Der mysteriöse Mord an der Verleger-Witwe Helga Eckensberger
13.03.2015 um 09:16Hier mal ein suuuuuper spannder Mordfall aus den 70er Jahren.
Da ich aus der Region komme und die Braunschweiger-Zeitung zu meiner Tageslektüre gehört..
möchte ich diesen Fall mal hier einbringen. Es existieren sehr viele, interessante Artikel, die sich allesamt wie ein Krimi lesen lassen und viel Raum für Spekulationen lassen...
Vielleicht mag ja jemand miträtseln...
Mordfall Eckensberger: Ein Teil im dunkeln
Der mysteriöse Tod der Verleger-Witwe vor dem Braunschweiger Schwurgericht
Nach dem Abendessen, gegen 20 Uhr, bestieg Volkmar Weilguny im Taunusort Falkenstein, wo er gelegentlich beschäftigt war, seinen Mercedes 220 SE, Kennzeichen MB-Y 199, und fuhr rund 600 Kilometer weit nach Trappenkamp bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, um seine Freundin Ursula Winkler zu besuchen.
Als er dort nachts um 1.30 Uhr klingelte, hatte er auch etwas mitgebracht: 5000 Mark, die er dem Mädchen als Darlehen versprochen hatte, und eine Flasche "Black and White". Das Paar trank, tanzte nach Dixielandmusik und schlief miteinander. Doch nur kurz: Vor sechs schon mußte Weilguny wieder aus dem Bett, "etwas auskundschaften", in Braunschweig. Und weil er dabei "nicht gesehen werden" wollte, stellte ihm die Freundin ihren VW-Käfer SE-H 849 zur Verfügung.
Es war Sonnabend, der 27. Oktober 1973, als Weilguny kurz vor neun in Braunschweig eintraf. Er parkte den Wagen am Ritterbrunnen nahe dem Zentrum, marschierte den Steinweg entlang, am Staatstheater vorbei, stand dann in der Bismarckstraße vor der Nummer 14, beobachtete das Haus eine Weile und kam zu dem Ergebnis, da oben im dritten Stock sei niemand in der Wohnung. "Daß da niemand sei", war ihm schließlich auch gesagt worden, wie er, so Ursula Winkler, hinterher erzählte.
Weilguny stieg die Treppe hoch, schloß die Flurtür auf, ging durch den Korridor ins Wohnzimmer und war gerade vor einem Sofa angelangt, als er hinter sich Schritte hörte. Da drehte er sich einfach um und "wischte der Person eine
Die Person war eine ältere Dame, die von dem Schlag einen schiefen Mund bekam und umzufallen drohte; Weilguny konnte sie gerade noch schräg auf das Sofa legen. Im ersten Moment war Ruhe, bald aber hatte die Dame sich wieder "berappelt" und schrie. Weilguny nahm ein Kissen, legte es auf ihr Gesicht und drückte zu.
Nachmittags um halb vier war Weilguny bereits zurück in Trappenkamp, 2000 Mark aus einer Handtasche und drei Ringe vom Sofatisch hatte er in Braunschweig mitgehen lassen. "Abwesend, ja fast apathisch" berichtete er, daß "einiges schiefgelaufen" sei, alles habe sich "ganz anders abgewickelt" als geplant. Immerhin, das sein Trost, nun sei "mit einem Rutsch alles erledigt".
Was erledigt war, wurde 48 Stunden später entdeckt: Leute von der "Braunschweiger Zeitung" fanden Helga Eckensberger, 57, die Herausgeberin des Blattes, tot und noch immer gegen das Sofa gelehnt in ihrer Wohnung, mit Würgemalen am Hals, Quetschungen an den Armen und im Gesicht; Zungenbein und Kehlkopf waren durchbrochen.
Da war für Ursula Winkler, die davon las, "dieser Fall sonnenklar". Was sie der Polizei über ihr Weekend mit Weilguny berichtete, erzählte schließlich, "erregt und Tränen in den Augen", Weilguny, als er in Untersuchungshaft genommen war, ebenfalls. Und im Hofoldinger Forst, südlich von München, führte er Kriminalbeamte an die Stelle, wo er unter einer Buche die drei Ringe der Helga Eckensberger vergraben hatte, Wert: 659 000 Mark.
Des Mordes angeklagt, wird Volkmar Weilguny, 30, von Montag kommender Woche an vor dem Braunschweiger Schwurgericht der Prozeß gemacht. Zwar stehen für Generalstaatsanwalt Heinrich Kintzi die "Beweise für die Tat außer Zweifel", aber so sonnenklar ist der Fall für ihn deshalb noch keineswegs: "Das zu sagen, wäre anmaßend."
Denn daß Weilguny quer durch Deutschland gereist ist, nur um -- ohne erkennbares Motiv, aber mit offenbar passendem Schlüssel -- schnurstracks in die ihm unbekannte Wohnung einer ihm fremden Frau zu spazieren, "das wäre", so findet der Generalstaatsanwalt, "zu simpel". Kintzi: "Mir behagt diese einfache Lösung nicht so ganz. Von sich aus hat er das wohl nicht gemacht." Und: "Zu 51 Prozent gab es einen Auftraggeber."
Aber wen, und warum? "Ein Teil des Geschehens", gibt Kintzi zu, "liegt nach wie vor im dunkeln." Und zur Erhellung hat weder einer der 72 Zeugen, die im Prozeß gehört werden sollen, noch die Kleinarbeit der Polizei, die nicht weniger als 68 Spurenakten anlegte, bislang Wesentliches beigetragen. Auch Weilguny selber nicht: Es sei, beklagte er sich vor Polizeibeamten, "alles so problematisch", und "Angaben zur Vorgeschichte" werde er nie und nimmer machen.
Problematisch erscheint in der Tat manches am Tode der rotblonden Helga Eckensberger, deren persönliche Hinterlassenschaft auf 15 Millionen Mark geschätzt wird, die außer ihrer Braunschweiger Wohnung ein Appartement in Paris und das Chateau d'Eternes nebst Weinberg an der Loire besaß, die Stippvisiten mal in Casablanca, mal in Florenz machte, die perfekt Französisch sprach und ihren Diener Ernst in Frankreich sogleich Ernest zu rufen pflegte, die einerseits so zurückhaltend war, daß sie sich überwinden mußte, zu den Redakteuren ihrer Zeitung wenigstens die notwendigsten Kontakte zu halten, aber auch so aufgeräumt sein konnte, daß sie den Korn wie ein Kutscher kippte.
Problematisch für manche Eingeweihte vor allem: Mit dem Tod von Helga Eckensberger, die als Herausgeberin der "Braunschweiger Zeitung" (Auflage: 153 634; Jahresgewinn knapp zehn Millionen Mark) und Geschäftsführerin des Zeitungsverlags Eckensberger & Co. fungiert hatte, fiel der 60-Prozent-Anteil, den sie an dem Unternehmen gehalten hatte, an eine Familie namens Voigt -- Mutter Isolde Voigt, 77, Söhne Arndt, 50, und Henning, 46.
Laut Arndt Voigt hat die Familie dafür zwar "gemäß eines vereinbarten Bewertungsmodus" eine, auf steuerlichen Bewertungssätzen basierende "Auseinandersetzungsschuld" an eine Stiftung zu zahlen, dies jedoch, so Henning Voigt, zu einem "Vorzugskurs", der firmenhistorische Gründe hat: Die Voigts betrieben vor dem Kriege in Braunschweig drei Zeitungen, mit denen sie ihre Druckereien dort auslasten konnten. Nach dem Krieg erhielt der ehemalige Voigt-Journalist Hans Eckensberger, NS-Gegner und damals mit einer Jüdin verheiratet, die Lizenz Nr. 2 der britischen Besatzungsmacht und gründete die "Braunschweiger Zeitung".
Eckensberger, der 1966 starb, ließ sein Blatt in der Voigt-Druckerei Limbach drucken, an der er mit 20 Prozent beteiligt wurde, während er den Voigts, die seinerzeit ihren Zeitungstitel in die Gesellschaft eingebracht hatten, 20 Prozent an seinem eigenen Verlag einräumte -- dies mit der Maßgabe, daß seine und seiner (zweiten) Frau Anteile nach ihrem Tod an Voigts fallen sollten. Henning Voigt: "Das war ein fairer Ausgleich."
Jedenfalls sprach der Branchen-Dienst "Kress-Report" von einer für die Familie Voigt "goldenen Klausel" im Gesellschaftsvertrag, und: "Die bekommen das praktisch für "n Butterbrot", findet auch der Braunschweiger Unternehmer Bodo Schintzel, 49, langjähriger persönlicher und Geschäftsfreund der Eckensbergers. Generalstaatsanwalt Kintzi meint, der Preis, den Voigts zu entrichten haben, sei jedenfalls "nicht so hoch, daß sie davon Nachteile hätten".
Daß sich der Staatsanwalt zu dieser Frage äußert, hat seinen Grund: Die Voigts wohnen in jenem Taunusort Falkenstein, von wo Volkmar Weilguny an jenem Abend im Oktober aufbrach, und Voigts sind auch die Leute, bei denen er aushilfsweise beschäftigt war, mal als Fahrer von Frau Isolde, mal in Geschäften von Sohn Henning.
