@GrouchoGroucho schrieb:Ich verstehe nicht, was "ein Rahmen" daran ändern sollte.
Darf ich mich als Erklärbär anbieten? Vielleicht nehmen wir mal dein Beispiel zur Illustration, wo die Pointe bei Böhmermanns Witz liegt.
Groucho schrieb:Wenn ich einen Hundehaufen von der Straße zwischen ein Frühstücksbuffet lege (anderer Rahmen!) wird der nicht plötzlich zum Lebensmittel.
Denken wir uns mal folgendes Szenario:
Eine liebevolle, fürsorgliche Mutter hat gravierende Probleme, es ihrer von der Pubertät arg gebeutelten und infolge dessen hochrenitenten Tochter in Bezug auf ihre Ernährungsgewohnheiten recht zu machen, kurzum: die holde Prinzessin lehnt rigoros alles, was die mittlerweile am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehende Mutter ihr an schmackhaften Mahlzeiten kredenzt, mit den Worten ab: "Das schmeckt wie Scheiße!1!!11!elf!"
Alles hat die Arme schon versucht, jeden Ernährungstrend durchprobiert, doch ob vegetarisch, vegan, low fat 30, Atkins, ovo-lakto-frutarisch, immer lautet die Antwort der hormondurchwirkten Vorzeigegöre: "Das ess ich nicht, das schmeckt wie Scheiße!!!"
Am Ende ihres Lateins und eines weiteren Nachmittags, an dem sie alle kulinarischen Hebel in Bewegung gesetzt und gekocht, gesotten, frittiert, sautiert und zur Rose gezogen hat, beobachtet unsere vor Erschöpfung zitternde Mutter nun mit hochgekrempelten Ärmeln und zersaustem Haar, wie ihre Tochter ansetzt: "Das schmeckt wie Sch...", greift sich den braunen Batzen Hundekot, den die unartige Familientöle gnädigerweise just auf dem Küchenboden zur freien Verfügung gestellt hat, knallt diesen auf den Küchentisch und ruft: "Das schmeckt also wie Scheiße?! Du weißt doch gar nicht, wie Scheiße schmeckt, probier doch DAS mal!!!!"
Und genau das hat Böhmermann im übertragenen Sinne Erdogan demonstriert. Der hat nämlich wie ein wahlweise leicht retardierter oder pubertär-renitenter Vorzeigediktator sowohl auf harmlose Satirebeiträge (Extra3-Lied) als auch auf journalistische Reportagen z.B. der Cumhuriyet als auch auf feixende Facebookeinträge von Sechzehnjährigen gleichermaßen nur die eine überzogene Antwort parat: Klage wegen Beleidigung!!11!!1!!elf!!
Also sah Böhmermann sich gedrängt, durch praktischen Anschauungsunterricht Erdogan erst mal klar zu machen, was überhaupt eine Beleidigung darstellt, damit er das nächste mal erst Rechtsmittel in Anspruch nimmt, wenn dies überhaupt gerechtfertigt erscheint, statt in inflationärer Weise alles zu verklagen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und wenn's nur ne Katze ist, die ihn schief angeschaut hat.
Und um sicherzugehen, dass es auch ein Herr Erdogan rafft, hat Böhmermann halt eine Blütenlese an übertriebenen Beleidigungen und Ressentiments verlesen (die aber gleichermaßen durchscheinen lässt, dass keine personenbezogene Beleidigungsabsicht, sondern ein reiner Demonstrationszweck verfolgt wird, ebenso wie in dem Gleichnis die Mutter ihre Tochter nicht tatsächlich zur Koprophagie nötigt
:D ).
Ich hoffe, ich konnte ein wenig skizzieren, dass der Kontext nicht so beliebig und willkürlich gewählt ist, wie Du das gerne darstellst, sondern im Gegenteil die Inszenierung der Verlesung des Schmähgedichts thematisch eng an den Skandal der Einbestellung des deutschen Botschafters wegen der Extra3 Satire geknüpft ist. Damit ist Erdogan also nicht aus beliebigen Gründen geschmäht worden, sondern die Satire sollte (und damit hat sie bloß ihre ureigene Funktion erfüllt) einen politischen Missstand hervorheben und zur Disposition stellen, nämlich die Indienstnahme rechtsstaatlicher Institutionen durch Erdogan im Zuge seines repressiven Regierungsstils, dem die Bundesregierung tatenlos zusieht, um zweifelhafte bilaterale Abkommen nicht zu gefährden, dadurch jedoch ihrerseits erpressbar wirkt.
Und so wird durch den entsprechen Rahmen aus einem Haufen Hundekot zwar kein Lebensmittel, aber ein sinnvolles Instument zu Veranschaulichungszwecken; und dies gelingt, wie Böhmermann gezeigt hat, sogar mit einem Schmähgedicht.
:D