@nele2015 wieder eine tochter.
das bedeutete zur zeit deiner geburt in vielen traditionellen familien aus der kultur, jede tochter mit einer hohen mitgift ausstatten zu müssen, um sie an den mann zu bringen. ohne den finanziellen hintergrund würde sie nur einen gänzlich unmöglichen partner erhalten können.
unsere regierungen lockten in den siebzigern männer aus ärmsten regionen hierher. sie erwiesen sich als fleissigste arbeiter für die uns zu schweren oder zu dreckigen tätigkeiten. ich erzähle drei reale beispiele, mit veränderten namen und ortsangaben.
dalibor kam als junger, traumhaft fescher mann nach österreich. seine arbeit war den einheimischen zu giftig.
alle mochten ihn. er war in kürze im betrieb völlig integriert, galt als der inbegriff eines anständigen menschen mit großem respekt den hiesigen gegenüber.
ganz plötzlich begann er sich nach eineinhalb jahrzehnten verschlossener zu verhalten. dann arrangierte er, für uns alle unverständlich, die verheiratung seiner noch nicht volljährigen töchter nach alter tradition.
am tag nach der hochzeit gab er seine leukämieerkrankung bekannt.
obwohl sich alle ausländischen und österreichischen arbeiter des werkes typisieren lassen wollten, konnte doch kein geigneter knochenmarkspender mehr gefunden werden. dalibor starb mit nicht mal vierzig jahren. sein einziger trost war, die töchter versorgt zu wissen. sie hatten ihm versprochen, für die mama zu sorgen. im jugoslawienkrieg verloren beide mädchen und die schwiegersöhne das leben.
dalibors frau verlor das haus durch beschuss. sie lebt heute schwach und einsam in einer bretterhütte nur mit einer ziege im fast entvölkerten gebiet. wer sich nur irgendwie bewegen kann, arbeitet in deutschland.
mustafa hatte sein ostanatolische heimat im winter verlassen, als die familie wieder mal nicht genug zum heizen hatte. er besaß keine schneedichten schuhe. wie sein vater und großvater wickelte er sich lumpenstreifen über die füße, um erfrierungen vorzubeugen. als er so beim büro für arbeitswillige ankam, nahm ihm ein mann schnell noch per vertrag sein bisschen bebaubares land ab, als anzahlung für die reisekosten. dabei hätte es von der stadt einen kostengünstigen bus gegeben, aber das hätte er ohnehin nicht lesen können.
in deutschland durfte mustafa sofort zu arbeiten beginnen. er war von stämmiger gestalt, man drückte ihm den presslufthammer in die hand, erklärte ihm kurz die handhabung, fertig. abends schlief er mit drei anderen aus seiner heimat in einem 12.5 qm großen, immerhin beheizten container.
er schickte jede entbehrbare mark nach hause.
tagein, tagaus stand der mann an einer baustelle. inzwischen ist er fast taub, gehörschutz gibt es ja erst seit wenigen jahren. abends wirkt er nervös und verschlossen, er hält keine alltagsgeräusche aus.
mustafa äußerte den großen wunsch, nach verheiratung seiner töchter, denen er eine schöne mitgift ersparte, damit sie einen gebildeten mann bekämen, seinem sohn eine brave, seinetwegen auch hässliche frau mit möglicherweise kleiner mitgift in anatolien zu suchen, eine die bereit wäre, die schwiegereltern auf die alten tage zu pflegen.
kurz nach übersiedlung in die alte heimat, wo er sich ein schönes haus für die rente gebaut hatte, stirbt mustafa plötzlich.
selahattin brachte frau und kinder gleich mit. ihn hatte ein bereits seit zwanzig jahren in deutschland lebender onkel angeworben, und eine dreiräumige wohnung für die neuankömmlinge gefunden. mit klo am gang. zu tilen mit gut zehn anderen ausländern, die waren türkenhasser.
bei der unterzeichung des mietvertrages musste unterschrieben werden, dass die kinder den garten und den privaten spielplatz nie mitbenützen dürften.
die miete war dreimal so hoch wie für einheimische veranschlagt worden, mit gastarbeitern konnte man das machen, die wussten nichts von einer mietrechts-schlichtungsstelle.
selahattin sparte bei sich selbst, machte strenge einkaufspläne für die familie. am speiseplan fast nur bulgur, reis und bohnen. so gelang es ihm, mit seinem kleinen gehalt als alleinverdiener drei töchter und drei söhne großzuziehen. ein junge durfte eine höhere schule besuchen, zwei mädels konnten dank ihrer mitgift in die mittelschicht verheiratet werden.
die dritte hat ein handicap. sie bräuchte ein sehr gut gefülltes sparbuch, um doch noch einen mann zu finden.
wo von den eltern verlangt wird, die mädchen mit einer hohen mitgift zu versorgen, kann es in der tat ein zu groß erscheinendes, finanzielles problem gewesen sein, schon wieder eine tochter bekommen zu haben.
ungewöhnlich an deinem schicksal,
@nele2015, sehe ich das mögliche vertrauen deiner leiblichen eltern in die deutschen institutionen, die bereitschaft, ihre tochter zu einem mitglied der christlichen gesellschaft erziehen zu lassen.
ich meine, es ist für dich nur ein vorteil, kennenlernen zu dürfen, was die große alleinverantwortung auf den schultern der ausgerackerten familienväter einer patriarchalen gesellschaft, aus ihnen und den frauen macht. beide geschlechter verlieren dabei an chancen.
deine leibliche familie ist das produkt aus vererbten eigenschaften in einer kultur mit damals noch wenig spielräumen für den einzelnen.
erst nachdem den gastarbeitern eine wahrscheinliche sicherheit zum bleibendürfen garantiert schien, konnten sie sich unserer kultur anzunähern beginnen. das ermöglicht neue lebensmodelle. viele schufen ab da für sich selbst aus dem ersparten guten wohnbesitz in der heimat, statt alles in mitgift stecken zu müssen.
die frau, die es zuließ, dass du weggegeben wurdest, gab dir immerhin die chance, zu leben.
sie war aber selbst noch nicht frei.
an deiner stelle würde ich zusammen mit den adoptiveltern oder einem onkel, ein treffen mit den geschwistern in einer neutralen umgebung ausmachen. nicht gleich bei euch daheim.