http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-pistorius-reeva-steenkamps-tod-erschuettert-suedafrika-a-883691.htmlTodesschüsse auf Freundin: Pistorius spricht von schrecklicher Tragödie
Von Benjamin Dürr, Pretoria
Die Staatsanwaltschaft wirft Oscar Pistorius Mord vor. Doch der Spitzensportler hat die Schuld am Tod seiner Freundin Reeva Steenkamp bestritten. In Südafrika lenkt der Fall die Aufmerksamkeit auf ein riesiges Problem: Gewalt gegen Frauen.
Auf dem Rücksitz des Polizeigeländewagens konnte Oscar Pistorius sich noch unter einer Jacke verstecken. Später, in Saal C des Gerichts in Pretoria, stand der Mann ungeschützt vor der Weltöffentlichkeit. Er hörte, der Staat Südafrika klage ihn wegen Mordes an. Dann begann er zu schluchzen und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Kameras klickten.
Gewalt, besonders gegen Frauen, ist in Südafrika allgegenwärtig - und Waffen sind es auch: Geschätzte sechs Millionen Handfeuerwaffen sind im Umlauf. Täglich werden in Südafrika fast 50 Menschen ermordet. Der Großraum Johannesburg und Pretoria gilt als einer der gefährlichsten Orte der Welt. Alle acht Stunden werde eine Frau von ihrem Lebensgefährten getötet, so die Anti-Waffen-Bewegung "Gun Free South Africa".
Steenkamps Tod wühlt Südafrika auf. Manche glauben, Pistorius habe - so wie früh in südafrikanischen Medien berichtet - seine Freundin möglicherweise mit einem Einbrecher verwechselt und versehentlich getötet. Doch viele glauben nicht an ein Versehen. Bisher sind nur wenig Fakten bekannt: Reeva Steenkamp wurde am Donnerstag tot aufgefunden; die Tatwaffe ist auf Oscar Pistorius zugelassen, der mit Steenkamp wohl allein im Haus war. Und: Die Polizei war schon einmal wegen eines Zwischenfalls gerufen worden.
Inzwischen entsteht ein Bild von Pistorius, das im Widerspruch zur bisherigen öffentlichen Wahrnehmung steht. An seinem Bett habe stets ein Baseballschläger gestanden, berichteten südafrikanische Medien. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, habe er Schießen geübt.
Er wurde als "Blade Runner" gefeiert
Pistorius galt in Südafrika als Held und weltweit als Inspiration für Menschen mit Behinderung. Er trat als erster beidseitig amputierter Sportler bei den Olympischen Spielen an, holte 2012 bei den Paralympics Gold und stellte einen paralympischen Rekord auf. Er wurde als "schnellster Mensch ohne Beine" und "Blade Runner" gefeiert.
Es geht inzwischen aber nicht mehr nur um den Absturz eines Sporthelden und den tragischen Tod eines Models - sondern um Gewalt gegen Frauen in einem viel größeren Zusammenhang. Im Onlineportal Daily Maverick schreibt Rebecca Davis, Pistorius' Heldenstatus dürfe nicht blind machen. Die Fakten deuteten auf eines hin: "einen grausamen Akt häuslicher Gewalt". Südafrika ist verrückt nach Helden und nach Sport. Davis schreibt, Athleten würden als die "männlichsten Männer" gefeiert. Aggressive, testosterongesteuerte Männlichkeit habe einen hohen Stellenwert.
Oscar Pistorius' Freundin sei nur eine von rund 2500 Frauen, die jedes Jahr in Südafrika ermordet würden, sagte Lerato Moloi vom Institute of Race Relations. Sie hoffe, dass nun das Problem der Gewalt gegen Frauen zum Thema werde, erklärte Moloi der Tageszeitung "Mail&Guardian".
Erst vor ein paar Tagen löste der Fall von Anene Booysen Entsetzen aus. Das Mädchen war von einer Gruppe Jugendlicher um ihren Ex-Freund vergewaltigt worden. Sie wurde so schwer verletzt, dass sie wenig später starb. Seither ist das Land nicht mehr zur Ruhe gekommen. Frauen haben zum "BlackFriday" aufgerufen, um an Anene Booysen zu erinnern.
Auch Reeva Steenkamp, die getötete Freundin von Oscar Pistorius, engagierte sich gegen sexuelle und häusliche Gewalt: "Tragt schwarz im Kampf gegen Vergewaltigung und Frauenmissbrauch #blackfriday", twitterte sie. Wenig später war sie tot.