Den Kontakt hatte einst, im Mai 1966, Arndt Voigt geknüpft, als er bei einem Besuch seiner sächsischen Heimat zufällig mit Weilguny zusammentraf. "Hören Sie mal, ich habe alte Autos", gab Weilguny an, und Arndt Voigt gab ihm die Adresse seines Bruders Henning, Liebhaber von Oldtimern, von denen er mittlerweile zwei auch besitzt -- allerdings keinen von Weilguny.
Immerhin fand Weilguny, gelernter Chemiearbeiter, der in Dresden den mütterlichen Betrieb leitete, ehe er im November 1972 mit Inventar die DDR verlassen durfte, hin und wieder Zeit, bei den Voigts in Falkenstein vorbeizukommen, und alle fanden, daß er ein junger Mann aus gutem Hause war, mit dem sich reden ließ.
So kam es auch dazu, daß sich Isolde und Henning Voigt -- Arndt lebt in Hamburg und fabriziert Jagdwaffen -- des Volkmar Weilguny hilfsbereit annahmen, als der vor zwei Jahren mit seiner Frau Ingrid ins oberbayrische Otterfing zog. Erst arbeitete er als Handelsvertreter der Firma Voigt Büromaschinen KG in München, dann, durch Voigt-Vermittlung, bei der Allgäuer Müllcontainer-Firma Altvater" erledigte, so Weilguny vor der Polizei, "für die Familie Voigt gelegentliche Aufträge" und befaßte sich laut Staatsanwaltschaft auch "mit dem An- und Verkauf wertvoller Schmuckgegenstände".
So ging Weilguny etwa mit einem Smaragdcollier auf Reisen, das er mal als Eigentum seiner Mutter für 800 000 Mark, mal als Familienerbstück für 650 000 Mark, mal im Auftrag von Henning Voigt zum Kauf anbot. Auch war er, wie ermittelt wurde, "in Geschäfte um einen sogenannten Deepden-Diamanten eingeschaltet", einen kanariengelben Stein im Wert von mehr als drei Millionen Mark, den eine Prinzessin Margaloff, die in Salzburg einen kleinen Laden betrieb, Ende 1972 der Helga Eckensberger schmackhaft machen wollte. Aber die Verlegerin habe, so laut Zeugen, der Prinzessin nur geantwortet: "Ach, der Weilguny hat mir ja den Deepden schon angeboten."
Wie auch immer: Wegen Weilgunys Kontakte zur Familie Voigt einerseits und wegen, andererseits, der Beziehungen der Familie Voigt zu Helga Eckensberger hielt es die Staatsanwaltschaft für angezeigt, "Ermittlungen auch in diesem Bereich" zu führen und die Voigts, Henning vorübergehend sogar als Beschuldigten, gründlicher einzuvernehmen -- ergebnislos: "Es gibt keinen einzigen konkreten Anhaltspunkt", räumt Generalstaatsanwalt Kintzi ein, "daß sie mit der Tat in irgendeinem Zusammenhang stehen."
Henning Voigt machte den Beamten im Verhör klar, daß er es nicht nötig habe, sich auf so primitive Weise Geld zu verschaffen, er habe schließlich selbst genug. Aber er gesteht der Polizei auch zu: "Natürlich bin ich in einer Scheißsituation. Die haben die Pflicht, mich zu verdächtigen." Arndt Voigt beeilte sich sogar, im Namen der Familie auf Seite eins der "Braunschweiger Zeitung" mitzuteilen: "Wir haben mit dem Tode von Frau Eckensberger nicht das geringste zu tun."
Wer damit außer Weilguny zu tun haben könnte -- die Beantwortung dieser Frage ist in der ehemaligen Residenz Braunschweig unterdes zum Gesellschafts-Spiel geworden. Und nicht nur dort: Freunde der Eckensbergers in aller Welt gingen unter die Privatdetektive und trugen in langen Briefen den Behörden jeweils ihre Version über die denkbaren Hintergründe des Falles vor, mit dem Resultat, daß jeder jedem alles zutraut. "Es wird viel geredet, es gibt viel Kulissenklatsch", klagt die Staatsanwaltschaft, "viele haben sich unsere Köpfe zerbrochen."
Da wird seitenweise aufgezählt, wer alles einen finanziellen Nutzen vom Tod der Verlegerin sich hätte ausrechnen können, und es wird, vor allem, beklagt, daß von der so ergiebigen Hinterlassenschaft bislang gerade 100 000 Mark an die Stiftung und lumpige 8000 Mark an Legaten gezahlt worden seien
und die Staatsanwaltschaft wird mit dem "alten kriminalistischen Lehrsatz" vertraut gemacht: "Wo das Geld ist, da ist auch der Täter."
Das Testament der Helga Eckensberger bestimmt, daß ihr alleiniger Erbe die Stiftung sein soll, die kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und karitativen Zwecken im Verbreitungsgebiet der "Braunschweiger Zeitung", etwa identisch mit dem ehemaligen Land Braunschweig, dienen soll. Mit der Errichtung der Stiftung wurde in dem letzten Willen der Testamentsvollstrecker Dr. Ernest Boas in Lausanne betraut.
Außerdem nennt das Testament etwa 20 Personen, denen monatliche Legate bis zu 500 Mark gezahlt und zwei Personen, denen einmalige Zahlungen geleistet werden sollen, nämlich den Chefredakteur des Eckensberger-Blattes, Hans-Jürgen Heidebrecht, mit 200 000 Mark, und den Vermögensberater Octave de Juniac mit drei Millionen Mark, beide Beträge steuerfrei. Schließlich ist bestimmt, daß Familien- und Geschäftsfreund Bodo Schintzel das Chateau d'Eternes zu einem Freundschaftspreis zum Kauf anzubieten sei.
Wo nun all das Geld steckt, das da verteilt werden soll, wissen freilich nur wenige: Das meiste liegt auf ausländischen Konten (vor allem in Frankreich), die wegen rein rechtlicher Unklarheiten gesperrt sind. In diesem Zusammenhang spielt etwa die Frage eine Rolle, welchen Hauptwohnsitz, Frankreich oder Braunschweig, die Verlegerin denn nun eigentlich hatte -- je nach Auslegung stehen fällige Steuern dem einen oder dem anderen Fiskus zu.
Und weil Helga Eckensberger ahnte, daß es da eines Todestages Schwierigkeiten geben könnte, hatte sie für den 15. Dezember 1973 -- sieben Wochen vorher wurde sie getötet -- einen Termin in Paris anberaumt, bei dem ihr Testament entsprechend geändert werden sollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen -- Folge: Der Testamentsvollstrecker kann nur jene Gelder auszahlen, über die er derzeit verfügt, etwa 1,7 Millionen Mark, die der Verkaut von Schmuck (Versicherungswert: knapp vier Millionen Mark) der Toten erbrachte.
Jedoch, was diese Querelen betrifft, zeigt sich die Staatsanwaltschaft desinteressiert: "Das ist für uns wenig aufschlußreich, wir sehen da keinen Zusammenhang mit der Tat." Und genug anderes ist schließlich auch noch ungeklärt, so beispielsweise die Frage, ob Weilguny nicht doch zu Recht der Meinung war, daß niemand in der Wohnung sein konnte, in die er sich Eintritt verschaffte: An jenem Wochenende nämlich hatte Helga Eckensberger eigentlich auf der Antiquitätenmesse in München sein und anschließend zu einer Freundin nach Salzburg fahren wollen, das Schlafwagenabteil war schon reserviert.
Und so wurden, nicht genug des Mysteriösen, auf dem Nachttisch in der Eckensberger-Wohnung aus dem SPIEGEL ausgeschnittene Bilder des Dr. Richard Meier, Abteilungsleiter beim Bundesnachrichtendienst" und eines Bielefelder Amtsrichters gefunden, die niemand dort vorher gesehen hatte -- und keiner der Abgebildeten hat auch je mit Helga Eckensberger etwas zu schaffen gehabt.
So gibt es die Mitteilung des in London lebenden Vermögensberaters de Juniac, die Verlegerin habe ihm bei einem Telephonat am Abend vor ihrem Tod erzählt, sie erwarte am Sonnabend amerikanischen Besuch aus Berlin, den "John" arrangiert habe. Weder aber kam der Besuch, noch ist geklärt, wer John ist, von dem, so Freunde, Helga Eckensberger "egalweg" redete -- die Staatsanwaltschaft hegt unterdes "Zweifel an dessen Existenz" und gruppiert ihn als "Hirngespinst" ein, obschon sie immer noch nach ihm fahndet.
Ungeklärt ist auch, was Helga Eckensberger veranlaßt haben mag, gegen ihre Gewohnheit ausgerechnet an einem Sonnabendmorgen nicht -- wie sonst tagelang und selbst bei geschäftlichen Besprechungen in ihrer Wohnung -- ein Negligé zu tragen, sondern angezogen war, "als wollte sie ins Theater gehen" (Eckensberger-Freund Schintzel).
Daß sie sich so komplett gekleidet hat, nur um vielleicht ihren Yorkshire-Terrier "Moustache" auszuführen, den sie "Püppilinchen" nannte, erscheint gleichfalls ausgeschlossen: " Da hätte sie", so Schintzel, "eher den Verlagsleiter zu sich kommen lassen und ihn gebeten, mal mit dem Hund runterzugehen." Und: "Nein, nein, sie hat jemanden erwartet."
Unwahrscheinlich aber auch das. Denn weil sie mal wieder Schmerzen im Rücken verspürte und deshalb auch eine lederne Halsmanschette angelegt hatte, war sie offenkundig entschlossen, das Wochenende überwiegend im Bett zu verbringen. Wohl zu diesem Zweck hatte sie sich tags zuvor eigens einen Fernseher mi Schlafzimmer installieren lassen.
