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Welches Buch lest ihr gerade?

7.342 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

16.04.2020 um 15:32
Robert Müller: Die Welt in jenem Sommer

Die quasi autobiographische Geschichte eines Jungen, der 1936 begeistert beim Jungvolk mitmacht, von dem aber niemand weiß, dass seine halbjüdischen Wurzeln nur durch einen glücklichen Zufall bisher nicht aufgedeckt wurden. Einerseits begeisterter Pimpf, gleichzeitig liebt er seine jüdische Großmutter über alles. Ein Zwiespalt, der ihn fast zerreißt.
Die englische Neofolk Band Death In June vertonte die Geschichte in den 80ern zum Teil auf ihren Alben "The World That Summer" und "Brown Book"
Der Autor selbst erstellte später unter anderem das Drehbuch von der Filmadaption von Lion Feuchtwangers "Exil" und dem Postraub Klassiker "Die Gentlemen bitten zur Kasse".


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17.04.2020 um 15:13
Briefpost war eben da und nun ist mein heißersehntes Buch endlich da:


20200417 145654Original anzeigen (0,6 MB)


In dem Buch geht es um drei Mailänder Verlagslektoren, die beruflich ständig über okkulte Wissenschaften, Geheimbünde und kosmische Komplotte lesen müssen. Dabei stoßen sie auf ein äußerst rätselhaftes Dokument aus dem 14. Jahrhundert. Darin ist von alle 120 Jahre wiederkehrenden Zusammenkünften der »36 Unbekannten«, der Nachfahren der mysteriösen Tempelritter, die Rede. Daraufhin stürzen sie sich in das Labyrinth der Geheimlehren. Spielerisch erdenken sie eine gigantische Verschwörung. Aber dann merken sie, dass jemand ihre Phantasien ernst nimmt. Und der schreckt offenbar auch vor Mord nicht zurück ...

Wurde von einem Bekannten gewarnt, dass sich das Buch nicht sehr leicht liest. Na mal sehen...


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17.04.2020 um 15:14
@Vibora

Ich habe es verschlungen. Großartiger Roman.


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17.04.2020 um 15:14
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17.04.2020 um 19:39
@Vibora
Eines der wenigen Bücher, welches ich mehrmals gelesen habe. Toller Roman!!! Viel Spaß!!!


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17.04.2020 um 19:40
@gardner

Hab schon angefangen mit lesen. Gefällt mir bisher recht gut.


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18.04.2020 um 07:53
@Vibora
Eins meiner Lieblingsbücher. Ganz grosses Kino. Und mit "nicht leicht zu lesen" ist sicher die Fülle an interessanten Informationen gemeint.


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18.04.2020 um 08:07
@abberline

Ja, ein wirklich tolles Buch. Hatte gestern Abend echt Schwierigkeiten, mit lesen aufzuhören. Aber etwas Schlaf brauch man dann und wann ja auch mal. Und heute komme ich wohl nicht zum Weiterlesen, darf arbeiten.😢


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18.04.2020 um 18:59
Das Geheimnis des Rosenkönigs (Wastl 1)

Wastl-1

Jetzt habe ich mal ein Uralt-Comic aus meiner Kindheit hervorgekramt. Als Technik noch Technik war und Männer wie Riegel aussahen. Ich hab's als Kind wegen des Humors (ist aus Belgien) geliebt, Superman und Batman waren mir einfach zu ernst.

Wastl saust auf einem fliegenden Motorroller, der immer wieder mal spinnt, durch die Lüfte, sein kindlicher Adlat Ricki ist obergescheit, und im Hauptquartier ist der verwirrte Professor Barabas mit seinem allwissenden Computer und eine leicht dümmliche Sekretärin namens Sidonie. Klischee pur, aber dennoch gebrochenes Klischee, nicht so richtig ernst zu nehmen.

Die erste Geschichte könnte aus einem Märchen sein: ein alternder König kann nur leben, wenn er den Duft einer Rosensorte einatmet, die nur auf einer fernen Insel mit Monsterleguanen wachsen. Und natürlich in seinem Schlossgarten. Da passiert es: Eine Raumsonde nimmt vom Mars versehentlich grünes, bewegliches Moos mit, das gierig auf diese Rosenart ist und sie im Garten des Königs abfrisst. Auch ist es so aggressiv, dass jeder angegriffen wird, der sich dem Marsmoos entgegenstemmt.

