@kakaobart Entschuldige, hat etwas gedauert mit der Antwort hier.
Ich finde verschiedene Meinungen gut, solange man sich gegenseitig respektiert. Man kann immer dazulernen in so einer Diskussion und seinen Horizont erweitern. Zudem stimme ich mit einigem aus Deinem letzten Beitrag überein.
kakaobart schrieb:Es gilt in keiner Kultur als männlich, besonders empfindlich auf Schmerzen zu reagieren. Männer müssen in jeder Kultur "stark" (im emotionalen Sinne) und belastbar sein.
Du hast Recht. Finde ich eigentlich verblüffend bzw seltsam, dass sich das überall so etabliert und gehalten hat. Von Natur aus sind eigentlich beide Geschlechter emotional, bzw variiert das wieder zwischen den Individuen. Vor einiger Zeit gab es zudem mal eine Studie, dass Männer allgemein schmerzempfindlicher und wehleidiger sein sollen als Frauen. Aber solche Studien kann man wiederum ja immer auch anzweifeln. ;-)
kakaobart schrieb:Es IST defakto bereits umgesetzt und gesetzlich abgesichert. In der Schweiz!
Echt? Das wusste ich nicht. Und gerade die Schweiz ist ja eher konservativ. Aber Kinder sagen schon noch "Mama und Papa", oder? Gerade hier erkenne ich den Sinn dieses Neusprechs noch nicht wirklich.
kakaobart schrieb:Ich persönlich fühle mich angegriffen, wenn u. A. meine Tätigkeit als Vater als Celebrierung einer Tradition von vorgestern abgestempelt wird, die man direkt - oder indirekt - als sexistisch (->schädlich) deklariert.
Das ist nachvollziehbar. So äußern sich wohl aber wirklich nur die Fanatiker. Denn an sich geht es nicht um Abschaffung traditioneller Strukturen, sondern eher um Erweiterung des Spektrums und Raum für anderes. Die "bewährten" (Denk-)Strukturen wären dann ein Teil vom Großen Ganzen.
kakaobart schrieb:So gibt es inzwischen Kindergärten, die bewusst und absichtlich die Kinder mit dem "falschen" geschlechterverhalten erziehen (Jungen werden z.B. nachdrücklich dazu animiert mit Puppen zu spielen - Mädchen sollen mit werkzeugartigen Spielsachen spielen).
Grundsätzlich empfinde ich es so, als wolle man zwanghaft die klassischen Geschlechterrollen tauschen.
Die strikte Erziehung von Kindern gemäß einem bestimmten Geschlechtsrollenbild halte ich prinzipiell für falsch. Da machen besagte Gender-Leute nichts anderes, wenn sie Kinder bewusst zum anderen Geschlecht hin erziehen. Dasselbe unter umgekehrten Vorzeichen.
An dem Fall Reimer kommt wohl keiner vorbei, der sich mit Intersexualität, Gendertheorie & Co. beschäftigt. Ich glaube das wurde hier im Thread auch schon angesprochen. Ohne Frage eine menschenverachtende Geschichte. Aber genau darum gehts in letzter Konsequenz ja auch hier.
Ähnlich wie Reimer leiden auch Transsexuelle, die "im falschen Körper stecken", oder Intersexuelle, die man operiert und auf Zwang einem bestimmten Geschlecht zuordnet, obwohl sie sich nicht damit identifizieren.
Es gibt auch genug biologische Mädchen, die ein "jungenhaftes Verhalten" an den Tag legen, und umgedreht gibt es "mädchenhafte" Jungen. Genau das wird aber noch immer unterdrückt, weil es "sich nicht gehört", wenn auch heutzutage weniger als früher.
kakaobart schrieb:weiterhin darauf pochen, daß dein Geschlecht nur physischer und kultureller Natur seien - nicht aber psychischer.