Und schließlich ließ sie so schnell niemanden in die Wohnung. Wenn es klingelte, versicherte sie sich umständlich, wer denn wirklich draußen stand, ehe sie den zusätzlich angebrachten Sicherheitsriegel an der Wohnungstür öffnete -- was die Staatsanwaltschaft schließen ließ, Weilguny hätte auch mit einem Schlüssel nur eindringen können, wenn sich Helga Eckensberger "außerhalb ihrer Wohnung aufgehalten hätte".
Diese Feststellung freilich vermehrt das Dunkel noch, anstatt es zu vermindern. Aber der Staatsanwaltschaft scheint es ergangen zu sein wie beispielsweise Henning Voigt: "Man kommt bei allen Überlegungen in dieser Sache an einen Punkt, da geht's nicht mehr."
DER SPIEGEL 46/1974
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Mordfall Eckensberger: Ein Teil im dunkeln
Der mysteriöse Tod der Verleger-Witwe vor dem Braunschweiger Schwurgericht
Nach dem Abendessen, gegen 20 Uhr, bestieg Volkmar Weilguny im Taunusort Falkenstein, wo er gelegentlich beschäftigt war, seinen Mercedes 220 SE, Kennzeichen MB-Y 199, und fuhr rund 600 Kilometer weit nach Trappenkamp bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, um seine Freundin Ursula Winkler zu besuchen.
Als er dort nachts um 1.30 Uhr klingelte, hatte er auch etwas mitgebracht: 5000 Mark, die er dem Mädchen als Darlehen versprochen hatte, und eine Flasche "Black and White". Das Paar trank, tanzte nach Dixielandmusik und schlief miteinander. Doch nur kurz: Vor sechs schon mußte Weilguny wieder aus dem Bett, "etwas auskundschaften", in Braunschweig. Und weil er dabei "nicht gesehen werden" wollte, stellte ihm die Freundin ihren VW-Käfer SE-H 849 zur Verfügung.
Es war Sonnabend, der 27. Oktober 1973, als Weilguny kurz vor neun in Braunschweig eintraf. Er parkte den Wagen am Ritterbrunnen nahe dem Zentrum, marschierte den Steinweg entlang, am Staatstheater vorbei, stand dann in der Bismarckstraße vor der Nummer 14, beobachtete das Haus eine Weile und kam zu dem Ergebnis, da oben im dritten Stock sei niemand in der Wohnung. "Daß da niemand sei", war ihm schließlich auch gesagt worden, wie er, so Ursula Winkler, hinterher erzählte.
Weilguny stieg die Treppe hoch, schloß die Flurtür auf, ging durch den Korridor ins Wohnzimmer und war gerade vor einem Sofa angelangt, als er hinter sich Schritte hörte. Da drehte er sich einfach um und "wischte der Person eine
Die Person war eine ältere Dame, die von dem Schlag einen schiefen Mund bekam und umzufallen drohte; Weilguny konnte sie gerade noch schräg auf das Sofa legen. Im ersten Moment war Ruhe, bald aber hatte die Dame sich wieder "berappelt" und schrie. Weilguny nahm ein Kissen, legte es auf ihr Gesicht und drückte zu.
Nachmittags um halb vier war Weilguny bereits zurück in Trappenkamp, 2000 Mark aus einer Handtasche und drei Ringe vom Sofatisch hatte er in Braunschweig mitgehen lassen. "Abwesend, ja fast apathisch" berichtete er, daß "einiges schiefgelaufen" sei, alles habe sich "ganz anders abgewickelt" als geplant. Immerhin, das sein Trost, nun sei "mit einem Rutsch alles erledigt".
Was erledigt war, wurde 48 Stunden später entdeckt: Leute von der "Braunschweiger Zeitung" fanden Helga Eckensberger, 57, die Herausgeberin des Blattes, tot und noch immer gegen das Sofa gelehnt in ihrer Wohnung, mit Würgemalen am Hals, Quetschungen an den Armen und im Gesicht; Zungenbein und Kehlkopf waren durchbrochen.
Da war für Ursula Winkler, die davon las, "dieser Fall sonnenklar". Was sie der Polizei über ihr Weekend mit Weilguny berichtete, erzählte schließlich, "erregt und Tränen in den Augen", Weilguny, als er in Untersuchungshaft genommen war, ebenfalls. Und im Hofoldinger Forst, südlich von München, führte er Kriminalbeamte an die Stelle, wo er unter einer Buche die drei Ringe der Helga Eckensberger vergraben hatte, Wert: 659 000 Mark.
Des Mordes angeklagt, wird Volkmar Weilguny, 30, von Montag kommender Woche an vor dem Braunschweiger Schwurgericht der Prozeß gemacht. Zwar stehen für Generalstaatsanwalt Heinrich Kintzi die "Beweise für die Tat außer Zweifel", aber so sonnenklar ist der Fall für ihn deshalb noch keineswegs: "Das zu sagen, wäre anmaßend."
Denn daß Weilguny quer durch Deutschland gereist ist, nur um -- ohne erkennbares Motiv, aber mit offenbar passendem Schlüssel -- schnurstracks in die ihm unbekannte Wohnung einer ihm fremden Frau zu spazieren, "das wäre", so findet der Generalstaatsanwalt, "zu simpel". Kintzi: "Mir behagt diese einfache Lösung nicht so ganz. Von sich aus hat er das wohl nicht gemacht." Und: "Zu 51 Prozent gab es einen Auftraggeber."
Aber wen, und warum? "Ein Teil des Geschehens", gibt Kintzi zu, "liegt nach wie vor im dunkeln." Und zur Erhellung hat weder einer der 72 Zeugen, die im Prozeß gehört werden sollen, noch die Kleinarbeit der Polizei, die nicht weniger als 68 Spurenakten anlegte, bislang Wesentliches beigetragen. Auch Weilguny selber nicht: Es sei, beklagte er sich vor Polizeibeamten, "alles so problematisch", und "Angaben zur Vorgeschichte" werde er nie und nimmer machen.
Problematisch erscheint in der Tat manches am Tode der rotblonden Helga Eckensberger, deren persönliche Hinterlassenschaft auf 15 Millionen Mark geschätzt wird, die außer ihrer Braunschweiger Wohnung ein Appartement in Paris und das Chateau d'Eternes nebst Weinberg an der Loire besaß, die Stippvisiten mal in Casablanca, mal in Florenz machte, die perfekt Französisch sprach und ihren Diener Ernst in Frankreich sogleich Ernest zu rufen pflegte, die einerseits so zurückhaltend war, daß sie sich überwinden mußte, zu den Redakteuren ihrer Zeitung wenigstens die notwendigsten Kontakte zu halten, aber auch so aufgeräumt sein konnte, daß sie den Korn wie ein Kutscher kippte.
Problematisch für manche Eingeweihte vor allem: Mit dem Tod von Helga Eckensberger, die als Herausgeberin der "Braunschweiger Zeitung" (Auflage: 153 634; Jahresgewinn knapp zehn Millionen Mark) und Geschäftsführerin des Zeitungsverlags Eckensberger & Co. fungiert hatte, fiel der 60-Prozent-Anteil, den sie an dem Unternehmen gehalten hatte, an eine Familie namens Voigt -- Mutter Isolde Voigt, 77, Söhne Arndt, 50, und Henning, 46.
Laut Arndt Voigt hat die Familie dafür zwar "gemäß eines vereinbarten Bewertungsmodus" eine, auf steuerlichen Bewertungssätzen basierende "Auseinandersetzungsschuld" an eine Stiftung zu zahlen, dies jedoch, so Henning Voigt, zu einem "Vorzugskurs", der firmenhistorische Gründe hat: Die Voigts betrieben vor dem Kriege in Braunschweig drei Zeitungen, mit denen sie ihre Druckereien dort auslasten konnten. Nach dem Krieg erhielt der ehemalige Voigt-Journalist Hans Eckensberger, NS-Gegner und damals mit einer Jüdin verheiratet, die Lizenz Nr. 2 der britischen Besatzungsmacht und gründete die "Braunschweiger Zeitung".
Eckensberger, der 1966 starb, ließ sein Blatt in der Voigt-Druckerei Limbach drucken, an der er mit 20 Prozent beteiligt wurde, während er den Voigts, die seinerzeit ihren Zeitungstitel in die Gesellschaft eingebracht hatten, 20 Prozent an seinem eigenen Verlag einräumte -- dies mit der Maßgabe, daß seine und seiner (zweiten) Frau Anteile nach ihrem Tod an Voigts fallen sollten. Henning Voigt: "Das war ein fairer Ausgleich."
Jedenfalls sprach der Branchen-Dienst "Kress-Report" von einer für die Familie Voigt "goldenen Klausel" im Gesellschaftsvertrag, und: "Die bekommen das praktisch für "n Butterbrot", findet auch der Braunschweiger Unternehmer Bodo Schintzel, 49, langjähriger persönlicher und Geschäftsfreund der Eckensbergers. Generalstaatsanwalt Kintzi meint, der Preis, den Voigts zu entrichten haben, sei jedenfalls "nicht so hoch, daß sie davon Nachteile hätten".