Wastl holt eine Rose von der Monsterleguaneninsel, Prof. Barnabas heilt die beim Marsmosskampf verletzte Rose und erfindet auch noch einen Anti-Moos-Spray, der gleichzeitig die Rose vermehren und Rosen auf Haaren wachsen lässt. Alles gut: Invasor vernichtet, König glücklich. Einzig dass Ricki und die Prinzessin nicht zusammenfinden, ist schon wieder ein Bruch des Klischees.

Witzig. Viel zu unbekannt ;)


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19.04.2020 um 18:08
Als eBook, da wesentlich günstiger:

1888 london Murdesr


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19.04.2020 um 18:27
Nach langen Jahren mal wieder rausgekramt. Wir alle die es in der Schule, als Ausgabe von Reclam, hatten haben es wohl nicht wirklich gemocht. Seit 25 Jahren liebe ich es und Storm als Schriftsteller allgemein....

Der Schimmelreiter


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19.04.2020 um 20:54
@Narrenschiffer
Wastl war super. Aus der Zeit las ich kürzlich erst wieder "Umpah-Pah", eine Comicreihe von Goscinny und Uderzo, die eigentlich der Vorläufer von Asterix war. Nur spielt die Geschichte in Nordamerika zur Kolonialzeit. Die "Gallier" sind hier Indianer um den klugen und starken Umpah-Pah, sowie diverse Figuren, die Vorbilder für Majestix, Troubadix, Verleihnix, die Piraten und Co wurden.
Die "Römer" sind französische und preußische Truppen mit Figuren wie Hubert von Täne oder Eitel Friedrich von und zu Guterletzt.


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20.04.2020 um 01:22
Zitat von abberlineabberline schrieb:"Umpah-Pah", eine Comicreihe von Goscinny und Uderzo
Die kannte ich noch nicht. Ich habe mir mal Bilder, die im Internet rumschwirren angesehen ... sehr cool. Asterix und Obelix haben sozusagen "Vorfahren".


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21.04.2020 um 13:48
bkbnhevsensc hungerhamsun


Ein Mensch wird zerrüttet. Körper und Seele im Hungerdelirium.
Einer, der sich "leicht wie eine Feder" fühlt, während er im nächsten Moment seinen eigenen Speichel als Nahrungsersatz herunterschluckt.
Was sich Bahn bricht: Leid, Wahn, Hoffnung, Stolz, Verfall. Hunger.

Auch dieses Buch lese ich nach vielen Jahren nun erneut, anders. Ergreifend bleibt es.


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24.04.2020 um 22:59
Revolverchuchi - Mordfall Stadelmann von Peter Hossli

Beschreibung:

Anhand erstmals zugänglicher Gerichtsakten zeichnet Peter Hossli "eines der grausamsten Verbrechen der schweizerischen Kriminalgeschichte" nach, wie Zeitungen den Mordfall Stadelmann damals beschrieben. Es ist das Jahr 1957. In der Schweiz boomt die Wirtschaft. Der russische Satellit Sputnik schockiert den Westen. Und Max Märki, 25, verheiratet, Vater dreier Kinder, Gipser aus dem Kanton Aargau, verliebt sich in die 20-jährige norwegische Hilfsköchin Ragnhild Flater. Gemeinsam wollen sie nach Amerika. Um das nötige Geld zu beschaffen, drehen sie ein krummes Ding. Vieles geht schief. Ein Mann stirbt. Ein Polizist blamiert sich. Ein Fluchtversuch scheitert. Ein Auto geht in Flammen auf. Die packende Rekonstruktion eines aufsehenerregenden Kriminalfalls und ein beklemmendes Zeitporträt im Stil des 'New Journalism'. In der akribisch recherchierten Erzählung offenbaren sich sämtliche Schattierungen des Menschseins.


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26.04.2020 um 13:45
Günther Rühle - Theater in Deutschland 1887-1945

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1500 Seiten Fließtext, 200 Seiten Zeitleiste, Bibliographie und Anmerkungen (etwa 2000) sind eine Ansage. Der Literaturkritiker und ehemalige Intendant des Schauspiels Frankfurt Günther Rühle hat als Neunzigjähriger den ersten Band seines Lebenswerk herausgegeben. Der zweite umfasst dann 2500 Seiten Fließtext!

Zentrum seines riesigen Überblicks ist Berlin, die "Provinz" wird eher gestreift, wenn dieses Wort überhaupt passend ist bei so einem umfassenden Werk.

Der Einstieg in die Theatergeschichte beginnt mit Ibsen, dem Naturalismus und Otto Brahm, womit das Deklamationstheater der Kaiserzeit immer mehr veraltet wird und aktuelle, moderne Themen aufgenommen werden. Begleitet werden neben Hauptmann weiters Schnitzler, Hofmannsthal, Wedekind und schließlich Strindberg und der Expressionismus. Als bedeutenden Intendanten und Vorreiter privater Theater bietet Rühle Max Reinhardt viel Platz.