Die Geschlechtsidentität ist immer ein Zusammenspiel aus physischen, psychischen und kulturellen Faktoren, sie lässt sich niemals durch nur einen dieser Faktoren beliebig ändern, steht aber auch nicht von Anfang an fest sondern entwickelt sich, manchmal mehr zum Männlichen, manchmal mehr zum Weiblichen, manchmal "schwankt" sie zwischen beiden Polen. Von sich aus "eindeutig" ist sie nicht (zumal ja erst die Gesellschaft bestimmt was eindeutig, typisch, rollenkonform ist), denn jeder Mensch hat sowohl Anteile des einen wie des anderen Geschlechts in sich.
Genauer: Bestimmte Grundzüge des Charakters sind natürlich angeboren und müssen nicht mit dem biologischen Geschlecht einhergehen. Sie ändern sich auch nicht zwangsläufig durch (Um-)Erziehung. Vieles wird jedoch erst im Laufe der Sozialisation mit den Attributen "männlich" und "weiblich" behaftet, ein Kind lernt erst im Laufe der Zeit was typisch männlich und weiblich ist. Das heißt noch lange nicht dass es sich dann auch so verhält wie es sein Geschlecht "erfordert". Es ist vielmehr das Weltbild, und die Normzwänge unter denen man leidet, wenn man sich in diesem Sinne nicht gesellschaftskonform verhält, ob nun als biologisches oder zwangsumoperiertes Mädchen (analog: Junge).
Kinder sollten darum generell möglichst frei von solchen Rollenbildern und damit einhergehenden Zwängen aufwachsen. Ganz wird man nicht daran vorbeikommen, solange die Gesellschaft tickt wie sie tickt. Aber man sollte ihnen Freiraum lassen, zB womit sie spielen und was sie anziehen und wie sie sich geben, ohne vermeintlich "Unangemessenes" gleich im Keim ersticken zu wollen , a la "Das ist doch nur was für Jungs / Mädchen". Dann gibt es dahingehend auch keine Konflikte.
kakaobart schrieb:Und weil das so ist interessieren wir uns auch ständig dafür, ob unser Gegenüber ein potenzieller Partner sein könnte.
Wie gesagt, das sind Triebe. Aber die kann man durch Denken & Verstand im Zaum halten, denn sonst
wären wir ja permanent am Kopulieren.;-)
Mich interessiert in einer Sachdiskussion nicht, ob mein Gegenüber Mann oder Frau ist. Noch weniger, wenn ich irgendwo an offizielle Stelle ein Schreiben aufsetze (ich erfahre es aber zwangsläufig durch die zu verwendende Anrede).
Für Menschen, die einen Partner haben oder sogar Kinder, hätte das nach dieser Argumentation auch keinen Sinn mehr - warum machen sich dann aber "vergebene" Frauen zurecht (Schminke etc.), vor allem wenn doch Frauen von Natur aus eher monogam sein sollen?
Es ist eher schon der gesellschaftliche Erfolg, nach dem wir alle mehr oder weniger streben. Darum passen wir uns den Normen an, und zu den Normen gehört auch ein vor Urzeiten so definiertes geschlechtskonformes Verhalten. Der Mensch ist nämlich ein Herdentier und nur ungern ein Außenseiter. Darum wollen bzw sollen wir "sexy" und eindeutig einzuordnen sein, auch wenn wir nicht nach einem Partner suchen / schon einen haben. Wollen wir Anerkennung und Erfolg, "dürfen" wir nicht aus der Rolle fallen - Medien, Werbung, Konsum, Wirtschaft... um diese Kausalkette mal weiterzuführen.
Puh, das war jetzt viel Text. Ich hoffe ich konnte meine Ansichten einigermaßen verständlich erläutern. Dieses von mir kritisierte hausgemachte Konstrukt (
Wikipedia: Heteronormativität) ist so allumfassend und tief in der Gesellschaft verankert, dass es zugegeben schwer fällt es gedanklich zu durchbrechen.
(Die deutsche Sprache wäre da auch noch so ein Aspekt, dem man sich diesbezüglich mal widmen könnte. Die kennt nämlich kurioserweise drei Geschlechter.)