Daß sich der Staatsanwalt zu dieser Frage äußert, hat seinen Grund: Die Voigts wohnen in jenem Taunusort Falkenstein, von wo Volkmar Weilguny an jenem Abend im Oktober aufbrach, und Voigts sind auch die Leute, bei denen er aushilfsweise beschäftigt war, mal als Fahrer von Frau Isolde, mal in Geschäften von Sohn Henning.
Den Kontakt hatte einst, im Mai 1966, Arndt Voigt geknüpft, als er bei einem Besuch seiner sächsischen Heimat zufällig mit Weilguny zusammentraf. "Hören Sie mal, ich habe alte Autos", gab Weilguny an, und Arndt Voigt gab ihm die Adresse seines Bruders Henning, Liebhaber von Oldtimern, von denen er mittlerweile zwei auch besitzt -- allerdings keinen von Weilguny.
Immerhin fand Weilguny, gelernter Chemiearbeiter, der in Dresden den mütterlichen Betrieb leitete, ehe er im November 1972 mit Inventar die DDR verlassen durfte, hin und wieder Zeit, bei den Voigts in Falkenstein vorbeizukommen, und alle fanden, daß er ein junger Mann aus gutem Hause war, mit dem sich reden ließ.
So kam es auch dazu, daß sich Isolde und Henning Voigt -- Arndt lebt in Hamburg und fabriziert Jagdwaffen -- des Volkmar Weilguny hilfsbereit annahmen, als der vor zwei Jahren mit seiner Frau Ingrid ins oberbayrische Otterfing zog. Erst arbeitete er als Handelsvertreter der Firma Voigt Büromaschinen KG in München, dann, durch Voigt-Vermittlung, bei der Allgäuer Müllcontainer-Firma Altvater" erledigte, so Weilguny vor der Polizei, "für die Familie Voigt gelegentliche Aufträge" und befaßte sich laut Staatsanwaltschaft auch "mit dem An- und Verkauf wertvoller Schmuckgegenstände".
So ging Weilguny etwa mit einem Smaragdcollier auf Reisen, das er mal als Eigentum seiner Mutter für 800 000 Mark, mal als Familienerbstück für 650 000 Mark, mal im Auftrag von Henning Voigt zum Kauf anbot. Auch war er, wie ermittelt wurde, "in Geschäfte um einen sogenannten Deepden-Diamanten eingeschaltet", einen kanariengelben Stein im Wert von mehr als drei Millionen Mark, den eine Prinzessin Margaloff, die in Salzburg einen kleinen Laden betrieb, Ende 1972 der Helga Eckensberger schmackhaft machen wollte. Aber die Verlegerin habe, so laut Zeugen, der Prinzessin nur geantwortet: "Ach, der Weilguny hat mir ja den Deepden schon angeboten."
Wie auch immer: Wegen Weilgunys Kontakte zur Familie Voigt einerseits und wegen, andererseits, der Beziehungen der Familie Voigt zu Helga Eckensberger hielt es die Staatsanwaltschaft für angezeigt, "Ermittlungen auch in diesem Bereich" zu führen und die Voigts, Henning vorübergehend sogar als Beschuldigten, gründlicher einzuvernehmen -- ergebnislos: "Es gibt keinen einzigen konkreten Anhaltspunkt", räumt Generalstaatsanwalt Kintzi ein, "daß sie mit der Tat in irgendeinem Zusammenhang stehen."
Henning Voigt machte den Beamten im Verhör klar, daß er es nicht nötig habe, sich auf so primitive Weise Geld zu verschaffen, er habe schließlich selbst genug. Aber er gesteht der Polizei auch zu: "Natürlich bin ich in einer Scheißsituation. Die haben die Pflicht, mich zu verdächtigen." Arndt Voigt beeilte sich sogar, im Namen der Familie auf Seite eins der "Braunschweiger Zeitung" mitzuteilen: "Wir haben mit dem Tode von Frau Eckensberger nicht das geringste zu tun."
Wer damit außer Weilguny zu tun haben könnte -- die Beantwortung dieser Frage ist in der ehemaligen Residenz Braunschweig unterdes zum Gesellschafts-Spiel geworden. Und nicht nur dort: Freunde der Eckensbergers in aller Welt gingen unter die Privatdetektive und trugen in langen Briefen den Behörden jeweils ihre Version über die denkbaren Hintergründe des Falles vor, mit dem Resultat, daß jeder jedem alles zutraut. "Es wird viel geredet, es gibt viel Kulissenklatsch", klagt die Staatsanwaltschaft, "viele haben sich unsere Köpfe zerbrochen."
Da wird seitenweise aufgezählt, wer alles einen finanziellen Nutzen vom Tod der Verlegerin sich hätte ausrechnen können, und es wird, vor allem, beklagt, daß von der so ergiebigen Hinterlassenschaft bislang gerade 100 000 Mark an die Stiftung und lumpige 8000 Mark an Legaten gezahlt worden seien
und die Staatsanwaltschaft wird mit dem "alten kriminalistischen Lehrsatz" vertraut gemacht: "Wo das Geld ist, da ist auch der Täter."
Das Testament der Helga Eckensberger bestimmt, daß ihr alleiniger Erbe die Stiftung sein soll, die kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und karitativen Zwecken im Verbreitungsgebiet der "Braunschweiger Zeitung", etwa identisch mit dem ehemaligen Land Braunschweig, dienen soll. Mit der Errichtung der Stiftung wurde in dem letzten Willen der Testamentsvollstrecker Dr. Ernest Boas in Lausanne betraut.
Außerdem nennt das Testament etwa 20 Personen, denen monatliche Legate bis zu 500 Mark gezahlt und zwei Personen, denen einmalige Zahlungen geleistet werden sollen, nämlich den Chefredakteur des Eckensberger-Blattes, Hans-Jürgen Heidebrecht, mit 200 000 Mark, und den Vermögensberater Octave de Juniac mit drei Millionen Mark, beide Beträge steuerfrei. Schließlich ist bestimmt, daß Familien- und Geschäftsfreund Bodo Schintzel das Chateau d'Eternes zu einem Freundschaftspreis zum Kauf anzubieten sei.
Wo nun all das Geld steckt, das da verteilt werden soll, wissen freilich nur wenige: Das meiste liegt auf ausländischen Konten (vor allem in Frankreich), die wegen rein rechtlicher Unklarheiten gesperrt sind. In diesem Zusammenhang spielt etwa die Frage eine Rolle, welchen Hauptwohnsitz, Frankreich oder Braunschweig, die Verlegerin denn nun eigentlich hatte -- je nach Auslegung stehen fällige Steuern dem einen oder dem anderen Fiskus zu.
Und weil Helga Eckensberger ahnte, daß es da eines Todestages Schwierigkeiten geben könnte, hatte sie für den 15. Dezember 1973 -- sieben Wochen vorher wurde sie getötet -- einen Termin in Paris anberaumt, bei dem ihr Testament entsprechend geändert werden sollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen -- Folge: Der Testamentsvollstrecker kann nur jene Gelder auszahlen, über die er derzeit verfügt, etwa 1,7 Millionen Mark, die der Verkaut von Schmuck (Versicherungswert: knapp vier Millionen Mark) der Toten erbrachte.
Jedoch, was diese Querelen betrifft, zeigt sich die Staatsanwaltschaft desinteressiert: "Das ist für uns wenig aufschlußreich, wir sehen da keinen Zusammenhang mit der Tat." Und genug anderes ist schließlich auch noch ungeklärt, so beispielsweise die Frage, ob Weilguny nicht doch zu Recht der Meinung war, daß niemand in der Wohnung sein konnte, in die er sich Eintritt verschaffte: An jenem Wochenende nämlich hatte Helga Eckensberger eigentlich auf der Antiquitätenmesse in München sein und anschließend zu einer Freundin nach Salzburg fahren wollen, das Schlafwagenabteil war schon reserviert.
Und so wurden, nicht genug des Mysteriösen, auf dem Nachttisch in der Eckensberger-Wohnung aus dem SPIEGEL ausgeschnittene Bilder des Dr. Richard Meier, Abteilungsleiter beim Bundesnachrichtendienst" und eines Bielefelder Amtsrichters gefunden, die niemand dort vorher gesehen hatte -- und keiner der Abgebildeten hat auch je mit Helga Eckensberger etwas zu schaffen gehabt.
So gibt es die Mitteilung des in London lebenden Vermögensberaters de Juniac, die Verlegerin habe ihm bei einem Telephonat am Abend vor ihrem Tod erzählt, sie erwarte am Sonnabend amerikanischen Besuch aus Berlin, den "John" arrangiert habe. Weder aber kam der Besuch, noch ist geklärt, wer John ist, von dem, so Freunde, Helga Eckensberger "egalweg" redete -- die Staatsanwaltschaft hegt unterdes "Zweifel an dessen Existenz" und gruppiert ihn als "Hirngespinst" ein, obschon sie immer noch nach ihm fahndet.
Ungeklärt ist auch, was Helga Eckensberger veranlaßt haben mag, gegen ihre Gewohnheit ausgerechnet an einem Sonnabendmorgen nicht -- wie sonst tagelang und selbst bei geschäftlichen Besprechungen in ihrer Wohnung -- ein Negligé zu tragen, sondern angezogen war, "als wollte sie ins Theater gehen" (Eckensberger-Freund Schintzel).
Daß sie sich so komplett gekleidet hat, nur um vielleicht ihren Yorkshire-Terrier "Moustache" auszuführen, den sie "Püppilinchen" nannte, erscheint gleichfalls ausgeschlossen: " Da hätte sie", so Schintzel, "eher den Verlagsleiter zu sich kommen lassen und ihn gebeten, mal mit dem Hund runterzugehen." Und: "Nein, nein, sie hat jemanden erwartet."
