gastric schrieb:Es ist leider aber nunmal fakt, dass kurz nach änderungen der größte gegenwind aufkommt. Selbst bei sowas wie sklavenbefreiung hatten die ersten befreiten sklaven noch massiv gegenwind. Wahlrecht für frauen, die ersten wählenden frauen wurden belächelt. Homosexualität, die ersten, die sich getraut haben, sich öffentlich zu outen, mussten extremen gegenwind erfahren. Das ist sicherlich nicht direkt miteinander zu vergleichen und bei gott ich möchte eine "quotenfrau" auch wahrlich nicht mit einem homosexuellen verrgleichen, dem beim outung teilweise der tod drohte (und in vielen ländernimmernoch droht), aber heute ist es hier normalität. Es ist normal, dass frauen wählen, es ist normal homosexuell zu sein und es ist normal, keine sklaverei mehr zu betreiben. Es ist normal anfangs gegenwind zu bekommen, wenn man sich für etwas einsetzt. Als martyrer würde ich allerdings niemanden betiteln.
Ja, gut der Vergleich hinkt dann schon gewaltigst. Aber das nehme ich auf meine Kappe, der Begriff Märtyrer war sicher unpassend gewählt.
gastric schrieb:Auf dem bau habe ich immer wieder den satz "mal gucken, ob sie das schafft" an den kopf geworfen bekommen. Ich musste mich in diesem bereich MEHR anstrengen, als jeder mit pimmel... weil ich halt keinen hab. Es ist ein unterschied, ob ich leistung bringen muss oder ob ich mehr leistung als andere bringen muss, um den gleichen respekt und die gleiche anerkennung für meine arbeit zu bekommen.
gastric schrieb:Und genau da liegt doch die problematik. Ich kann als bewerber nicht von mir überzeugen, wenn im kopf meines zukünftigen chefs ein vorurteil das nächste jagd. Da kann ich noch so qualifiziert sein und noch so viel erfahrung haben und noch so zuverlässig sein, es bringt nichts und diese einstellung muss sich ändern und das macht sie nicht, wenn es wie bisher weiterläuft.
Du sprichst ohnehin schon die Vorurteile an, die auch ich als primäres Problem sehe (zumindest in diesem Punkt, sind wir uns einig). Weiter oben habe ich auch versucht zu erklären dass diese nicht nur aufgrund des Geschlechts vorhanden sind sondern aus den verschiedensten Motiven stattfinden, auch aufgrund von Kleinigkeiten wie einer fehlenden Fahrerlaubnis, oder der Tatsache dass man übergewichtig oder Raucher ist.
Was das Geschlecht betrifft, wird eben versucht diverse Ungleichgewichte durch Quoten auszugleichen und ich persönlich bin eben, auch aufgrund von Erfahrungswerten der Meinung dass diese oft die Vorurteile nur noch zusätzlich stärken. Denn dann ist es nicht "nur" eine Frau die den Job antritt sondern obendrein auch noch eine Frau, die den Job bekommen hat aufgrund der Tatsache dass sie eine Frau ist und eine Quote erfüllt werden muss. Das ist meiner Meinung nach ein großer Unterschied, denn wenn Frauen in Männer-Berufen schon von Grund auf (leider!) eine gewisse Skepsis entgegen gebracht wird, kommt bei der Quotenfrau dazu dass sie womöglich gar nicht besser qualifiziert ist als andere Bewerber, und in der Hinsicht ist die Skepsis dann zwar nicht gut zu heißen, aber irgendwo vielleicht sogar nachvollziehbar, denn selbst dort wo man nicht von Grund auf an der Tauglichkeit der Frau zweifelt, tut man es vielleicht bei einer "Quotenfrau" dann dennoch, und zwar primär wegen der Quote und nicht wegen der Frau.
Weiß nicht ob es vergleichbar ist aber wenn der Chef seinen Sohn anstellt wird man genau so spekulieren, ob er überhaupt zu gebrauchen ist oder ob er einfach nur aufgrund "Vitamin B" an den Job gekommen ist.
gastric schrieb:Das ist doch schon der fall, aber glaubst du als offizielle absage würde der betrieb die nummer mit körperlicher eignung, geschlecht oder ähnlichem raushauen? Was glaubst du, was ich in bewerbungsgesprächen alles gehört habe. Von fehlender körperlicher eignung bis hin zu "weil du nen mädel bist" war alles dabei. Als offizielle begründung kam "haben uns für einen besser qualifizierten entschieden." Das nichteinmal dies teilweise der fall war, wurde natürlich nicht kommuniziert. Das darf man dann irgendwann in der zeitung unter dem stichwort: "azubimangel im handwerk" lesen, bei dem artikel der nette chef interviewt wurde und sich darüber ausheult, dass er dieses jahr keinen azubi hat aufgrund nicht geeigneter bewerber. War ich in seinen augen ja auch, nur wollte er mir natürlich nicht schriftlich geben, warum ich trotz erfahrung auf dem bau nicht geeignet für eben jenen job war in seinen augen.