Der zweite Schwerpunkt ist das Theater der Republik mit seinem Privattheaterboom, mit den politischen Zeitstücken der 20er Jahre, die schließlich in eine immer schärfere Scheidung zwischen rechtsradikalem und linksradikalem Theater mündet. Das liberale, das Individuum in den Mittelpunkt stellende Theater wird immer mehr an den Rand gedrängt. Beobachtet wird, dass das politische Theater links wie rechts sehr stark auf die Erfahrungen der Frontkämpfer zurückgreift und martialisches Handeln propagiert. Politisch zwar positioniert, aber eine Sonderstellung nimmt Bertolt Brecht ein, der noch in den 20er Jahren die Grundlagen für sein episches Theater entwickelt.

Einen Riss durch die Theaterwelt bildete die Kanzlerschaft Hitlers bzw. seine darauf folgende Machtergreifung. Ein Teil der Theaterwelt blieb in Deutschland für einen "Ritt auf dem Vulkan", viele jüdische und politisch links stehende Theatermenschen aller erster Güte flohen.

Privattheater wurden alle verstaatlicht, die Häuser von Max Reinhardt wurden zum Beispiel für ein Schnäppchen aufgekauft. Man konstruierte Steuerschulden, indem einfach nachträglich eine zu Republikszeiten nicht existierende Steuer für die Zeit von 1920 bis 1933 eingefordert wurde.

Unter den Verbliebenen bildeten Gustaf Gründgens, Heinz Hilpert und Jürgen Fehling, die - zumindest laut Aussage von Gründgens - versuchten, die Kunst als Kunst zu retten. Juden konnten sie nicht an ihren Theatern halten, aber sogeannte "jüdisch Versippte" (mit jüdischem Ehepartner). Dem von Goebbels geforderten "heroischen und stählern romantischen" Theater (8. Mai 1933) versuchten sie durch Spielpläne mit Klassikern ein Gegengewicht entgegenzusetzen.

Wie Grenzen ausgelotet wurden, ist von der Inszenierung von Shakespeares Richard III. durch Jürgen Fehling überliefert, der die Leibgarde des Königs in der SS nachgebildeten Uniformen auftreten ließ. Die Botschaft wurde verstanden, ein Zeuge davon ist Marcel Reich-Ranicki:
https://literaturkritik.de/id/21969

Das von Goebbels geforderte Theater stotterte dahin, die Texte waren schlichtwegs schlecht. Ausnahmen bildeten das (auch nicht so tolle) Stück Schlageter von Hanns Johst, die Thingspiele (am berühmtesten das Frankenburger Würfelspiel in der Waldarena von Berlin zu den Olympischen Spielen) und das Kriegsstück Das Dorf bei Odessa des SS-Kriegsberichterstatters Herbert Reinecker (1942). Reinecker wurde nach dem Krieg Drehbuchautor und schrieb mit den Serien Der Kommissar und Derrick Fernsehgeschichte.

Ansonsten war Theater mit vielen Klassikeraufführungen ein Schaufenster nach außen. Selbst im Krieg wurden in den besetzten Gebieten viele "Deutsche Theater" errichtet. Bis dann am 1. September 1944 Goebbels per Erlass sämtliche Theater im deutschen Herrschaftsgebiet schließen ließ.

Die jüdischen Theatermenschen hatten bis zur Reichspogromnacht noch die Möglichkeit, im Kulturbund Deutscher Juden Theaterhäuser zu organisieren. Zutritt nur für "Juden". In diesem abgeschlossenen Kreis hatten sie noch die Möglichkeit Stücke aufzuführen, die "draußen" nicht mehr gingen, so zum Beispiel Lessings Nathan der Weise. Ab 1939 war damit Schluss, der Kulturbund selbst wurde im September 1941 aufgelöst, deren Mitglieder waren zur Ermordung freigegeben und landeten großteils in Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Wer als Jude, Linker oder Liberaler konnte, ging bereits 1933 ins Ausland. Dies betraf Intendanten, Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler, Schriftsteller, Kritiker. Für viele war es sehr schwer, in einer fremdsprachigen Welt Fuß zu fassen. Auch musste ab 1939 wegen der Kriegsereignisse immer wieder der Fluchtort gewechselt werden. Einige wählten den Freitod, viele lebten unter prekären Verhältnissen, nur wenige konnten sich etablieren.