Unwahrscheinlich aber auch das. Denn weil sie mal wieder Schmerzen im Rücken verspürte und deshalb auch eine lederne Halsmanschette angelegt hatte, war sie offenkundig entschlossen, das Wochenende überwiegend im Bett zu verbringen. Wohl zu diesem Zweck hatte sie sich tags zuvor eigens einen Fernseher mi Schlafzimmer installieren lassen.
Und schließlich ließ sie so schnell niemanden in die Wohnung. Wenn es klingelte, versicherte sie sich umständlich, wer denn wirklich draußen stand, ehe sie den zusätzlich angebrachten Sicherheitsriegel an der Wohnungstür öffnete -- was die Staatsanwaltschaft schließen ließ, Weilguny hätte auch mit einem Schlüssel nur eindringen können, wenn sich Helga Eckensberger "außerhalb ihrer Wohnung aufgehalten hätte".
Diese Feststellung freilich vermehrt das Dunkel noch, anstatt es zu vermindern. Aber der Staatsanwaltschaft scheint es ergangen zu sein wie beispielsweise Henning Voigt: "Man kommt bei allen Überlegungen in dieser Sache an einen Punkt, da geht's nicht mehr."
DER SPIEGEL 46/1974
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Da ich aus der Region komme und die Braunschweiger-Zeitung zu meiner Tageslektüre gehört..
möchte ich diesen Fall mal hier einbringen. Es existieren sehr viele, interessante Artikel, die sich allesamt wie ein Krimi lesen lassen und viel Raum für Spekulationen lassen...
Vielleicht mag ja jemand miträtseln...
Mordfall Eckensberger: Ein Teil im dunkeln
Der mysteriöse Tod der Verleger-Witwe vor dem Braunschweiger Schwurgericht
Nach dem Abendessen, gegen 20 Uhr, bestieg Volkmar Weilguny im Taunusort Falkenstein, wo er gelegentlich beschäftigt war, seinen Mercedes 220 SE, Kennzeichen MB-Y 199, und fuhr rund 600 Kilometer weit nach Trappenkamp bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, um seine Freundin Ursula Winkler zu besuchen.
Als er dort nachts um 1.30 Uhr klingelte, hatte er auch etwas mitgebracht: 5000 Mark, die er dem Mädchen als Darlehen versprochen hatte, und eine Flasche "Black and White". Das Paar trank, tanzte nach Dixielandmusik und schlief miteinander. Doch nur kurz: Vor sechs schon mußte Weilguny wieder aus dem Bett, "etwas auskundschaften", in Braunschweig. Und weil er dabei "nicht gesehen werden" wollte, stellte ihm die Freundin ihren VW-Käfer SE-H 849 zur Verfügung.
Es war Sonnabend, der 27. Oktober 1973, als Weilguny kurz vor neun in Braunschweig eintraf. Er parkte den Wagen am Ritterbrunnen nahe dem Zentrum, marschierte den Steinweg entlang, am Staatstheater vorbei, stand dann in der Bismarckstraße vor der Nummer 14, beobachtete das Haus eine Weile und kam zu dem Ergebnis, da oben im dritten Stock sei niemand in der Wohnung. "Daß da niemand sei", war ihm schließlich auch gesagt worden, wie er, so Ursula Winkler, hinterher erzählte.
Weilguny stieg die Treppe hoch, schloß die Flurtür auf, ging durch den Korridor ins Wohnzimmer und war gerade vor einem Sofa angelangt, als er hinter sich Schritte hörte. Da drehte er sich einfach um und "wischte der Person eine
Die Person war eine ältere Dame, die von dem Schlag einen schiefen Mund bekam und umzufallen drohte; Weilguny konnte sie gerade noch schräg auf das Sofa legen. Im ersten Moment war Ruhe, bald aber hatte die Dame sich wieder "berappelt" und schrie. Weilguny nahm ein Kissen, legte es auf ihr Gesicht und drückte zu.
Nachmittags um halb vier war Weilguny bereits zurück in Trappenkamp, 2000 Mark aus einer Handtasche und drei Ringe vom Sofatisch hatte er in Braunschweig mitgehen lassen. "Abwesend, ja fast apathisch" berichtete er, daß "einiges schiefgelaufen" sei, alles habe sich "ganz anders abgewickelt" als geplant. Immerhin, das sein Trost, nun sei "mit einem Rutsch alles erledigt".
Was erledigt war, wurde 48 Stunden später entdeckt: Leute von der "Braunschweiger Zeitung" fanden Helga Eckensberger, 57, die Herausgeberin des Blattes, tot und noch immer gegen das Sofa gelehnt in ihrer Wohnung, mit Würgemalen am Hals, Quetschungen an den Armen und im Gesicht; Zungenbein und Kehlkopf waren durchbrochen.
Da war für Ursula Winkler, die davon las, "dieser Fall sonnenklar". Was sie der Polizei über ihr Weekend mit Weilguny berichtete, erzählte schließlich, "erregt und Tränen in den Augen", Weilguny, als er in Untersuchungshaft genommen war, ebenfalls. Und im Hofoldinger Forst, südlich von München, führte er Kriminalbeamte an die Stelle, wo er unter einer Buche die drei Ringe der Helga Eckensberger vergraben hatte, Wert: 659 000 Mark.
Des Mordes angeklagt, wird Volkmar Weilguny, 30, von Montag kommender Woche an vor dem Braunschweiger Schwurgericht der Prozeß gemacht. Zwar stehen für Generalstaatsanwalt Heinrich Kintzi die "Beweise für die Tat außer Zweifel", aber so sonnenklar ist der Fall für ihn deshalb noch keineswegs: "Das zu sagen, wäre anmaßend."
Denn daß Weilguny quer durch Deutschland gereist ist, nur um -- ohne erkennbares Motiv, aber mit offenbar passendem Schlüssel -- schnurstracks in die ihm unbekannte Wohnung einer ihm fremden Frau zu spazieren, "das wäre", so findet der Generalstaatsanwalt, "zu simpel". Kintzi: "Mir behagt diese einfache Lösung nicht so ganz. Von sich aus hat er das wohl nicht gemacht." Und: "Zu 51 Prozent gab es einen Auftraggeber."
Aber wen, und warum? "Ein Teil des Geschehens", gibt Kintzi zu, "liegt nach wie vor im dunkeln." Und zur Erhellung hat weder einer der 72 Zeugen, die im Prozeß gehört werden sollen, noch die Kleinarbeit der Polizei, die nicht weniger als 68 Spurenakten anlegte, bislang Wesentliches beigetragen. Auch Weilguny selber nicht: Es sei, beklagte er sich vor Polizeibeamten, "alles so problematisch", und "Angaben zur Vorgeschichte" werde er nie und nimmer machen.
Problematisch erscheint in der Tat manches am Tode der rotblonden Helga Eckensberger, deren persönliche Hinterlassenschaft auf 15 Millionen Mark geschätzt wird, die außer ihrer Braunschweiger Wohnung ein Appartement in Paris und das Chateau d'Eternes nebst Weinberg an der Loire besaß, die Stippvisiten mal in Casablanca, mal in Florenz machte, die perfekt Französisch sprach und ihren Diener Ernst in Frankreich sogleich Ernest zu rufen pflegte, die einerseits so zurückhaltend war, daß sie sich überwinden mußte, zu den Redakteuren ihrer Zeitung wenigstens die notwendigsten Kontakte zu halten, aber auch so aufgeräumt sein konnte, daß sie den Korn wie ein Kutscher kippte.
Problematisch für manche Eingeweihte vor allem: Mit dem Tod von Helga Eckensberger, die als Herausgeberin der "Braunschweiger Zeitung" (Auflage: 153 634; Jahresgewinn knapp zehn Millionen Mark) und Geschäftsführerin des Zeitungsverlags Eckensberger & Co. fungiert hatte, fiel der 60-Prozent-Anteil, den sie an dem Unternehmen gehalten hatte, an eine Familie namens Voigt -- Mutter Isolde Voigt, 77, Söhne Arndt, 50, und Henning, 46.
Laut Arndt Voigt hat die Familie dafür zwar "gemäß eines vereinbarten Bewertungsmodus" eine, auf steuerlichen Bewertungssätzen basierende "Auseinandersetzungsschuld" an eine Stiftung zu zahlen, dies jedoch, so Henning Voigt, zu einem "Vorzugskurs", der firmenhistorische Gründe hat: Die Voigts betrieben vor dem Kriege in Braunschweig drei Zeitungen, mit denen sie ihre Druckereien dort auslasten konnten. Nach dem Krieg erhielt der ehemalige Voigt-Journalist Hans Eckensberger, NS-Gegner und damals mit einer Jüdin verheiratet, die Lizenz Nr. 2 der britischen Besatzungsmacht und gründete die "Braunschweiger Zeitung".
Eckensberger, der 1966 starb, ließ sein Blatt in der Voigt-Druckerei Limbach drucken, an der er mit 20 Prozent beteiligt wurde, während er den Voigts, die seinerzeit ihren Zeitungstitel in die Gesellschaft eingebracht hatten, 20 Prozent an seinem eigenen Verlag einräumte -- dies mit der Maßgabe, daß seine und seiner (zweiten) Frau Anteile nach ihrem Tod an Voigts fallen sollten. Henning Voigt: "Das war ein fairer Ausgleich."
