@Themis Wenn ich das lese bekomme ich das Kotzen,was für ein abartiger TYP!
Prototyp eines Killers
Montag, 19.09.2011, 00:00 · von FOCUS-Redakteur Göran Schattauer
dpa Ein Bild von Mary-Jane vor dem Eingang ihres Wohnhauses
Er lebte unauffällig, hatte Kinder, einen Job und scheinbar keine unheimlichen Neigungen – und doch entspricht der Mörder von Mary-Jane geradezu perfekt dem Profil eines Sexverbrechers
Am 24. Juni verschwand die siebenjährige Mary-Jane, Spitzname „Maja“, aus der thüringischen Kleinstadt Zella-Mehlis. Eines der letzten Lebenszeichen lieferte eine Überwachungskamera. Sie filmte das Mädchen um 16.10 Uhr in der Nähe des Marktes. Wenig später wurde sie von zwei Kindern gesehen – neben einem Mann mit roter Basecap.
Es war jener Mann, der sie kurz darauf sexuell missbrauchte und ermordete. Vergangene Woche erhob die Staatsanwaltschaft Meiningen Anklage gegen den 37 Jahre alten Tino L.
Lückenlos haben die Fahnder rekonstruiert, wie der Beschuldigte das Mädchen abfing und in seine Wohnung lockte. Sie wissen, was er Mary-Jane im Badezimmer antat und mit welcher Heimtücke er sie umbrachte.
Auch auf eine Frage, die sich nach jedem Kindermord stellt, fanden die Ermittler eine Antwort: Hätte man die Gefährlichkeit des Täters im Vorfeld erkennen können, gar müssen? Die Antwort lautet: nein.
Tino L. war ganz und gar unverdächtig. Er führte ein sozial angepasstes und scheinbar normales Leben.
Der Sohn einer Fleischverkäuferin und eines Schlossers verließ die Schule nach der achten Klasse. Er absolvierte eine Metzgerlehre und ging zur Bundeswehr, anschließend jobbte er jahrelang in einer Fleischerei. Er ist Vater zweier Kinder, bis vor wenigen Jahren war er verheiratet.
Die Miete für seine Plattenbau-Wohnung zahlte er pünktlich. Er ging einer geregelten Arbeit nach und zischte nach Feierabend gern ein Bier mit Kumpels. Am liebsten schaute er sich im Fernsehen Formel-1-Rennen an.
Besuche auf Kinderporno-Seiten im Internet? Tino L. besaß nicht mal einen Computer. Einschlägige Magazine? Die Polizei entdeckte nichts dergleichen. Alarmierende Hinweise aus seinem Umfeld an die Behörden? Fehlanzeige.
Der Psychiater Peter Kudlacek, der den Beschuldigten für das anstehende Gerichtsverfahren untersuchte, hält Tino L. denn auch für keinen klassischen Pädophilen. Vielmehr liege bei ihm eine „sekundäre pädophile Störung“ vor. Diese unterschwellige Veranlagung sei von ihm selbst womöglich lange Zeit „nicht registriert“ worden. Erst in den vergangenen zwei Jahren, nach vielen persönlichen Rückschlägen, habe er Fantasien entwickelt, in denen es um Sex mit Minderjährigen ging.
Ein Kleinkrimineller, der immer wieder auffiel
Niemand kam auf die Idee, Tino L. für einen potenziellen Kinderschänder zu halten.
Erst im Rückblick wird klar: Er entsprach exakt dem Profil eines typischen Sexverbrechers. Denn die meisten Vergewaltiger und Sexualmörder fallen zuvor als Schwarzfahrer, Ladendiebe, Autoknacker, Schläger oder Betrüger auf.
Auch Mary-Janes Mörder verstieß notorisch gegen Gesetze. Im Bundeszentralregister finden sich sechs Einträge: Trunkenheit am Steuer, Fahren ohne Führerschein, fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr, Urkundenfälschung, Betrug und Diebstahl, Drogenhandel. Mehr als zwei Jahre saß er im Gefängnis. Seine Bewährungszeit wäre wenige Tage nach dem Mord an Mary-Jane abgelaufen.