gastric schrieb:Wäre er, wenn jeder die wahrheit raushauen würde. Aber nichteinmal das ist der fall, denn damit würde man sich oftmals rechtlich angreifbar machen. Ich als privatperson habe auch keine einsicht in andere bewerbungsunterlagen zu erhalten und könnte somit sowieso nur über ein gerichtsverfahren erfahren, ob bewerber B nun wirklich qualifizierter war als ich. Oder soll das ganze so transparent werden, dass ich einsichten in die bewerbungsunterlagen des eingestellten bekommen darf? Annonymisiert geht da nicht, denn dann kann man mir wieder alles vor die nase setzen. Wie stellst du dir das genau vor, ohne, dass von seiten des betriebes getrickst werden kann?
Durch unabhängige Aufsichtsorgane, Gewerkschaften, Arbeiterkammern etc, natürlich ist das jetzt ein Gedanke, man kann sagen leichter gesagt als getan, die Umsetzung wäre klarerweise mit Aufwand verbunden. Hierbei gibt es natürlich auch Möglichkeiten die den Datenschutz nicht verletzen. Ein wünschenswertes Szenario wäre meiner Meinung nach, du bekommst eine Absage, und wenn du den Verdacht hast dass du aufgrund deines Geschlechts (Beispiel) abgelehnt wurdest, wendest du dich an eine dann dafür zuständige Stelle die das Unternehmen auffordert die Entscheidung zu begründen. Anhand von Bewerber-Profilen lässt sich oft bereits klären ob andere einfach besser qualifiziert sind. Ist das nicht der Fall sollte das Unternehmen die Chancengleichheit nachweisen in dem man erklärt wie man bei der Besetzung der Stelle vorgegangen ist. Sagen kann ein Unternehmen schnell mal was da hast du Recht aber wenn du tatsächlich bessere Qualifikationen vorweisen kannst als derjenige der den Job erhalten hat, dann wird es für das Unternehmen schwer die Entscheidung plausibel zu erklären, denn wenn der Chef dich tatsächlich abgelehnt hat weil du eine Frau bist schaue ich mir an, wie er vorweisen möchte dass du die selben Chancen wie alle anderen Bewerber erhalten hast.
gastric schrieb:Nur bei der entscheidung zwischen mann und frau? Wenn schon, dann bei jeder entscheidung zwischen mehreren bewerbern. Klagen aufgrund disrkiminierung kann immerhin jeder.
Natürlich, grundsätzlich immer. Habe das in diesem Thema naheliegende Beispiel gewählt für diese Aussage.
Zusammengefasst (mir ist schon klar dass wir da auf keinen grünen Zweig mehr kommen werden
;) ) - es ist schwierig, und ich könnte auch keine ultimative Lösung aller Probleme aus dem Hut zaubern, Vorurteile sind in den Köpfen oft fest verankert und es ist sehr schwer, diese aus der Welt zu schaffen.
Viele der von mir getätigten Aussagen sind natürlich teils Wunschgedanken und mir ist klar dass es in der Realität nicht immer so laufen wird, dass man es auch mit unehrlichen Menschen zu tun hat und man diesen, wenn sie schlau genug vorgehen, ihre Unehrlichkeit auch nur schwer nachweisen kann.
Ich hatte das Glück, als Mann in einer stark frauendominierten Branche niemals mit Vorurteilen konfrontiert zu werden (abgesehen von dem Thema in der Berufsschule das ich in einem anderen Thread vorgebracht habe, wo eine der Damen ihre Darmwinde nicht unter Kontrolle hatte und ich verdächtigt wurde da ich der einzige Junge in der Klasse war aber das ist eine ganz, ganz andere Baustelle die vermutlich auch ziemlich weit am Thema vorbeigeht
:D :troll: ) - im Gegenteil, das war eigentlich absolut nie ein Thema, es gab stets einen ganz normalen, kollegialen Umgang und das Geschlecht wurde niemals thematisiert. Natürlich hängt es in erster Linie davon ab mit welchen Menschen man zu tun hat, viele sind voreingenommen und haben Vorurteile, leider.
Und genau das ist eben mein Punkt, dass man zwar Vorurteile ausräumen kann in dem man Quoten schafft und sich das System bewährt, man andererseits aber genau so neue Vorurteile und Skepsis erzeugt wenn bei einem Bewerbungsprozess abseits von Qualifikation und Eignung Quoten berücksichtigt werden müssen, oft werden Frauen deshalb auch unter Generalverdacht gestellt und selbst Frauen, die nicht aufgrund von Quoten ihre Jobs bekommen haben werden als Quotenfrau und dergleichen verspottet.
Vielleicht gibt es auch überhaupt keine Möglichkeit, vorgefertigte Denkweisen aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen, wer weiß das schon. Es wäre wirklich wichtig, dass jeder Mensch im Leben die selben Chancen erhält, oft zweifle ich in dieser und vielerlei anderer Hinsicht ob unsere Welt dafür "gut genug" ist.