Corydalis
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Florida 2018: Rätselhafter toter Wanderer "Mostly Harmless"
22.11.2020 um 22:25Seit 2018 beschäftigt ein merkwürdiger Fall in den USA die Internetcommunnitys, die Medien und auch die Behörden:
Am 23.07.2018 finden zwei Wanderer an einem Wanderpfad in der Wildnis Floridas in einem gelben Zweimannzelt die teilweise verweste Leiche eines Mannes. Die Fundstelle befindet sich einsam im Nationalpark Cypresse National Preserve. Allerdings ist die Zivilisation eigentlich nicht allzu weit weg; gut 8 km entfernt verläuft ein Highway.
Am Fundort und an der Leiche deutet nichts auf Fremdbeteiligung hin. Die Obduktion ergibt keine klare Todesursache. Und es gibt null Anhaltspunkte, um wen es sich handelt. Der Tote, der stark abgemagert war (ca 37 kg bei 1,72 m), hat nichts dabei, das seine Identifizierung ermöglichen könnte. Keine Ausweise, keine Bankkarten, kein Handy. Auch keine passende Vermisstenanzeige ist bekannt.
Im Zelt werden unter anderem gut 3.500 Dollar in bar gefunden, und ein Heft mit handschriftlichen Notizen zu einem Online-Programmierspiel ("Screep"), aber nichts, was auf die Identität des Toten hinweist.
Die Behörden versuchen, die Identität des Unbekannten zu ermitteln, indem sie Datenbanken abgleichen - Fingerabdrücke, DNA, Vermisstenanzeigen -, alles ergebnislos. Es wird öffentlich gefahndet und über den Fall in den Nachrichten berichtet.
Nach und nach melden sich eine ganze Reihe Zeugen, die seit Frühjahr 2017 jeweils mehr oder weniger kurz Kontakt mit dem Unbekannten hatte. Sie begegneten ihm beim Wandern, und zwar viele auf dem Appalachian Trail, einem 3.500 km langen Fernwanderweg, der vom Mount Katahdin (Maine) nach Süden bis zum Springer Mountain in Giorgia führt.
Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass der Mann im April 2017 nördlich von New York City allein zu Fuß aufgebrochen ist, den gesamten Appalachentrail gelaufen ist, und dann weiter zu Fuß nach Florida gewandert ist, wo er im Januar eintraf und dann im Juni oder Juli 2018 ca. 700 bis 800 km weiter südlich verstarb.
Von Zeugen wird er als ausgesprochen freundlich, sympathisch, kultiviert und gebildet wirkend beschrieben. Mit manchen wanderte ein Stück, mit anderen saß er abends am Lagerfeuer. Er wird als offen und durchaus gesprächig geschildert. Aber niemand kann sich an irgendwelche von ihm erzählten konkreten Einzelheiten erinnern, die seine Identität aufdecken könnten. Niemand kennt seinen Namen; er hat offenbar, was unter Wanderern auf solchen Fernwanderwegen in den USA nicht unüblich zu sein scheint, nur selbst erfundene Spitznamen verwendet: Anfangs "Denim", später "Mostly Harmless", möglicherweise eine Anspielung auf den fünften Band der Romanreihe "Per Anhalter durch die Galaxis", der genau diesen Titel trägt.
Mehreren Zeugen erzählte er, er habe kein Handy dabei, weil er "digital detox" machen wolle. Einem anderen erzählte er, er wolle bis zu den Florida Keys laufen. Einige bruchstückhafte Informationen, die er beiläufig mitgeteilt hat - u.a., dass er aus dem Raum New York komme und in der Technikbranche arbeite, und Verwandtschaft in Saratoga (Kalifornien) habe - wurden als Ermittlungsansätze hergenommen, führten aber nicht weiter.
Zeugen übermittelten auch eine ganze Menge Schnappschüsse, die den Unbekannten wunderbar deutlich abbilden. Zumindest auf den zu Anfang entstandenen Fotos wirkt er freundlich, sympathisch, ziemlich gutaussehend und gepflegt; auf später entstandenen Bildern ist sein Bart so stark gewachsen, dass vom Gesicht nicht mehr viel zu erkennen ist.
Die Fotos werden veröffentlicht, sind Gegenstand von Fahndung und Medienberichterstattung, sie werden in Facebook und anderen Communities geteilt, in Foren diskutiert. Aber es meldet sich niemand, der sagt "den kenne ich, das ist ...". Kein Angehöriger, kein Freund, keine Exfreundin, kein Nachbar, kein Kollege. Niemand, bis heute.