Was ihn zu der Tat trieb, könne er sich nicht erklären, behauptete Tino L. nach seiner Verhaftung. Vermutlich habe sein „Gehirn ausgesetzt“. Laut Anklage hatte er freilich schon Wochen zuvor den Entschluss gefasst, das Mädchen zu vergewaltigen und zu töten.
Am Nachmittag des 24. Juni kehrte Tino L. von der Arbeit in einer Wäscherei nach Hause zurück. Er sah die RTL-Sendung „Verdachtsfälle“ an, rauchte Zigaretten und trank zwei Flaschen Bier. Bei dieser Gelegenheit, so gab er später zu Protokoll, habe er sich entschlossen, Mary-Jane „abzufangen“.
Er kannte sie flüchtig. Ende 2010 hatte er einen früheren Gefängniskumpel besucht, der bei Mary-Janes Mutter wohnte. So lernte er zufällig auch deren Tochter kennen. Später sah er sie öfters auf dem Nachhauseweg von der Schule. Sie kam immer um dieselbe Zeit an seinem Stammcafé vorbei: kurz nach 16 Uhr.
Auch heute, so hoffte er, würde er sie dort treffen. Viertel vor vier verließ Tino L. seine Wohnung und lief zu einer Bäckerei in der Nähe des Marktes. Er trug Jeans, T-Shirt und eine hellgraue Stoffjacke. Seinen Kopf bedeckte ein Basecap mit Ferrari-Emblem.
Schon von Weitem sah er Mary-Jane. Er fragte, ob sie seine Wohnung sehen wolle. Sie antwortete: „Ja, okay.“
Zu Hause reichte Tino L. dem Kind ein Glas Cola light und schaltete einen Kinderfilm ein. Mary-Jane saß in ihrem Sweatshirt mit dem Aufdruck „The Sunshine Princess“ auf der Couch, er im Sessel. Zwei Stunden später bot er der Siebenjährigen an, dass sie ein Bad nehmen könne. Sie willigte ein.
Heimtückisch und eiskalt: »Ich muss sie wegräumen«
Mit seiner Handy-Kamera machte er Fotos von ihr, dann missbrauchte er sie in der Wanne. Anschließend schmierte er Mary-Jane zwei mit Salami belegte Toastbrote, er selbst trank Bier und knabberte Erdnüsse. Im Fernsehen lief Kinderprogramm.
Um diese Zeit suchte die Polizei nach dem Mädchen. Mary-Janes allein erziehende Mutter, eine 28-jährige Hartz-IV-Empfängerin, hatte ihre Tochter um 19 Uhr als vermisst gemeldet. Der Fall bekam sein erstes Aktenzeichen: 1701.
Niemand ahnte, dass Mary-Jane nur 100 Meter von zu Hause entfernt war, in der Gewalt eines Sextäters.
Warum sie aus freien Stücken mit einem nahezu Fremden mitgegangen war, erklären sich die Ermittler mit der „nicht idealen familiären Situation“. Das Kind sei oft auf sich allein gestellt gewesen, liebebedürftig und „Zuwendungen gegenüber sehr offen“.
Gegen 21.30 Uhr forderte Tino L. sein Opfer auf, schlafen zu gehen. Er selbst blieb vorm Fernseher sitzen, trank Bier und drei Flaschen „Kleiner Feigling“. Bevor er sich um Mitternacht hinlegte, stellte er den Wecker auf 3.30 Uhr. Im Bett sei ihm klar geworden, dass er „einen großen Fehler“ begangen habe, sagte der Täter im Polizeiverhör. Er habe Panik bekommen und gedacht, er müsse Mary-Jane „loswerden“ und „wegräumen“.
Nach dem Aufstehen nahm Tino L. den Gürtel eines weißen Bademantels, den er bei seinem Arbeitgeber gestohlen hatte, aus dem Schrank. Er zog sich an, kochte Kaffee und weckte das Mädchen. Unter dem Vorwand, er werde sie zu einem Kollegen bringen, weil er selbst zur Arbeit müsse, brachte er Mary-Jane gegen vier Uhr morgens aus der Wohnung.
Schweigend liefen sie über Wiesen und kletterten Hänge hinauf. Mehrmals knipste Tino L. sein Feuerzeug an, um den Weg auszuleuchten. Nach einem knapp 30-minütigen Marsch über 1,6 Kilometer hielten sie am Rand eines Waldes an. Sie schnauften. Mary-Jane schaute in Richtung einer Kuhherde.