Max Reinhardt war als Regisseur international bereits in den 20er Jahren eine gefragte Persönlichkeit und wollte sowieso in die USA. Dort inszenierte er in Kalifornien Monumentalaufführungen von Shakespeares Mittsommernachtstraum, er war auch Regisseur einer Verfilmung. In New York gründete er eine Theaterschule.

Bertolt Brecht war durchgehend auf der Flucht und schaffte es im Frühjahr 1941 gerade noch vor dem deutschen Einmarsch durch die Sowjetunion und über den Pazifik in die USA. Er war durch seine Dreigroschenoper bereits international bekannt und schrieb sogar noch auf der Flucht Dramen, die in die Geschichte der Weltliteratur eingingen.

Carl Zuckmayer war berühmt wegen seines Leutnants von Köpenick, aber bei den Nationalsozialisten eine persona non grata. Er ging in die USA und kaufte in Vermont einen Bauernhof. Als er dort vom Tod seines Jugendfreundes Ernst Udet vernahm, schrieb er Des Teufels General, in dem er Nationalsozialisten, Mitläufer und Widerstand aufeinanderprallen lässt.

Ein besonderer Ort war das Züricher Schauspielhaus, ein Privattheater, das bis 1933 ausschließlich seichte Unterhaltung bot. Der Besitzer Ferdinand Rieser (ein Weingroßhändler) war aber sehr kunstinteressiert und so wurde jüdischen und linken Top-Schauspielern und -Regisseuren aus Deutschland die Möglichkeit geboten, ein Ensemble aufzubauen. Rieser und ab 1938 sein Nachfolger Oskar Wälterlin setzten all ihren Einfluss ein, dass dieses Ensemble nicht abgeschoben wird. So wurde das Schauspielhaus Zürich zu einem der bedeutendsten Theater im deutschsprachigen Raum, was es heute immer noch ist. So wurden zwei Stücke von Brecht uraufgeführt und Max Frisch brachte sein erstes Stück dort zur Aufführung. Somit wies Zürich nach vorne, in eine neue Epoche deutschsprachigen Theaters.


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29.04.2020 um 20:52
George Orwell - 1984

1984

Nach langer Zeit habe ich das Werk wieder gelesen und muss feststellen, dass die Gut/Böse-Erinnerung sehr trügerisch war. In diesem Werk gibt es kein Gut.

Die vorgestellte Sozialstruktur ist klassisch britisch: eine dreistufige Schichtengesellschaft. Eine kleine oligarchische Oberschicht, welche herrscht, eine auch nicht sehr breite Mittelschicht, die Verwaltungsaufgaben erfüllt, und eine degradierte, willenlose, arme Unterschicht ("Proles"), die 85 % der Bevölkerung ausmacht.

Diese Dreiteilung sei inhärent für alle Gesellschaftsformen, nur die Herrschaft des inneren Zirkels der Partei sei in Ozeanien gebenüber den Vorläufern Nationalsozialismus und Stalinismus perfektioniert worden. Der Reichtum der Oberschicht sei nicht mehr privat, sondern kollektiv, aber nur der durch eine Aufnahmeprüfung als 16-Jähriger zugänglichen inneren Sphäre der Partei zugänglich. Der innere Kreis sei damit frei von Neid und Konkurrenz, kann aber seinem Begehr nachgehen: Macht um der Macht willen, Gewalt um der Gewalt willen, Herrschaft um der Herrschaft willen, Folter um der Folter willen. Es gibt keinen äußeren Zweck mehr, es wird kein Paradies vorgegaukelt, kein Traum einer reichen Gemeinschaft von Gleichen, kein Traum einer Volksgemeinschaft.

Alles außerhalb des inneren Kreises haben sich der Entmenschlichung zu beugen. Liebe darf nur mehr für den Großen Bruder empfunden werden (auch die Liebe zwischen Menschen wird unterdrückt), ansonsten dominiert der Hass. Der Hass gegen Andersdenkende, der Hass gegen eine angebliche Untergrundorganisation Goldsteins, der Hass gegen die ständig wechselnde Kriegspartei (Eurasien oder Ostasien). Die Mittelschicht hat zu funktionieren und wird von der Staatssicherheit (Minilieb/Ministerium für Liebe) permanent überwacht: durch nicht ausschaltbare Teleschirme mit Kameras und Mikrofonen, durch Kameras und Mikrofone im öffentlichen Raum. Die Proles werden gar nicht überwacht, sie werden durch Alkohol, Spiel und seichte Unterhaltung dumpf gehalten. Außerdem sind sie wegen der Mangelwirtschaft permanent gezwungen, Dingen des alltäglichen Gebrauchs hinterherzulaufen.

