@Waldkind Waldkind schrieb am 05.11.2015:Man kann es sehen wie man will, aber die meisten Selbstmorde sind absolut egoistische Taten, mit Folgen die auch andere Menschen betreffen.
Die meisten Selbstmorde sind absolut keine egoistischen Taten. Das zu behaupten ist schlicht und einfach Schuldzuweisung an das Opfer. Das ist das gleiche Niveau wie einem Vergewaltigungsopfer vorzuwerfen, es hätte ja einen kurzen Rock getragen.
Das Suizid auch immer Angehörige, Freunde oder weiteres Umfeld betrifft, ist unvermeidbar. Aber diese Unvermeidbarkeit ist kein Egoismus im Sinne von Selbstsucht.
Die Suizidtheorie nach Durkheim kennt zwar den Begriff des "egoistischen Suizids" im Rahmen seiner Integrations-Anomietheorie, das bedeutet aber nicht, dass der Suizidant aus selbstsüchtigen Motiven heraus handelt.
Egoistisch bedeutet in dem Falle nur, dass das Bezugsmodell zwischen Suizidant und Umfeld auf persönlicher Entfremdung des Suizidanten beruht. Er zieht sich, aus welchen Gründen auch immer, aus der Gesellschaft zurück.
Aktuelle Erkenntnisse der Suizidforschung belegen, dass gut 90% aller Suizide auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind.
Was diesen Suiziden vorausgeht ist ein für den gesunden Durchschnittsmenschen nicht nachzuvollziehender, unglaublicher Leidensdruck durch die Erkrankung, die viele Formen annehmen kann. Aus Angst- oder Schmerzerkrankungen können Depressionen werden, die unbehandelt irgendwann zum Suizid führen können.
Die psychologische Rationalisierung des Suizidanten besteht – sehr vereinfach und laienhaft ausgedrückt – aus einer Mischung aus "Es soll einfach nur aufhören" und "Ich bin sowieso für niemanden mehr etwas wert". Die wirklichen Faktoren und Rationalisierungsargumente sind zu vielfältig um sie alle im Detail zu beleuchten.
Wir halten fest:
Dem Suizid geht nach aktuellen Erkenntnissen in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Depression oder andere psychische Erkrankung voraus.
Hieraus allein kann schon kein Egoismus im Wortsinne abgeleitet werden.
Ich selber bin "Hinterbliebener" zweier Suizidanten aus dem näheren Umfeld.
Person A war ein pubertierendes Mädchen von 15 Jahren, welches schätzungsweise seit seinem 7. Lebensjahr sexuell missbraucht wurde. Sie entwickelte schwere Depressionen und starke Ängste gegenüber anderen Personen und körperlicher Nähe. Ihr eigener Körper war ihr fremd. All das, gepaart mit der beißenden Panik dass der Täter irgendwann mal wieder aus dem Gefängnis kommen und sie wieder missbrauchen könnte, führte dazu, dass sie Suizid beging.
Der Täter verstarb ca. 2 Jahre später im Gefängnis an seiner Krebserkrankung.
Wo ist da der Egoismus oder Feigheit? Niemand mit Hirn und Herz würde dem Mädchen vorwerfen, selbstsüchtig gehandelt zu haben. Sie hat ihren Suizid sicherlich nicht aus egoistischen Motiven begangen.
Person B war ein zartfühlender, eher labiler junger Mann Anfang 20, der sehr unter seinem dominanten Vater gelitten hat. Die Mutter war schwer depressiv und beging ihrerseits Suizid als er noch ein kleiner Junge war.
Der Vater hat immer gerne mal zugeschlagen und wollte das Leben seiner Familie bis ins Detail bestimmen.
Person B hat versucht, vom Vater wegzukommen, der ihn regelrecht verfolgt und gestalked hat. Daraus entwickelte sich eine schwere Depression. Als der Vater dann so weit ging den Sohn massiv zusammenzuschlagen und ihm wohl im Krankenhaus noch androhte, seiner Freundin etwas anzutun, brachte sich Person B aus Angst, Panik und Hilflosigkeit um.
"Es tut mir so leid, aber niemand wird jemals glücklich wenn ich in der Nähe bin."
Es wäre sehr schön, wenn man den Blödsinn vom "egoistischen" oder "feigen" Selbstmörder irgendwann mal zu den Akten legen könnte.
Jeder darf natürlich seine Meinung haben, aber diese Meinung ist genau so falsch wie die, dass Frauen an ihrer Vergewaltigung eine Mitschuld tragen.
Diese Art der Opferbeschuldigung sollten wir zugunsten eines hilfreichen Dialoges mit Betroffenen und Leidenden einfach sein lassen.
Es gibt Hilfe und sehr gute, erfolgreiche Präventionsprogramme.
Wer sich mit dem Gedanken trägt, ist nicht allein. Er oder Sie möge bitte Hilfe suchen.
http://www.leben-ohne-dich.de/notfall.htm