Die Tiere, deren Konturen sich in der Morgendämmerung abzeichneten, waren das Letzte, was sie sah. Tino L. trat von hinten an das Kind heran. Er griff in die linke Innentasche seiner Wildlederjacke, zog den Bademantelgürtel heraus und warf ihn über den Kopf des Mädchens.
Mary-Jane bekam keine Luft mehr. Sie wurde bewusstlos und sackte zusammen. Ihr Peiniger trug sie zu einem wenige Meter entfernten Bachlauf. Weil er sichergehen wollte, dass Mary-Jane stirbt, drehte er ihr Gesicht in das 15 Zentimeter tiefe Wasser.
Rechtsmediziner der Universität Jena stellten später fest, dass Mary-Jane nach der Drosselung „noch geatmet und somit gelebt hat“. Hätte der Täter sie auf der Wiese liegen lassen, wäre sie höchstwahrscheinlich ohne bleibende Hirnschäden geblieben. Als „todesursächlich“ sei das Ertrinken anzusehen.
Nachdem der Mörder sein Opfer im zwölf Grad kalten Wasser abgelegt hatte, schaute er auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 4.45 Uhr. Tino L. rannte los. Er wollte rechtzeitig zu Schichtbeginn um sechs Uhr auf Arbeit sein.
Als er am Nachmittag nach Hause kam, kreiste ein Hubschrauber über dem Neubaugebiet. Wenn der Rettungshelikopter so lange in der Luft bleibt, werde „der Patient bestimmt schon tot sein“, sagte er feixend zu seinem Nachbarn. In seiner Wohnung zerschnitt er Mary-Janes Ranzen und versteckte die Schnipsel im Keller eines Hausbewohners. Den Inhalt der Schultasche warf er in den Müll.
Vier Tage später verhörte die Polizei Tino L. als Zeugen. Die Fahnder wussten, dass er Mary-Jane und deren Mutter kannte. Er gab an, das Mädchen seit Längerem nicht gesehen zu haben. Zu dem Mord könne er „keine sachdienlichen Hinweise“ liefern.
Am Ende fragte der Kripo-Mann den Zeugen, ob er „auf freiwilliger Basis“ eine Speichelprobe abgeben wolle. Tino L. stimmte zu. Seine DNA wurde als Spur „VM 17.1.11“ registriert.
Es war die Spur, die ihn als Mörder überführte. Sein Genmuster fand sich am Leichnam des Mädchens.
Experte warnt: »Hohes Risiko für weitere vergleichbare Delikte«
„Die Beweislast ist erdrückend“, weiß Karl-Heinrich Abendschein, der Tino L. verteidigt. „Mein Mandant hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er bereut die Tat und wünscht sich, er könnte sie rückgängig machen.“
Dass Tino L. in den entscheidenden Stunden stark betrunken gewesen sein könnte, schließen Rechtsmediziner aus. Nach ihren Berechnungen hatte er zum Zeitpunkt des Missbrauchs maximal 0,89 Promille Alkohol im Blut, während des Mordes maximal 0,57 Promille.
Psychiater Kudlacek hält den Täter, der über einen IQ von gerade mal 84 verfügt, für voll schuldfähig. Eine Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit sei ausgeschlossen, so der Forensiker. Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit lägen nicht vor.
Solange Tino L. seine pädophile Neigung leugne, bestehe die „erhebliche Gefahr“, dass er weitere Kinder missbraucht, so Kudlacek. Er sehe ein „hohes Risiko für weitere vergleichbare Delikte“.
Die Staatsanwaltschaft strebt an, dass die Richter bei der Verurteilung zu lebenslanger Haft die besondere Schwere der Schuld feststellen. In dem Fall könnte Tino L. nicht mit einer vorzeitigen Entlassung nach 15 Jahren rechnen.
Mary-Jane hatte, wie viele Kinder ihres Alters, ein Freundebuch angelegt. Als Hobbys gab sie Malen, Klettern und Albern an, als Lieblingsfilm „Ice Age“, als Lieblingsort Spielplatz.