Ich will versuchen, noch ein paar Antworten auf Fragen zu geben, die hier noch gestellt wurden.
1) Rouvens Unrechtbewusstsein und Verhalten nach der Hausdurchsuchung
Wir haben darüber schon öfter diskutiert und können natürlich letztendlich nichts sagen, da wir ihn nicht kennen. Aber das, was wir erfahren haben weist schon auf etwas hin, das ich in meiner Praxis als Strafverteidiger in solchen Fällen eigentlich immer gesehen habe! Im Bereich Internet-Verbrechen, und besonders im bereich sexuelle Straftaten im Internet gibt es bei den meisten Tätern kein oder nur ein sehr geringes Unrechtbewusstsein. Wenn es um KP geht ist den allermeisten zwar klar, dass es hier um eine Straftat geht, aber die wirkliche Einsicht fehlt irgendwo. Sehr oft habe ich schon gehört: da gibt es doch gar keine Opfer!
Die Betroffenen rationalisieren das eigene Verhalten meist so: das wirkliche Verbrechen wurde von denjenigen begangen, die die Kinder sexuell missbraucht haben und denjenigen, die das gefilmt haben. Der Schaden ist verursacht. Ob ich nun ein Bild oder Video davon herunterlade, anschaue oder weitergebe ändert für die betroffenen Kinder rein gar nichts, also kann das keine "wirkliche" Straftat sein.
Das zum ersten. Dazu kommt meist ein Gefühl, dass das Internet einem so viel Anonymität bietet, dass die Gefahr erwischt zu werden als sehr gering eingeschätzt wird. Dazu kommt, dass die meisten Täter eher intelligente Leute sind, aber fatalerweise sich überschätzen und denken: "die Dummbatze werden erwischt, ich aber benutze Passwoerter, proxy server, file wiper und so weiter, ich bin zu schlau um erwischt zu werden."
Das ist natürlich sehr fatal. Eine Kollegin von mir meinte einmal: "it's when men start thinking with their dick..."
:) Das FBI hat inzwischen sehr viel Erfahrung in der Verfolgung dieser Szene, und die ganzen Passwörter etc. nützen am Ende gar nichts, wenn man wie hier einem undercover Agenten seine KP Sammlung freiwillig zeigt.
Wie gesagt, ich habe schon solche Mandanten gehabt und mich immer wieder gefragt: wieso machen die dennoch weiter? Sie wissen das alles, würden vermutlich all dem zustimmen, was ich hier geschrieben habe, und dennoch.... Einige haben das versucht mit Parallelen zu Suchtverhalten zu beschreiben: ich weiss, dass Rauchen mich umbringen wird, aber ich brauche meine 20 Kippen am Tag, ich kann nicht anders. Oder: ich weiss, meine Frau wird mich eines Tages erwischen, aber ich muss einfach fremdgehen, ich kann nicht anders, wenn ich eine hübsche Frau sehe...
Und dann kommt drittens tatsächlich oft die Verleugnung der eigenen prekären Situation, wenn man erwischt wurde: ein Staunen, eine völlige Unfähigkeit, die Lage einzuschätzen. Man sieht sich wie in einem Film, eine fremde Person, die in Handschellen ist. Das kann nicht ich sein. Mir kann das nicht passieren. Das ist ein böser Traum, ich muss gleich aufwachen.
Ich hatte Mandanten, die unfähig waren auch nur einen Anwalt anzurufen, als sie verhaftet wurden. Die teilnahmslos in der Zelle sassen und darauf warteten, aus dem Traum aufzuwachen.
Hier, denke ich, ist aus allen drei Teilen etwas zusammengekommen.
2) Die Entschädigung
Rouven und Alfter besitzen zusammen ein Haus in Vegas, das ca. $ 1 Million wert ist. Ich weiss nicht, ob es komplett abgezahlt ist, aber wenn, dann ist da genug, um die Entschädigung zu zahlen.
Wie die Kinder identifiziert wurden, darüber ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, dass Rouven nur ein Teil einer weitergehenden Ermittlung im KP Sumpf gewesen ist.