Nur gibt es keinen Ausweg: jede andere Gesellschaftsform gebiert wieder diese drei Schichten der Gesellschaft. So Orwells sehr düstere Philosophie.

Wie ist es nun mit den Haupthelden? Julia ist nach außen das perfekte junge Mädchen, die ihr Leben nach den Regeln der Partei gestaltet. Selbst jagt es aber eigensüchtigen Vergnügungen nach, vor allem Sexabenteuern. Sie ist keine intellektuelle Rebellin. Eigentlich ziemlich unsympathisch. Und Winston Smith? Er wird als egomanisches Kind gezeichnet, der seiner verhungernden kleinen Schwester noch das letzte Stück Schokolade entreißt. Und beide würden lieber die andere Person gefoltert sehen, als sie in Raum 101 mit ihren Urängsten konfrontiert werden. Winston mit gierigen, hungrigen, Fleisch fressenden Ratten.

Nicht ganz logisch erscheint mir der Teil, als Winston und Julia zu O'Briens Wohnung gehen, einem Mitglied der inneren Partei, weil Winston sich einbildet, er sei Mitglied der Untergrundbewegung Goldsteins. Freimütig bekennen Winston und Julia sich auch dazu, für die Untergrundbewegung zu morden, Terroranschläge zu verüben, Kinder zu verstümmeln. Nein, das sind keine positiven Helden. Alles, was Orwell uns präsentiert, ist Hölle.

Eine weitere Ebene ist, dass die Partei nicht nur in die Gedankenwelt der Mittelschicht eindringen und sie durch Gewalt formen will, sodass die Liebe zum Großen Bruder wirklich empfunden und Absdruses als wahr, wenn die Partei es will (2+2=5). Es soll Widersprüchliches als logisch erscheinen, je nach Situation das eine oder das andere als richtig gesehen werden (Doppeldenk).

Der nächste Schritt ist die Vereinfachung der Sprache (Neusprech). Damit soll erreicht werden, dass Assoziationen und Konnotationen verloren gehen. Nicht nur dass das Geschichtsfälschungsministerium "Ministerium für Wahrheit" genannt wird (der Gegensatz wird ausgedrückt, wie beim Staatssicherheitsminnisterium "Ministerium für Liebe", deren Hauptbeschäftigung Folter "Liebe" genannt wird). Es geht weiter: diese Ministerium werden abgekürzt zu Miniwahr und Minilieb, um Assoziationen zu vermeiden. Auch gibt es keine Wörter mehr für Humanismus, Gleichberechtigung usw. Dies alles wird im Begriff "Deldenk" (= Gedankenverbrechen) subsumiert, ohne dass noch wahrgenommen wird, was denn nun Gedankenverbrechen seien.

In seinen Anmerkungen schreibt Orwell, dass die Idee des Neusprech sich mit dem Abkürzungswahn totalitärer Regime entwickelt habe und mit der Frage, warum so viele Begriffe abgekürzt werden. Die Antwort erschloss sich ihm beim Begriff "Komintern" (Kommunistische Internationale). Damit sei jegliche Assoziation mit den Begriffen "Kommunismus" und "Internationalismus" ausgelöscht, es bleibt die Bezeichnung einer stalinistischen Organisation zurück. Die Ansichten der Organisation seien das Wahre, nicht was ein Mitglied mit "Kommunismus" oder "Internationalismus" verbindet. Sprache als Vehikel totalitären Machtanspruchs.

Immer noch eine faszinierende Lektüre, weil scheinbare Schwächen sich aus dem Logischen der Welt Ozeaniens ergeben. Dort, wo man Postivies erwartet, wird diese Erwartung gebrochen. Es gibt nichts Positives.


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30.04.2020 um 12:09
Passend zu heute:

Gustav Meyrink:Walpurgisnacht
Otfried Preussler: Die kleine Hexe
H. P. Lovecraft: Hexensabbat
J. W. Goethe: Faust
Ludwig Tieck: Der Hexensabbat
Abdul Alhazred: Das Necronomicon

Hat noch jemand Tips?


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30.04.2020 um 12:26
Zitat von abberlineabberline schrieb:Hat noch jemand Tips?
Wenn es etwas ältere Literatur sein darf kann ich "Die Pest" von Albert Camus empfehlen. Da sieht man einige parallelen zur jetzigen Zeit, gleichzeitg bei einer weitaus schlimmeren Krankheit.
Ist wirklich interessant

Edit: aber ich glaub du suchst Tips speziell für dieses Genre oder? :D


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30.04.2020 um 12:30
@Ldex97
Nee zum Tag... Walpurgisnacht😉 aber danke, das klingt düster genug.


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