Intersexuell na und!
15.12.2006 um 17:23
Daß es von Natur aus nur zwei Geschlechter gebe, ist
wissenschaftlich unhaltbar.Diese Ansicht vertrat schon
vor über 90 Jahren der Gründer des WhK, Dr. Magnus
Hirschfeld, der mit seinen Studien über sexuelle
Zwischenstufen die polareGeschlechtereinteilung in
Frage stellte. Doch trotz dieses Wissens werden heute –
in der Tradition der NS-Medizin – Menschen, die in die
Dichotomie derGeschlechter nicht passen,
medizinischen Foltererfahrungen unterworfen. Rede
zum 20. Berliner CSD 1998 von Michel Reiter
Das Modell derZweigeschlechtlichkeit, die Annahme, daß
es nur zwei Geschlechter, Mann und Frau,gäbe und diese
hinsichtlich sexuellem Begehren, sozialer Rollenmodelle und
körperlicher Merkmale akkurat voneinander unterscheidbar
wären, ist erst indiesem Jahrhundert wirklich brisant
geworden. Es ist ein Jahrhundert der Verfolgungderjenigen
Menschen, die nicht in diese heterosexistischen
Trennungsmodellehineinpassen – seien es Zwitter,
Transgender People, Transsexuelle, Lesben oderSchwule.
Intersexuelle, manchen auch als Zwitter oder
Hermaphroditenbekannt, zwingen den Gedanken der
körperlichen Zweiteilung der Menschheit in dieKnie. Es sind
Menschen, die bereits vor oder bei der Geburt oder während
ihrerKindheit den definierten Geschlechtern 'männlich' oder
'weiblich' nicht eindeutigzugeordnet werden können. Etwa
16.000 Intersexuelle werden jedes Jahr geboren. Siewerden
als genital fehl- und mißgebildet bezeichnet, und ohne daß
diese Kinderim eigentlichen Sinne krank wären, müssen sie
umfangreiche 'Therapien' über sichergehen lassen.
Die Therapien können bereits ab Geburt beginnen. Sie
beinhalten sehr hohe Hormondosierungen, genitale
Operationen, vielfachegynäkologische Untersuchungen und
psychologische Behandlung. Ziel dieser Therapienist es,
das Kind zwanghaft in eines der beiden Geschlechter
hineinzusozialisieren, indem ihr Körper optisch dem
klischeehaften Bild einerFrau oder eines Mannes angepaßt
wird. Außerdem wird dem Kind untersagt,homosexuelles
Begehren zu leben. Diese Kinder haben keine Möglichkeit,
eineEinverständniserklärung zu den Eingriffen abzugeben.
Die Folgen dieser oft 20Jahre und länger andauernden
medizinischen Interventionen sind verheerend.
Intersexuelle, die dies erlebten, sprechen von Folter,
'Familien-KZs',Genitalverstümmelungen und
Menschenversuchen. Viele sind heute in Folge derEingriffe
tot, viele haben Suizidversuche durchgeführt, viele leben in
Psychiatrien, die Mehrheit aber wird versuchen, trotz
Mehrfachtraumatisierungenein normales Leben zu führen.
Da Intersexuelle seitens der Medizin immer nur einSyndrom
genannt bekommen, also als kranke Frauen oder kranke
Männer gelten undzumeist keine medizinischen Unterlagen
erhalten, wissen viele von ihnen gar nicht,daß sie als
Intersexuelle geboren wurden. In der Chirurgie gilt - ich
zitiere-, daß es „einfacher ist, ein Loch zu machen, als eine
Stange zu bauen“.Infolgedessen werden etwa 90% der
Intersexuellen dem weiblichen Geschlechtzugewiesen. Viele
(ehemalige) Intersexen halten sich heute in transsexuellen,
lesbischen, schwulen oder Transgenderkreisen auf. Trotz
der hohen Anzahl vonetwa 1,5 bis 3 Millionen in
Deutschland lebenden Intersexuellen wissen die wenigsten
Menschen, daß es uns überhaupt gibt.
Nach den Genitalverstümmelungen anafrikanischen
Sklavinnen, lesbischen und angeblich hysterischen Frauen
noch zuAnfang dieses Jahrhunderts, nach den Versuchen
während des nationalsozialistischenRegimes, Schwule
heterosexuell 'umzuprogrammieren', hat sich seit 50 Jahren
inder Medizin der Zweig zur Korrektur von
Geschlechtsanomalien herausgebildet. DerZwang zur
geschlechtlichen Ein(ein)deutigkeit wird durch technische
Fortschritte in der Gentechnik und Diagnostik immer mehr
verschärft.
Bei Transsexuellen werden hirnorganische Störungen
gesucht, die auch auf Lesbenund Schwule anwendbar
wären und vorgeburtlich diagnostiziert werden könnten.
Intersexuelle können bereits heute bis zum neunten Monat
abgetrieben werden,nämlich wenn schwerwiegende
Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustandes der Schwangeren zu erwarten sind –
mit anderen Worten, wenndas künftige Kind als nicht
zumutbar gilt. Diese Tendenzen aus Medizin und Justiz
stehen in scharfem Kontrast zur angeblichen
gesellschaftlichen Liberalisierungder
Geschlechterverhältnisse.
Wie aus einer Antwort der Bundesregierunghervorgeht,
sagen die rechtlichen Regelungen nicht aus, was unter
'männlich'und 'weiblich' zu verstehen ist; die
Bundesregierung weiß tatsächlich nicht, was derBegriff
'Geschlecht' bedeutet, aber sie deligiert die Klärung an
medizinisch-naturwissenschaftliche Instanzen. Diese haben
eine Liberalisierungder Geschlechter jedoch keinesfalls im
Sinn.
Wir sprechen von einem anIntersexuellen begangenen
perfekten Verbrechen, denn täglich werden Menschen in
Kliniken ihrer Besonderheit beraubt, von welchen gar nicht
bekannt ist, daß essie überhaupt gibt. Wir sprechen von
einem Genozid enormen Ausmaßes in allenwestlichen
Kulturen weltweit - inmitten des ausgehenden 20.
Jahrhunderts.