3) Der Deal
Die Kosteneinsparung hier hat zu dem späten Zeitpunkt vermutlich nur noch symbolischen Wert. Da hat
@Hammurapi Recht. Rouven hat Glück, dass er überhaupt angenommen wurde.
4) Das Strafmass: Der Deal hat einen schweren Punkt aus der Anklage gestrichen, der eine Mindeststrafe von 15 Jahren vorsah. Insofern hat Marchese ein wenig eine Berechtigung, hier so optimistisch zu sein und auf lediglich 5 Jahre zu hoffen. Ich glaube aber nicht, dass die Richterin so milde gestimmt sein wird. Mehr dazu hatte ich gestern geschrieben.
5) Die Videos und Bilder
Die Anklage hat die gefundenen Bilder und Videos klar beschrieben: es handelte sich vor allem um sehr junge Jungen, um die 6-8 Jahre alt, die von Erwachsenen vergewaltigt werden, und teilweise ganz offen starke Schmerzen zeigen. Die Art und Weise der Bilder/Videos kann und wird meiner Meinung nach im Strafmass berücksichtigt werden. Und zwar stark.
6) Deutschland und USA
Oft wird von verschiedenen Systemen gesprochen. Allerdings sind die "Systeme" gar nicht so unterschiedlich, wie man immer meint, wenn man System als das Grundgerüst definiert, auf dem die Rechtsprechung aufgebaut ist. Im Gegenteil, auch ich war verblüfft, wie ich im Studium in den USA feststellte, dass nahezu alle juristischen Grundsätze, die ich aus Deutschland kannte, in den USA ganz genauso existieren.
Hier geht es eher um eine politisch-moralische Frage im allgemeinen und im speziellen. Im allgemeinen setzen die USA mehr auf Strafe als die Deutschen. Für nahezu alle Delikte, aber ganz besonders bei allen Gewaltdelikten, sind in den USA die Strafen weitaus höher als in Deutschland. Das ist eine rein politische Dimension: die Politiker hier empfinden höhere Strafen angemessener als deutsche Politiker. Ich schreibe hier bewusst Politiker, weil ich aus zahlreichen Diskussionen weiss, dass die deutsche Bevölkerung weitaus näher an den amerikanischen Vorstellungen steht als die deutschen Politiker.
Im speziellen kommt hier noch eine moralische Komponente dazu: Bedingt durch das puritanische Erbe hat alles Sexuelle in den USA einen anderen moralischen Stellenwert als in Deutschland. Hier ist man weitaus weniger permissiv. Wer den ungeschriebenen Sexualkode bricht, muss hier mit einer weitaus stärkeren Reaktion rechnen als in Deutschland. Das ist einfach so. Interessanterweise liegen die USA damit mit weitaus mehr Ländern in der Welt auf einer Linie als Deutschland, dessen liberale Sichtweise eigentlich sonst nur noch von anderen europäischen Ländern geteilt wird. Ich will das hier gar nicht bewerten sondern einfach nur statuieren: Amerikaner fühlen sich da keineswegs irgendwie als Aussenseiter mit einem zu engen Weltbild, weil sie es gar nicht sind.
7) Hätte Rouven ausreisen dürfen?
Gute Frage. Ich hatte einmal einen Mandanten, der ebenfalls bereits seit Monaten im Zentrum von Ermittlungen stand und das auch wusste. Dennoch war er nicht verhaftet worden. An dem Tag aber, an dem er mit einem Koffer des Allernötigsten und einigen zehntausend Dollar Bargeld am Flughafen einen Flug ins Ausland antreten wollte, wartete das FBI am Flughafen. Die Handschellen klickten am Check-in. Es ist durchaus möglich, dass Rouven das gleiche passiert wäre.
8) Zwangstherapie
Psychiater und Psychologen werden immer betonen, dass eine Therapie gegen den Willen des Betroffenen nicht funktioniert. Mehr ist zu dem Thema wohl nicht zu sagen.