Dorota Galuszka-Granieczny aus Heinsberg vermisst
16.11.2016 um 18:07
Hallo Community,
da in der letzten Zeit mal wieder die Spekulationen zunehmen und manche Beiträge eher an John Wayne als an Objektivität erinnern, möchte ich gerne einen Einblick in die Komplexität der Ermittlungen von Detekteien als auch Ermittlungsbehörden geben.
Gerade in diesem Thread scheint mir das Verständnis für die Ermittlungsarbeit recht eingeschränkt zu sein.
Generell wird von Innen nach Aussen ermittelt, da Kapitaldelikte häufig eine Beziehungsebene einschliessen.
Im Rahmen der Fallanalytik ist es wichtig, sich "in den Täter hineinzuversetzen", wobei dies nicht nach dem Paradigma "Was würde ich tun", sondern eher nach der Massgabe "was wäre wenn, was wäre dann plausibel" geschehen sollte, um Restriktionen zu vermeiden.
Und, ganz wichtig, das Prinzip "Zurück auf Null". Jeder Fall ist anders, Vorurteile engen die Sicht ein.
Im Rahmen der Analytik werden Hilfsmodelle wie Ishikawa oder auch Kepner - Tregoe eingesetzt.
Es ergibt sich natürlich ein Haufen an Datenmaterial, dementsprechend wird unterschieden und entsprechend priorisiert zwischen Spuren, Hinweisen oder Indizien, welchen einen:
-Anfangsverdacht (z.B. es wurde ein Verbrechen begangen und ein einschlägig Vorbestrafter wohnt vor Ort)
-Hinreichenden Tatverdacht (siehe oben, und es wurden Fussspuren in der entsprechenden Grösse gefunden oder der Verdächtige wurde vor Ort gesehen)
-Dringenden Tatverdacht (siehe oben, und es wurden DNA - Spuren gefunden)
ausmachen.
Wesentlich sind vor Allem drei Bereiche:
-Vortatverhalten
-Tatverhalten und Opfer - Setting
-Nachtatverhalten.
Und, selbstverständlich, der parallele Aufbau einer möglichst umfassenden Datenbasis.
Die folgenden Inhalte sollen einen groben Einblick in diese Bereiche geben:
Vor - Tat - Analyse & Klärung der Lebensumstände:
-Gibt es Anzeichen auf geplante Aspekte oder war die Tat eher ungeplant, also spontan oder im Affekt?
Beispiele: Vorbereitungsgrad des Täters, Anwendung von Hilfsmitteln, sorgfältige Inszenierung des Tatorts, Ablage und -Bereinigung, Bedrohungen im Vorfeld, Wahl der Waffe....
-Entsprach das Opfer einer möglichen "Zielgruppe" oder "Risikogruppe"?
Beispiele: Rand- oder Risikogruppen, sozial isolierte Personen...
-Was geschah in den letzten 48h des Opfers vor der Tat im Detail?
-Wie kam es zum Kontakt?
-Wie wahrscheinlich war die Zugriffsmöglichkeit auf das Opfer und wer konnte dies wissen?
Beispiele: War der Ort planbar / absehbar, z.B. wöchentlicher Yoga - Kurs...
-Gab es eine Vorbeziehung zum Täter?
Beispiele: Besonders emotionaler Tatablauf, sadistische Aspekte, Versuch des "Ungeschehenmachens"...
-Gibt es jemanden, der offensichtlich von der Tat profitiert und warum?
Beispiele: Opfer war in Unregelmässigkeiten involviert, Zeuge einer Straftat, Jemand wollte ein Exempel statuieren, Rache etc...
-Gab es im Vorfeld besondere Ereignisse, Änderungen oder latente Probleme im Lebensumfeld des Opfers?
Beispiele: Ehestreitigkeiten, Eifersucht, Bedrohungen...
-Gab es soziale oder kulturelle Besonderheiten?
Beispiele: "Ehrenmord", Sektenzugehörigkeit...
-Liegen regionale respektive lokale Spezifika vor?
Beispiele: Kriminalitätsschwerpunkte, Drogenhandel, Produktion von Drogen oder Medikamenten, Anabolika...
-War das Opfer besonderen Risiken ausgesetzt, z.B. privaten oder beruflichen Konflikten?
Beispiele: Siehe oben
-Gibt es Hinweise auf eine Verdeckungstat?
