persönliche Gespräche mit der zu begutachtenden Person und den diese Person betreuenden Ärzten. Außerdem hat er Einblick in die Dokumentation der gestellten Diagnosen und der durchgeführten Therapien.
Das Gutachten gibt ja immer die aktuelle Situation wieder, berücksichtigt also auch immer die individuelle Entwicklung des Patienten. Sonst müsste man ja nicht regelmäßig neue Begutachtungen in Auftrag geben. Man will damit ja gerade feststellen, ob es in der Persönlichkeit, der persönlichen Einstellung, der Erkrankung etc. des Patienten eine Veränderung im Sinne einer Verbesserung gegeben hat und ob diese ausreicht, um eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung zu ermöglichen.
Hier im Thread sind dagegen lauter Laien unterwegs, die Herrn Meiwes nur aus der Berichterstattung in den Medien "kennen". Wie wissen, was er getan hat und auch einigermaßen, warum er das getan hat. Wer Zuschauer im Prozess war, mag ihn mal aus der Ferne gesehen und reden gehört haben, mehr aber auch nicht. Das ist dann aber eben auch vor ca. 20 Jahren gewesen. Danach hat er noch einmal ein Interview gegeben und sein Anwalt hat hier und da mal eine Frage über ihn beantwortet.
Wie soll man also mit dieser Ausgangslage eine solche Frage beantworten können? Auf welchem therapeutischen Stand Herr Meiwes heute ist, wissen wir doch gar nicht und kennen und in diesen Fachgebiet auch höchstens als interessierte Laien aus.
Hinzu kommt, dass ein Gutachter natürlich immer mit der Frage leben muss, welche Konsequenzen sein Gutachten für die ein oder andere beteiligte Seite hat. Genauso, wie er sich bewusst ist, dass eine Freilassung bei einer Fehleinschätzung der Gefährlichkeit durch ihn zu einer Katastrophe führen kann, ist er sich sicher auch bewusst, dass die zu begutachtende Person bei einer Fehleinschätzung in die andere Richtung weiterhin in Gefangenschaft leben muss, was einen großen Eingriff in ihre Rechte bedeutet und eben nur gerechtfertigt ist, wenn sie bei einer Freilassung für andere Menschen eine Gefahr darstellt.
Aber es ist halt seine Aufgabe, die Gefährlichkeit einzuschätzen und zwar anhand von möglichst objektiven Kriterien. Das der Gutachter Angst vor "großen Wellen" hat, die bei einer Fehleinschätzung über ihn hereinbrechen würden, ist dabei aber eben ein subjektives Kriterium des Gutachters, dass auf keinen Fall der zu begutachtenden Person angelastet werden darf.
Als Laie mag man sich das schwer vorstellen können, dass ein Gutachter diese Verantwortung übernimmt und dabei nicht so eine große Angst vor eine solchen Fehleinschätzungen hat, dass er nicht immer zum Schluss kommt, dass der Gefangene besser noch ein paar Jahre im Gefängnis bleiben sollte.
Aber man muss einem Gutachter eben schon so viel Fachkompetenz und Professionalität zutrauen, dass man erwarten kann, dass er diesen Beweggrund außen vor lässt. Sonst würde es auch keine Ingenieure geben, die den Bauplan für eine Rakete unterschreiben, mit der Menschen zum Mond fliegen, keinen Chirurgen, der bereit ist, eine OP am offenen Gehirn durchzuführen und nicht mal einen Busfahrer, der jeden Morgen einen mit 50 Kindern im Grundschulalter vollbesetzten Bus durch den Verkehr lenkt. Die alle sind sich der Gefahren, die bei ihrem Job durchaus bestehen, bewusst und haben aber so viel Fachkompetenz und Erfahrung, dass sie wissen, worauf sie in einer bestimmten Situation achten und wie sie sich entscheiden müssen.