Derzeit wird durch umfangreiche DNA-Analysen versucht, seiner Identität auf die Spur zu kommen; Ergebnisse sollen voraussichtlich noch in diesem Jahr vorliegen.
Die allermeisten Artikel zu diesem Fall, auf den ich vor einigen Wochen auf reddit gestoßen bin, sind auf Englisch, hier mal zwei:
https://www.wired.com/story/nameless-hiker-mostly-harmless-internet-mystery/
https://www.google.com/amp/s/amp.naplesnews.com/amp/5480540002
In Google findet man auf Englisch sehr viel. Mittlerweile gibt es auch einige (allerdings kurze) Artikel auf Deutsch, wobei sich alles, was ich auf Deutsch gefunden habe, stark ähnelt und mehr oder weniger eine Zusammenfassung des wired-Artikels ist, z.B.:
https://www.google.com/amp/s/www.derstandard.de/story/2000121459692/raetsel-um-mysterioes-verstorbenen-wanderer-beschaeftigt-das-netz%3famplified=True
Hier noch was zum Appalachentrail, auf Deutsch:
Wikipedia: Appalachian Trail
Wie kann es sein, dass jemand, der anscheinend bei guter Gesundheit und ohne psychische Auffälligkeiten über viele Monate eine extrem weite Strecke unbeschadet gewandert ist (und daher über ausreichend Outdoor-Kompetenz verfügt haben muss), ab einem bestimmten Zeitpunkt offenbar seine Basisversorgung nicht mehr geregelt bekommt und relativ kurz vor seinem Ziel, nicht allzu weit weg von der Zivilisation, in seinem Zelt elend umkommt?
Und vor allem: warum erkennt ihn niemand? Oder, wenn ihn Leute erkennen, warum melden sie sich nicht?
Nur zum Vergleich: Als Christopher McCandless im Jahr 1992 - deutlich vor dem Internetzeitalter - in der Wildnis Alaskas verhungert aufgefunden wurde, war laut dem oben verlinkten Wired-Artikel anfangs auch nicht bekannt, um wen es sich handelt. Schon nach zwei Wochen wurde es klar, weil sich seine Familie und Freunde wegen der Berichterstattung über den Leichenfund bei den Behörden meldeten.
Wen es interessiert, hier noch ein Link zum Fall McCandless:
Wikipedia: Christopher McCandless
Am 23.07.2018 finden zwei Wanderer an einem Wanderpfad in der Wildnis Floridas in einem gelben Zweimannzelt die teilweise verweste Leiche eines Mannes. Die Fundstelle befindet sich einsam im Nationalpark Cypresse National Preserve. Allerdings ist die Zivilisation eigentlich nicht allzu weit weg; gut 8 km entfernt verläuft ein Highway.
Am Fundort und an der Leiche deutet nichts auf Fremdbeteiligung hin. Die Obduktion ergibt keine klare Todesursache. Und es gibt null Anhaltspunkte, um wen es sich handelt. Der Tote, der stark abgemagert war (ca 37 kg bei 1,72 m), hat nichts dabei, das seine Identifizierung ermöglichen könnte. Keine Ausweise, keine Bankkarten, kein Handy. Auch keine passende Vermisstenanzeige ist bekannt.
Im Zelt werden unter anderem gut 3.500 Dollar in bar gefunden, und ein Heft mit handschriftlichen Notizen zu einem Online-Programmierspiel ("Screep"), aber nichts, was auf die Identität des Toten hinweist.
Die Behörden versuchen, die Identität des Unbekannten zu ermitteln, indem sie Datenbanken abgleichen - Fingerabdrücke, DNA, Vermisstenanzeigen -, alles ergebnislos. Es wird öffentlich gefahndet und über den Fall in den Nachrichten berichtet.
Nach und nach melden sich eine ganze Reihe Zeugen, die seit Frühjahr 2017 jeweils mehr oder weniger kurz Kontakt mit dem Unbekannten hatte. Sie begegneten ihm beim Wandern, und zwar viele auf dem Appalachian Trail, einem 3.500 km langen Fernwanderweg, der vom Mount Katahdin (Maine) nach Süden bis zum Springer Mountain in Giorgia führt.
Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass der Mann im April 2017 nördlich von New York City allein zu Fuß aufgebrochen ist, den gesamten Appalachentrail gelaufen ist, und dann weiter zu Fuß nach Florida gewandert ist, wo er im Januar eintraf und dann im Juni oder Juli 2018 ca. 700 bis 800 km weiter südlich verstarb.
