@hrubi hrubi schrieb:Ich habe in meinem Leben über Jahrzehnte zu viel erlebt das mir Beweis genug ist, dass es Dinge gibt die man mit bekannten naturwissenschaftlichen Gesetzen nicht erklären kann.
Das Argument, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gäbe, die die Schulweisheit sich träumen lässt, wird von Esoterik- und Magiegläubigen öfter mal ins Spiel gebracht. Auf dieses sog. Totschlag-Argument möchte ich deshalb mal etwas ausführlicher eingehen.
Wenn die Argumente mal wieder ausgehen, wenn man ein bisschen zu faul ist, um selbst nachzudenken, wenn auch noch dem größten Unsinn Nachdruck verliehen werden soll … Was gibt es dann Schöneres als ein passendes Zitat? Denn noch viel besser als ein Totschlag-Argument ist ein Totschlag-Zitat. Höchste Zeit also, dass wir diesem Phänomen mal forschend nähertreten …
Habt ihr schon mal versucht, mit Astrologie-Freaks, Mondphasen-Phantasten oder Erdstrahlen-Fetischisten über deren merkwürdig-verschwurbelte Weltsicht zu diskutieren? Ist ja eher schwierig, weil der Gegenstand der Betrachtung jeweils … nun ja, sagen wir mal: etwas schwer zu greifen ist. Man appelliert dann an den gesunden Menschenverstand, weist auf Naturgesetze, wissenschaftliche Studien und die Kraft von Autosuggestion und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen hin … Aber das hilft natürlich alles nichts.
Aber Shakespeare hat gesagt …
Irgendwann, wenn das Gespräch munter im Kreis rotiert, fällt garantiert dieser magische Satz, der schlagartig verdeutlicht: Du bist zu klein für solche Themen, Argus7, dir fehlt der Zugang, deine rationalistische Herangehensweise verhindert, dass du tiefer eindringst, dir die Geheimnisse des Lebens und der Welt erschließt … Der Satz lautet natürlich: “Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt.” Hat Shakespeare gesagt, jawoll … Zack, aus, Gespräch beendet. Ja wenn der große Shakespeare das gesagt hat, muss natürlich was dran sein.
Der arme Shakespeare. Hätte er geahnt, für welchen Unsinn seine Worte vereinnahmt werden, hätte er gewusst, dass sie zur Mutter aller Totschlag-Zitate werden – er hätte sie sich vermutlich verkniffen.
Aber was zeichnet ein waschechtes Totschlag-Zitat aus? Dreierlei:
Erstens brauchen wir eine echte Autorität, der sich das Zitat zuschreiben lässt. Jemand, dem man eher nicht widersprechen will. Shakespeare ist gut. Goethe auch (bei dem ist schwurbelmäßig sowieso immer was zu holen). Schiller geht so. Gerne auch fernöstliche Größen wie der Dalai Lama, Konfuzius und wie sie alle heißen. Und natürlich sind auch alle irgendwie naturbelassenen Völker hinreichend glaubwürdig, dann geht’s auch ohne einzelne Autoritäten: alte indianische Weisheit, uralte Weisheit der Maya und so weiter …
Shakespeare und Eso-Gedönse
Zweitens darf sich der Totschlag-Zitierer grundsätzlich nicht um Kotext und Kontext scheren – das wäre kleingeistig und relativistisch. Und so ist es völlig wurscht, dass Hamlet die Sache mit der Schulweisheit zu Horatio sagt – und nicht etwa der große Shakespeare zum Leser im 21. Jahrhundert. Übrigens ist auch eine genaue Übersetzung kleinlich und unangebracht, denn eigentlich heißt die Stelle bei Shakespeare: “There are more things in heaven and earth, Horatio, / Than are dreamt of in your philosophy.” Also nichts da zwischen Himmel und Erde, schade, denn das klingt ja irgendwie raunender und geheimnisvoller …
Auf keinen Fall hat Shakespeare, oder besser: Der von ihm konstruierte Hamlet mit obigem Zitat gesagt, dass Homöopathie funktioniert, oder dass Heilkristalle, oder Reiki, oder irgendein anderes Eso-Gedönse irgendetwas mit Realität zu tun haben, wirken oder funktionieren oder gut oder wahr sind – da kann jeder gern mal bei Hamlet nachschlagen.
Drittens und letztens braucht ein gestandenes Totschlag-Zitat eine gewisse diffuse Allgemeingültigkeit. Ob ein Satz totschlag-zitat-tauglich ist, lässt sich dabei leicht überprüfen: Kann man darauf mit einem nachdenklichen “Soso jaja gell” reagieren, ist er hervorragend geeignet! Probieren wir das mal:
“Heißa! – rufet Sauerbrot – Heißa! meine Frau ist tot!!” Na ja, nein, nicht geeignet. Irgendwie zu … zynisch. Da wabert nichts. Typisch Wilhelm Busch halt.
Wie wär’s damit: “Überall, wo der weiße Mann die Erde berührt, ist sie wund …” Hervorragend geeignet! (Kein Wunder, ist ja auch eine indianische Weisheit.)
Ich freue mich über weitere schöne Totschlag-Zitate in den Kommentaren! Ach ja, und eins hab ich noch, von Schiller: „Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich.“