Beispiele: Siehe oben
Tat - Analyse:
-Welche Spuren oder Indizien liegen vor? (SpuSi)
-Wie ist der Täter vorgegangen?
-Hatte die Tat besondere Merkmale und warum?
-Trägt die Tat Merkmale eines dedizierten Motivs, war dem Täter etwas "besonders wichtig"?
Beispiele: Verdeckung, Ablenkung, Demütigung, Zurschaustellung...
-War das Motiv eher persönlich oder unpersönlich?
Beispiele: Wurde ein Opfer getötet, um es zu töten, oder war es z.B. einem Einbruch im Wege?
-Handelte es sich eher um eine direkte Beziehungstat oder ein rationales Vorgehen?
Beispiele: Emotional: Erschlagen, Erwürgen, Erstechen, Vergiften. Rational: Erschiessen, Abermals: Vergiften.
-Wurde die Tat eher vom Motivträger begangen oder beauftragt?
Beispiele: Siehe letzter Punkt.
-Gibt es Übereinstimmungen mit anderen Fällen?
Beispiele: Ähnlichkeiten bei: Region, Opfertyp, Modus Operandi, Ur - Motiv.
-Wie war das Kommunikations- und Bewegungsprofil möglicher Verdächtiger zur Tatzeit?
Nach - Tat - Analyse & Zeugen:
-Wie wurde das Opfer zurückgelassen und warum?
-Trägt die Opfersituation Merkmale eines Motivs?
-Liegen möglicherweise Hinweise auf klassische Mordmerkmale vor?
-Wie "sorgfältig" wurde der Tatort verlassen, inszeniert oder sorglos, übereilt?
-Gibt es Hinweise auf eine emotionale Beziehung zwischen Täter und Opfer?
-Hat der Täter Spuren hinterlassen und warum?
-Liegen Trugspuren (Finten) vor?
-Gibt es Hinweise auf den Versuch der Beweisunterdrückung?
-Welche potentiellen Sekundärquellen, z.B. CCTV, liegen vor?
-Wurde das Opfer in einer Lage zurückgelassen, welche zur Vernichtung von Spuren geeignet ist, z.B. Feuer, Wasser, Abfallcontainer...?
-Wurde das Opfer beseitigt und wenn ja, gibt es Hinweise auf die Art und Weise der Verbringung?
-Welche Rückschlüsse lässt eine mögliche Spurenbeseitigung zu?
-Gibt es Besonderheiten im Verhalten Verdächtiger, z.B. "Cruising"?
-Wie gestaltet sich das Kommunikations -, Berufs - und Beziehungsnetzwerk Verdächtiger?
Zeugen:
-Wie verhalten sich Angehörige, Berufs- und Sozialkontakte, letzte Kontakte und "Cui - Bono - Kandidaten" ?
-Lagen bei diesen möglicherweise aktuelle oder historische strafrechtlich relevante Auffälligkeiten vor?
-Sind Schilderungen plausibel und durch Zeugen oder Nachweise abgesichert?
-Wirken Schilderungen authentisch oder "glattgebügelt"?
-Versuchen einzelne Zeugen, das Verschwinden eines möglichen Opfers als plausibel darzustellen?
-Wie reagieren Zeugen auf Detailfragen und von der Chronologie des möglichen Tatablaufs oder des Vorfeldgeschehens abweichende Fragen, und wie plausibel sind diese Angaben zu den Aussagen anderer Zeugen?
-Gibt es Hinweise auf individuellen Be- oder Entlastungseifer?
-Gibt es bei Zeugen während der Befragung physische oder psychische Auffälligkeiten?
-Wie reagieren Zeugen während der Vernehmung auf Spannungs- und Entspannungssituationen?
-Weichen Zeugen aus, berufen sich auf Erinnerungslücken und suchen sofort externen Beistand (Hilflosigkeits - Setting)?
-Lassen Auffälligkeiten im Aussageverhalten oder in Bezug auf die historische Beziehung zum Opfer einen Anfangsverdacht zu?
-Welche Rückschlüsse lassen die vom Opfer genutzten elektronischen Medien zu? Gab es hier Löschungen oder den ungeklärten Verbleib oder die Vernichtung von Endgeräten?
-Sind die Kommunikationsdaten des Opfers plausibel in Bezug auf die Zeugenaussagen?
e.t.c.p.p.
Ihr seht also, ein ultrakomplexes Thema.
Grüße
Demlicz