Von Zeugen wird er als ausgesprochen freundlich, sympathisch, kultiviert und gebildet wirkend beschrieben. Mit manchen wanderte ein Stück, mit anderen saß er abends am Lagerfeuer. Er wird als offen und durchaus gesprächig geschildert. Aber niemand kann sich an irgendwelche von ihm erzählten konkreten Einzelheiten erinnern, die seine Identität aufdecken könnten. Niemand kennt seinen Namen; er hat offenbar, was unter Wanderern auf solchen Fernwanderwegen in den USA nicht unüblich zu sein scheint, nur selbst erfundene Spitznamen verwendet: Anfangs "Denim", später "Mostly Harmless", möglicherweise eine Anspielung auf den fünften Band der Romanreihe "Per Anhalter durch die Galaxis", der genau diesen Titel trägt.
Mehreren Zeugen erzählte er, er habe kein Handy dabei, weil er "digital detox" machen wolle. Einem anderen erzählte er, er wolle bis zu den Florida Keys laufen. Einige bruchstückhafte Informationen, die er beiläufig mitgeteilt hat - u.a., dass er aus dem Raum New York komme und in der Technikbranche arbeite, und Verwandtschaft in Saratoga (Kalifornien) habe - wurden als Ermittlungsansätze hergenommen, führten aber nicht weiter.
Zeugen übermittelten auch eine ganze Menge Schnappschüsse, die den Unbekannten wunderbar deutlich abbilden. Zumindest auf den zu Anfang entstandenen Fotos wirkt er freundlich, sympathisch, ziemlich gutaussehend und gepflegt; auf später entstandenen Bildern ist sein Bart so stark gewachsen, dass vom Gesicht nicht mehr viel zu erkennen ist.
Die Fotos werden veröffentlicht, sind Gegenstand von Fahndung und Medienberichterstattung, sie werden in Facebook und anderen Communities geteilt, in Foren diskutiert. Aber es meldet sich niemand, der sagt "den kenne ich, das ist ...". Kein Angehöriger, kein Freund, keine Exfreundin, kein Nachbar, kein Kollege. Niemand, bis heute.
Derzeit wird durch umfangreiche DNA-Analysen versucht, seiner Identität auf die Spur zu kommen; Ergebnisse sollen voraussichtlich noch in diesem Jahr vorliegen.
Die allermeisten Artikel zu diesem Fall, auf den ich vor einigen Wochen auf reddit gestoßen bin, sind auf Englisch, hier mal zwei:
https://www.wired.com/story/nameless-hiker-mostly-harmless-internet-mystery/
https://www.google.com/amp/s/amp.naplesnews.com/amp/5480540002
In Google findet man auf Englisch sehr viel. Mittlerweile gibt es auch einige (allerdings kurze) Artikel auf Deutsch, wobei sich alles, was ich auf Deutsch gefunden habe, stark ähnelt und mehr oder weniger eine Zusammenfassung des wired-Artikels ist, z.B.:
https://www.google.com/amp/s/www.derstandard.de/story/2000121459692/raetsel-um-mysterioes-verstorbenen-wanderer-beschaeftigt-das-netz%3famplified=True
Hier noch was zum Appalachentrail, auf Deutsch:
Wikipedia: Appalachian Trail
Wie kann es sein, dass jemand, der anscheinend bei guter Gesundheit und ohne psychische Auffälligkeiten über viele Monate eine extrem weite Strecke unbeschadet gewandert ist (und daher über ausreichend Outdoor-Kompetenz verfügt haben muss), ab einem bestimmten Zeitpunkt offenbar seine Basisversorgung nicht mehr geregelt bekommt und relativ kurz vor seinem Ziel, nicht allzu weit weg von der Zivilisation, in seinem Zelt elend umkommt?
Und vor allem: warum erkennt ihn niemand? Oder, wenn ihn Leute erkennen, warum melden sie sich nicht?
Nur zum Vergleich: Als Christopher McCandless im Jahr 1992 - deutlich vor dem Internetzeitalter - in der Wildnis Alaskas verhungert aufgefunden wurde, war laut dem oben verlinkten Wired-Artikel anfangs auch nicht bekannt, um wen es sich handelt. Schon nach zwei Wochen wurde es klar, weil sich seine Familie und Freunde wegen der Berichterstattung über den Leichenfund bei den Behörden meldeten.
Wen es interessiert, hier noch ein Link zum Fall McCandless:
Wikipedia: Christopher McCandless