Obdachlose Menschen
27.11.2008 um 13:35
Obdachlos zu sein ist schon lange keine Schande mehr. Jeden kann es treffen, jeden Tag. Vielleicht bist schon morgen du, dein Nachbar, die alte Oma nebenan, oder ich drann.
Ich bin nicht obdachlos, noch nicht. Aber ich habe schon mit vielen gesprochen und auch deren Hunde gestreichelt. Jeder einzelne von ihnen hat ein schweres Schicksal, nur die wenigsten sind freiwillig auf der Strasse.
Irgendwo hier im Thread hab ich gelesen, es wird Weihnachten und die Obdachlosen treten wieder vermehrt auf.
Bei den wirklich Obdachlosen hat das damit gar nichts zu tun. Es ist eisig kalt geworden und die frierenden Menschen ziehen sich unter Brücken oder in den Städten zurück, weil es dort ganz einfach wärmer ist. Hier ist die Chance zu überleben einfach größer wie in der Natur.
Ja, es gibt Einrichtungen in Großstädten, wo die ärmsten der Armen übernachten können, in Kleinstädten gibst es sowas nicht. Meine Stadt hat 25.000 Einwohner, wir haben Obdachlose unter der Brücke, aber keine Einrichtungen. Der Bahnhof ist nicht beheizt. In Großstädten sind die Übernachtungsmöglichkeiten auch nicht unbegrenzt, nicht alle finden hier einen Platz.
Manche der Menschen haben 30 Jahre und mehr hart gearbeitet, sind arbeitslos geworden, haben alles verloren. Andere haben es nicht anders gelernt, wie auf der Strasse zu leben und zu betteln.
Es sind Menschenschicksale, über denen man sich erst Gedanken macht, wenn man ihnen begegnet.
Meine erste Begegnung mit einem Obdachlosen liegt schon 32 Jahre zurück. Seitdem befasse ich mich damit.
Ich habe damals in Köln gelebt und Arbeit gesucht. Er saß irgendwo in der Seitenstrasse und war sehr mager. Er hat mich nicht angeschaut, nur sein Hund sah zu mir hoch. Viel Geld hatte ich nicht, aber viel Respekt vor dem Mann, der seinen Hund trotzt Not plegte. Neben ihm standen ein paar Dosen mit Hundefutter, aber seine alte, verrostete Dose für ein bischen Kleingeld war leer. Der Hund ließ sich streicheln, er mochte wohl Menschen, was auf eine gute Beziehung zu diesem Mann schließen ließ.
Ich habe nicht lange überlegt und dem Mann auch kein Geld gegeben. Ich wußte, dass ein bischen Geld ihm nicht weiterhilft.
Ich habe ihn angesprochen und ihn in der Kneipe gegenüber zu einem warmen Essen eingeladen. Er glaubte mir nicht, da hab ich einfach sein Rucksack genommen, den Hund an die Leine gelegt und ihn nochmal aufgefordert.
Total verdattert, zitternd und mit Tränen in den Augen ging er dann mit mir rüber auf die andere Strassenseite in die Kneipe.
Er traute sich nicht ein Essen zu bestellen, also übernahm ich das für ihn. Und nein, er wollte kein Bier oder was auch immer, er fragte mich nur, ob er eine Tasse ganz heißen Tee bekommen könnte.
Wir haben lange dort gesessen und geredet, auch wenn uns der Kneipenbesitzer im Geiste schon tausend mal in der Hölle verbannt hatte.
Später schickte ich ihn mit seinem treuen Gefährten zur Obdachlosenunterkunft. Ich gab ihm noch ein bischen Geld und wünschte ihm und seinem Hund eine bessere Zukunft.
Die nächsten Tage ging ich oft diesen Weg, aber ich sah ihn nie wieder.
Mit der Zeit lernt man die Menschen zu unterscheiden, deren Schicksale zu verstehen und in jedem der einzelnen Obdachlosen ein Stückchen *ich* zu finden.
Und was die irgendwo im Thread angesprochene *beruhigte Wohnungslage* betrifft, darüber kann ich nur lächeln. Das trifft nur auf die Wohnungen zu, die sich jemand leisten kann, der genug Geld hat.
Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt sollte klar sein, dass es zuwenig soziale Wohnungen gibt. Ein Obdachloser ist wenn er sich meldet maximal Hartz4 Empfänger.
Für diese Wohnungen gibt es maximale Mieten, Nebenkosten und Quadratmeter.
Alles was diese Vorgaben der ARGEN überschreitet wird nicht genehmigt und ist somit unbezahlbar für einen Obdachlosen, der vielleicht auch gerne ein *normaler Mensch* sein möchte.
Und den Teufelskreis Wohnung-Arbeit-Wohnung zu durchbrechen, versuchen viele jahrelang ohne Ergebnis, weil niemand Vermieter-Arbeitgeber-Vermieter den Anfag machen möchte.
Und so leben sie nun jahrelang auf der Strasse, teils in Hoffnung zum Überleben, teils einfach nur um zu sterben.
lg