Jedenfalls sprach der Branchen-Dienst "Kress-Report" von einer für die Familie Voigt "goldenen Klausel" im Gesellschaftsvertrag, und: "Die bekommen das praktisch für "n Butterbrot", findet auch der Braunschweiger Unternehmer Bodo Schintzel, 49, langjähriger persönlicher und Geschäftsfreund der Eckensbergers. Generalstaatsanwalt Kintzi meint, der Preis, den Voigts zu entrichten haben, sei jedenfalls "nicht so hoch, daß sie davon Nachteile hätten".
Daß sich der Staatsanwalt zu dieser Frage äußert, hat seinen Grund: Die Voigts wohnen in jenem Taunusort Falkenstein, von wo Volkmar Weilguny an jenem Abend im Oktober aufbrach, und Voigts sind auch die Leute, bei denen er aushilfsweise beschäftigt war, mal als Fahrer von Frau Isolde, mal in Geschäften von Sohn Henning.
Den Kontakt hatte einst, im Mai 1966, Arndt Voigt geknüpft, als er bei einem Besuch seiner sächsischen Heimat zufällig mit Weilguny zusammentraf. "Hören Sie mal, ich habe alte Autos", gab Weilguny an, und Arndt Voigt gab ihm die Adresse seines Bruders Henning, Liebhaber von Oldtimern, von denen er mittlerweile zwei auch besitzt -- allerdings keinen von Weilguny.
Immerhin fand Weilguny, gelernter Chemiearbeiter, der in Dresden den mütterlichen Betrieb leitete, ehe er im November 1972 mit Inventar die DDR verlassen durfte, hin und wieder Zeit, bei den Voigts in Falkenstein vorbeizukommen, und alle fanden, daß er ein junger Mann aus gutem Hause war, mit dem sich reden ließ.
So kam es auch dazu, daß sich Isolde und Henning Voigt -- Arndt lebt in Hamburg und fabriziert Jagdwaffen -- des Volkmar Weilguny hilfsbereit annahmen, als der vor zwei Jahren mit seiner Frau Ingrid ins oberbayrische Otterfing zog. Erst arbeitete er als Handelsvertreter der Firma Voigt Büromaschinen KG in München, dann, durch Voigt-Vermittlung, bei der Allgäuer Müllcontainer-Firma Altvater" erledigte, so Weilguny vor der Polizei, "für die Familie Voigt gelegentliche Aufträge" und befaßte sich laut Staatsanwaltschaft auch "mit dem An- und Verkauf wertvoller Schmuckgegenstände".
So ging Weilguny etwa mit einem Smaragdcollier auf Reisen, das er mal als Eigentum seiner Mutter für 800 000 Mark, mal als Familienerbstück für 650 000 Mark, mal im Auftrag von Henning Voigt zum Kauf anbot. Auch war er, wie ermittelt wurde, "in Geschäfte um einen sogenannten Deepden-Diamanten eingeschaltet", einen kanariengelben Stein im Wert von mehr als drei Millionen Mark, den eine Prinzessin Margaloff, die in Salzburg einen kleinen Laden betrieb, Ende 1972 der Helga Eckensberger schmackhaft machen wollte. Aber die Verlegerin habe, so laut Zeugen, der Prinzessin nur geantwortet: "Ach, der Weilguny hat mir ja den Deepden schon angeboten."
Wie auch immer: Wegen Weilgunys Kontakte zur Familie Voigt einerseits und wegen, andererseits, der Beziehungen der Familie Voigt zu Helga Eckensberger hielt es die Staatsanwaltschaft für angezeigt, "Ermittlungen auch in diesem Bereich" zu führen und die Voigts, Henning vorübergehend sogar als Beschuldigten, gründlicher einzuvernehmen -- ergebnislos: "Es gibt keinen einzigen konkreten Anhaltspunkt", räumt Generalstaatsanwalt Kintzi ein, "daß sie mit der Tat in irgendeinem Zusammenhang stehen."
Henning Voigt machte den Beamten im Verhör klar, daß er es nicht nötig habe, sich auf so primitive Weise Geld zu verschaffen, er habe schließlich selbst genug. Aber er gesteht der Polizei auch zu: "Natürlich bin ich in einer Scheißsituation. Die haben die Pflicht, mich zu verdächtigen." Arndt Voigt beeilte sich sogar, im Namen der Familie auf Seite eins der "Braunschweiger Zeitung" mitzuteilen: "Wir haben mit dem Tode von Frau Eckensberger nicht das geringste zu tun."
Wer damit außer Weilguny zu tun haben könnte -- die Beantwortung dieser Frage ist in der ehemaligen Residenz Braunschweig unterdes zum Gesellschafts-Spiel geworden. Und nicht nur dort: Freunde der Eckensbergers in aller Welt gingen unter die Privatdetektive und trugen in langen Briefen den Behörden jeweils ihre Version über die denkbaren Hintergründe des Falles vor, mit dem Resultat, daß jeder jedem alles zutraut. "Es wird viel geredet, es gibt viel Kulissenklatsch", klagt die Staatsanwaltschaft, "viele haben sich unsere Köpfe zerbrochen."
Da wird seitenweise aufgezählt, wer alles einen finanziellen Nutzen vom Tod der Verlegerin sich hätte ausrechnen können, und es wird, vor allem, beklagt, daß von der so ergiebigen Hinterlassenschaft bislang gerade 100 000 Mark an die Stiftung und lumpige 8000 Mark an Legaten gezahlt worden seien
und die Staatsanwaltschaft wird mit dem "alten kriminalistischen Lehrsatz" vertraut gemacht: "Wo das Geld ist, da ist auch der Täter."
Das Testament der Helga Eckensberger bestimmt, daß ihr alleiniger Erbe die Stiftung sein soll, die kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und karitativen Zwecken im Verbreitungsgebiet der "Braunschweiger Zeitung", etwa identisch mit dem ehemaligen Land Braunschweig, dienen soll. Mit der Errichtung der Stiftung wurde in dem letzten Willen der Testamentsvollstrecker Dr. Ernest Boas in Lausanne betraut.
Außerdem nennt das Testament etwa 20 Personen, denen monatliche Legate bis zu 500 Mark gezahlt und zwei Personen, denen einmalige Zahlungen geleistet werden sollen, nämlich den Chefredakteur des Eckensberger-Blattes, Hans-Jürgen Heidebrecht, mit 200 000 Mark, und den Vermögensberater Octave de Juniac mit drei Millionen Mark, beide Beträge steuerfrei. Schließlich ist bestimmt, daß Familien- und Geschäftsfreund Bodo Schintzel das Chateau d'Eternes zu einem Freundschaftspreis zum Kauf anzubieten sei.
Wo nun all das Geld steckt, das da verteilt werden soll, wissen freilich nur wenige: Das meiste liegt auf ausländischen Konten (vor allem in Frankreich), die wegen rein rechtlicher Unklarheiten gesperrt sind. In diesem Zusammenhang spielt etwa die Frage eine Rolle, welchen Hauptwohnsitz, Frankreich oder Braunschweig, die Verlegerin denn nun eigentlich hatte -- je nach Auslegung stehen fällige Steuern dem einen oder dem anderen Fiskus zu.
Und weil Helga Eckensberger ahnte, daß es da eines Todestages Schwierigkeiten geben könnte, hatte sie für den 15. Dezember 1973 -- sieben Wochen vorher wurde sie getötet -- einen Termin in Paris anberaumt, bei dem ihr Testament entsprechend geändert werden sollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen -- Folge: Der Testamentsvollstrecker kann nur jene Gelder auszahlen, über die er derzeit verfügt, etwa 1,7 Millionen Mark, die der Verkaut von Schmuck (Versicherungswert: knapp vier Millionen Mark) der Toten erbrachte.
Jedoch, was diese Querelen betrifft, zeigt sich die Staatsanwaltschaft desinteressiert: "Das ist für uns wenig aufschlußreich, wir sehen da keinen Zusammenhang mit der Tat." Und genug anderes ist schließlich auch noch ungeklärt, so beispielsweise die Frage, ob Weilguny nicht doch zu Recht der Meinung war, daß niemand in der Wohnung sein konnte, in die er sich Eintritt verschaffte: An jenem Wochenende nämlich hatte Helga Eckensberger eigentlich auf der Antiquitätenmesse in München sein und anschließend zu einer Freundin nach Salzburg fahren wollen, das Schlafwagenabteil war schon reserviert.
Und so wurden, nicht genug des Mysteriösen, auf dem Nachttisch in der Eckensberger-Wohnung aus dem SPIEGEL ausgeschnittene Bilder des Dr. Richard Meier, Abteilungsleiter beim Bundesnachrichtendienst" und eines Bielefelder Amtsrichters gefunden, die niemand dort vorher gesehen hatte -- und keiner der Abgebildeten hat auch je mit Helga Eckensberger etwas zu schaffen gehabt.
So gibt es die Mitteilung des in London lebenden Vermögensberaters de Juniac, die Verlegerin habe ihm bei einem Telephonat am Abend vor ihrem Tod erzählt, sie erwarte am Sonnabend amerikanischen Besuch aus Berlin, den "John" arrangiert habe. Weder aber kam der Besuch, noch ist geklärt, wer John ist, von dem, so Freunde, Helga Eckensberger "egalweg" redete -- die Staatsanwaltschaft hegt unterdes "Zweifel an dessen Existenz" und gruppiert ihn als "Hirngespinst" ein, obschon sie immer noch nach ihm fahndet.
Ungeklärt ist auch, was Helga Eckensberger veranlaßt haben mag, gegen ihre Gewohnheit ausgerechnet an einem Sonnabendmorgen nicht -- wie sonst tagelang und selbst bei geschäftlichen Besprechungen in ihrer Wohnung -- ein Negligé zu tragen, sondern angezogen war, "als wollte sie ins Theater gehen" (Eckensberger-Freund Schintzel).
Daß sie sich so komplett gekleidet hat, nur um vielleicht ihren Yorkshire-Terrier "Moustache" auszuführen, den sie "Püppilinchen" nannte, erscheint gleichfalls ausgeschlossen: " Da hätte sie", so Schintzel, "eher den Verlagsleiter zu sich kommen lassen und ihn gebeten, mal mit dem Hund runterzugehen." Und: "Nein, nein, sie hat jemanden erwartet."
Unwahrscheinlich aber auch das. Denn weil sie mal wieder Schmerzen im Rücken verspürte und deshalb auch eine lederne Halsmanschette angelegt hatte, war sie offenkundig entschlossen, das Wochenende überwiegend im Bett zu verbringen. Wohl zu diesem Zweck hatte sie sich tags zuvor eigens einen Fernseher mi Schlafzimmer installieren lassen.
Und schließlich ließ sie so schnell niemanden in die Wohnung. Wenn es klingelte, versicherte sie sich umständlich, wer denn wirklich draußen stand, ehe sie den zusätzlich angebrachten Sicherheitsriegel an der Wohnungstür öffnete -- was die Staatsanwaltschaft schließen ließ, Weilguny hätte auch mit einem Schlüssel nur eindringen können, wenn sich Helga Eckensberger "außerhalb ihrer Wohnung aufgehalten hätte".
Diese Feststellung freilich vermehrt das Dunkel noch, anstatt es zu vermindern. Aber der Staatsanwaltschaft scheint es ergangen zu sein wie beispielsweise Henning Voigt: "Man kommt bei allen Überlegungen in dieser Sache an einen Punkt, da geht's nicht mehr."
DER SPIEGEL 46/1974
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Mordfall Eckensberger: Ein Teil im dunkeln
Der mysteriöse Tod der Verleger-Witwe vor dem Braunschweiger Schwurgericht
Nach dem Abendessen, gegen 20 Uhr, bestieg Volkmar Weilguny im Taunusort Falkenstein, wo er gelegentlich beschäftigt war, seinen Mercedes 220 SE, Kennzeichen MB-Y 199, und fuhr rund 600 Kilometer weit nach Trappenkamp bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, um seine Freundin Ursula Winkler zu besuchen.
Als er dort nachts um 1.30 Uhr klingelte, hatte er auch etwas mitgebracht: 5000 Mark, die er dem Mädchen als Darlehen versprochen hatte, und eine Flasche "Black and White". Das Paar trank, tanzte nach Dixielandmusik und schlief miteinander. Doch nur kurz: Vor sechs schon mußte Weilguny wieder aus dem Bett, "etwas auskundschaften", in Braunschweig. Und weil er dabei "nicht gesehen werden" wollte, stellte ihm die Freundin ihren VW-Käfer SE-H 849 zur Verfügung.
Es war Sonnabend, der 27. Oktober 1973, als Weilguny kurz vor neun in Braunschweig eintraf. Er parkte den Wagen am Ritterbrunnen nahe dem Zentrum, marschierte den Steinweg entlang, am Staatstheater vorbei, stand dann in der Bismarckstraße vor der Nummer 14, beobachtete das Haus eine Weile und kam zu dem Ergebnis, da oben im dritten Stock sei niemand in der Wohnung. "Daß da niemand sei", war ihm schließlich auch gesagt worden, wie er, so Ursula Winkler, hinterher erzählte.
Weilguny stieg die Treppe hoch, schloß die Flurtür auf, ging durch den Korridor ins Wohnzimmer und war gerade vor einem Sofa angelangt, als er hinter sich Schritte hörte. Da drehte er sich einfach um und "wischte der Person eine
Die Person war eine ältere Dame, die von dem Schlag einen schiefen Mund bekam und umzufallen drohte; Weilguny konnte sie gerade noch schräg auf das Sofa legen. Im ersten Moment war Ruhe, bald aber hatte die Dame sich wieder "berappelt" und schrie. Weilguny nahm ein Kissen, legte es auf ihr Gesicht und drückte zu.
Nachmittags um halb vier war Weilguny bereits zurück in Trappenkamp, 2000 Mark aus einer Handtasche und drei Ringe vom Sofatisch hatte er in Braunschweig mitgehen lassen. "Abwesend, ja fast apathisch" berichtete er, daß "einiges schiefgelaufen" sei, alles habe sich "ganz anders abgewickelt" als geplant. Immerhin, das sein Trost, nun sei "mit einem Rutsch alles erledigt".
Was erledigt war, wurde 48 Stunden später entdeckt: Leute von der "Braunschweiger Zeitung" fanden Helga Eckensberger, 57, die Herausgeberin des Blattes, tot und noch immer gegen das Sofa gelehnt in ihrer Wohnung, mit Würgemalen am Hals, Quetschungen an den Armen und im Gesicht; Zungenbein und Kehlkopf waren durchbrochen.
Da war für Ursula Winkler, die davon las, "dieser Fall sonnenklar". Was sie der Polizei über ihr Weekend mit Weilguny berichtete, erzählte schließlich, "erregt und Tränen in den Augen", Weilguny, als er in Untersuchungshaft genommen war, ebenfalls. Und im Hofoldinger Forst, südlich von München, führte er Kriminalbeamte an die Stelle, wo er unter einer Buche die drei Ringe der Helga Eckensberger vergraben hatte, Wert: 659 000 Mark.
Des Mordes angeklagt, wird Volkmar Weilguny, 30, von Montag kommender Woche an vor dem Braunschweiger Schwurgericht der Prozeß gemacht. Zwar stehen für Generalstaatsanwalt Heinrich Kintzi die "Beweise für die Tat außer Zweifel", aber so sonnenklar ist der Fall für ihn deshalb noch keineswegs: "Das zu sagen, wäre anmaßend."
Denn daß Weilguny quer durch Deutschland gereist ist, nur um -- ohne erkennbares Motiv, aber mit offenbar passendem Schlüssel -- schnurstracks in die ihm unbekannte Wohnung einer ihm fremden Frau zu spazieren, "das wäre", so findet der Generalstaatsanwalt, "zu simpel". Kintzi: "Mir behagt diese einfache Lösung nicht so ganz. Von sich aus hat er das wohl nicht gemacht." Und: "Zu 51 Prozent gab es einen Auftraggeber."
Aber wen, und warum? "Ein Teil des Geschehens", gibt Kintzi zu, "liegt nach wie vor im dunkeln." Und zur Erhellung hat weder einer der 72 Zeugen, die im Prozeß gehört werden sollen, noch die Kleinarbeit der Polizei, die nicht weniger als 68 Spurenakten anlegte, bislang Wesentliches beigetragen. Auch Weilguny selber nicht: Es sei, beklagte er sich vor Polizeibeamten, "alles so problematisch", und "Angaben zur Vorgeschichte" werde er nie und nimmer machen.
Problematisch erscheint in der Tat manches am Tode der rotblonden Helga Eckensberger, deren persönliche Hinterlassenschaft auf 15 Millionen Mark geschätzt wird, die außer ihrer Braunschweiger Wohnung ein Appartement in Paris und das Chateau d'Eternes nebst Weinberg an der Loire besaß, die Stippvisiten mal in Casablanca, mal in Florenz machte, die perfekt Französisch sprach und ihren Diener Ernst in Frankreich sogleich Ernest zu rufen pflegte, die einerseits so zurückhaltend war, daß sie sich überwinden mußte, zu den Redakteuren ihrer Zeitung wenigstens die notwendigsten Kontakte zu halten, aber auch so aufgeräumt sein konnte, daß sie den Korn wie ein Kutscher kippte.
Problematisch für manche Eingeweihte vor allem: Mit dem Tod von Helga Eckensberger, die als Herausgeberin der "Braunschweiger Zeitung" (Auflage: 153 634; Jahresgewinn knapp zehn Millionen Mark) und Geschäftsführerin des Zeitungsverlags Eckensberger & Co. fungiert hatte, fiel der 60-Prozent-Anteil, den sie an dem Unternehmen gehalten hatte, an eine Familie namens Voigt -- Mutter Isolde Voigt, 77, Söhne Arndt, 50, und Henning, 46.
Laut Arndt Voigt hat die Familie dafür zwar "gemäß eines vereinbarten Bewertungsmodus" eine, auf steuerlichen Bewertungssätzen basierende "Auseinandersetzungsschuld" an eine Stiftung zu zahlen, dies jedoch, so Henning Voigt, zu einem "Vorzugskurs", der firmenhistorische Gründe hat: Die Voigts betrieben vor dem Kriege in Braunschweig drei Zeitungen, mit denen sie ihre Druckereien dort auslasten konnten. Nach dem Krieg erhielt der ehemalige Voigt-Journalist Hans Eckensberger, NS-Gegner und damals mit einer Jüdin verheiratet, die Lizenz Nr. 2 der britischen Besatzungsmacht und gründete die "Braunschweiger Zeitung".
Eckensberger, der 1966 starb, ließ sein Blatt in der Voigt-Druckerei Limbach drucken, an der er mit 20 Prozent beteiligt wurde, während er den Voigts, die seinerzeit ihren Zeitungstitel in die Gesellschaft eingebracht hatten, 20 Prozent an seinem eigenen Verlag einräumte -- dies mit der Maßgabe, daß seine und seiner (zweiten) Frau Anteile nach ihrem Tod an Voigts fallen sollten. Henning Voigt: "Das war ein fairer Ausgleich."
Jedenfalls sprach der Branchen-Dienst "Kress-Report" von einer für die Familie Voigt "goldenen Klausel" im Gesellschaftsvertrag, und: "Die bekommen das praktisch für "n Butterbrot", findet auch der Braunschweiger Unternehmer Bodo Schintzel, 49, langjähriger persönlicher und Geschäftsfreund der Eckensbergers. Generalstaatsanwalt Kintzi meint, der Preis, den Voigts zu entrichten haben, sei jedenfalls "nicht so hoch, daß sie davon Nachteile hätten".
Daß sich der Staatsanwalt zu dieser Frage äußert, hat seinen Grund: Die Voigts wohnen in jenem Taunusort Falkenstein, von wo Volkmar Weilguny an jenem Abend im Oktober aufbrach, und Voigts sind auch die Leute, bei denen er aushilfsweise beschäftigt war, mal als Fahrer von Frau Isolde, mal in Geschäften von Sohn Henning.
Den Kontakt hatte einst, im Mai 1966, Arndt Voigt geknüpft, als er bei einem Besuch seiner sächsischen Heimat zufällig mit Weilguny zusammentraf. "Hören Sie mal, ich habe alte Autos", gab Weilguny an, und Arndt Voigt gab ihm die Adresse seines Bruders Henning, Liebhaber von Oldtimern, von denen er mittlerweile zwei auch besitzt -- allerdings keinen von Weilguny.
Immerhin fand Weilguny, gelernter Chemiearbeiter, der in Dresden den mütterlichen Betrieb leitete, ehe er im November 1972 mit Inventar die DDR verlassen durfte, hin und wieder Zeit, bei den Voigts in Falkenstein vorbeizukommen, und alle fanden, daß er ein junger Mann aus gutem Hause war, mit dem sich reden ließ.
So kam es auch dazu, daß sich Isolde und Henning Voigt -- Arndt lebt in Hamburg und fabriziert Jagdwaffen -- des Volkmar Weilguny hilfsbereit annahmen, als der vor zwei Jahren mit seiner Frau Ingrid ins oberbayrische Otterfing zog. Erst arbeitete er als Handelsvertreter der Firma Voigt Büromaschinen KG in München, dann, durch Voigt-Vermittlung, bei der Allgäuer Müllcontainer-Firma Altvater" erledigte, so Weilguny vor der Polizei, "für die Familie Voigt gelegentliche Aufträge" und befaßte sich laut Staatsanwaltschaft auch "mit dem An- und Verkauf wertvoller Schmuckgegenstände".
So ging Weilguny etwa mit einem Smaragdcollier auf Reisen, das er mal als Eigentum seiner Mutter für 800 000 Mark, mal als Familienerbstück für 650 000 Mark, mal im Auftrag von Henning Voigt zum Kauf anbot. Auch war er, wie ermittelt wurde, "in Geschäfte um einen sogenannten Deepden-Diamanten eingeschaltet", einen kanariengelben Stein im Wert von mehr als drei Millionen Mark, den eine Prinzessin Margaloff, die in Salzburg einen kleinen Laden betrieb, Ende 1972 der Helga Eckensberger schmackhaft machen wollte. Aber die Verlegerin habe, so laut Zeugen, der Prinzessin nur geantwortet: "Ach, der Weilguny hat mir ja den Deepden schon angeboten."
Wie auch immer: Wegen Weilgunys Kontakte zur Familie Voigt einerseits und wegen, andererseits, der Beziehungen der Familie Voigt zu Helga Eckensberger hielt es die Staatsanwaltschaft für angezeigt, "Ermittlungen auch in diesem Bereich" zu führen und die Voigts, Henning vorübergehend sogar als Beschuldigten, gründlicher einzuvernehmen -- ergebnislos: "Es gibt keinen einzigen konkreten Anhaltspunkt", räumt Generalstaatsanwalt Kintzi ein, "daß sie mit der Tat in irgendeinem Zusammenhang stehen."
Henning Voigt machte den Beamten im Verhör klar, daß er es nicht nötig habe, sich auf so primitive Weise Geld zu verschaffen, er habe schließlich selbst genug. Aber er gesteht der Polizei auch zu: "Natürlich bin ich in einer Scheißsituation. Die haben die Pflicht, mich zu verdächtigen." Arndt Voigt beeilte sich sogar, im Namen der Familie auf Seite eins der "Braunschweiger Zeitung" mitzuteilen: "Wir haben mit dem Tode von Frau Eckensberger nicht das geringste zu tun."
Wer damit außer Weilguny zu tun haben könnte -- die Beantwortung dieser Frage ist in der ehemaligen Residenz Braunschweig unterdes zum Gesellschafts-Spiel geworden. Und nicht nur dort: Freunde der Eckensbergers in aller Welt gingen unter die Privatdetektive und trugen in langen Briefen den Behörden jeweils ihre Version über die denkbaren Hintergründe des Falles vor, mit dem Resultat, daß jeder jedem alles zutraut. "Es wird viel geredet, es gibt viel Kulissenklatsch", klagt die Staatsanwaltschaft, "viele haben sich unsere Köpfe zerbrochen."
Da wird seitenweise aufgezählt, wer alles einen finanziellen Nutzen vom Tod der Verlegerin sich hätte ausrechnen können, und es wird, vor allem, beklagt, daß von der so ergiebigen Hinterlassenschaft bislang gerade 100 000 Mark an die Stiftung und lumpige 8000 Mark an Legaten gezahlt worden seien
und die Staatsanwaltschaft wird mit dem "alten kriminalistischen Lehrsatz" vertraut gemacht: "Wo das Geld ist, da ist auch der Täter."
Das Testament der Helga Eckensberger bestimmt, daß ihr alleiniger Erbe die Stiftung sein soll, die kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und karitativen Zwecken im Verbreitungsgebiet der "Braunschweiger Zeitung", etwa identisch mit dem ehemaligen Land Braunschweig, dienen soll. Mit der Errichtung der Stiftung wurde in dem letzten Willen der Testamentsvollstrecker Dr. Ernest Boas in Lausanne betraut.
Außerdem nennt das Testament etwa 20 Personen, denen monatliche Legate bis zu 500 Mark gezahlt und zwei Personen, denen einmalige Zahlungen geleistet werden sollen, nämlich den Chefredakteur des Eckensberger-Blattes, Hans-Jürgen Heidebrecht, mit 200 000 Mark, und den Vermögensberater Octave de Juniac mit drei Millionen Mark, beide Beträge steuerfrei. Schließlich ist bestimmt, daß Familien- und Geschäftsfreund Bodo Schintzel das Chateau d'Eternes zu einem Freundschaftspreis zum Kauf anzubieten sei.
Wo nun all das Geld steckt, das da verteilt werden soll, wissen freilich nur wenige: Das meiste liegt auf ausländischen Konten (vor allem in Frankreich), die wegen rein rechtlicher Unklarheiten gesperrt sind. In diesem Zusammenhang spielt etwa die Frage eine Rolle, welchen Hauptwohnsitz, Frankreich oder Braunschweig, die Verlegerin denn nun eigentlich hatte -- je nach Auslegung stehen fällige Steuern dem einen oder dem anderen Fiskus zu.
Und weil Helga Eckensberger ahnte, daß es da eines Todestages Schwierigkeiten geben könnte, hatte sie für den 15. Dezember 1973 -- sieben Wochen vorher wurde sie getötet -- einen Termin in Paris anberaumt, bei dem ihr Testament entsprechend geändert werden sollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen -- Folge: Der Testamentsvollstrecker kann nur jene Gelder auszahlen, über die er derzeit verfügt, etwa 1,7 Millionen Mark, die der Verkaut von Schmuck (Versicherungswert: knapp vier Millionen Mark) der Toten erbrachte.
Jedoch, was diese Querelen betrifft, zeigt sich die Staatsanwaltschaft desinteressiert: "Das ist für uns wenig aufschlußreich, wir sehen da keinen Zusammenhang mit der Tat." Und genug anderes ist schließlich auch noch ungeklärt, so beispielsweise die Frage, ob Weilguny nicht doch zu Recht der Meinung war, daß niemand in der Wohnung sein konnte, in die er sich Eintritt verschaffte: An jenem Wochenende nämlich hatte Helga Eckensberger eigentlich auf der Antiquitätenmesse in München sein und anschließend zu einer Freundin nach Salzburg fahren wollen, das Schlafwagenabteil war schon reserviert.
Und so wurden, nicht genug des Mysteriösen, auf dem Nachttisch in der Eckensberger-Wohnung aus dem SPIEGEL ausgeschnittene Bilder des Dr. Richard Meier, Abteilungsleiter beim Bundesnachrichtendienst" und eines Bielefelder Amtsrichters gefunden, die niemand dort vorher gesehen hatte -- und keiner der Abgebildeten hat auch je mit Helga Eckensberger etwas zu schaffen gehabt.
So gibt es die Mitteilung des in London lebenden Vermögensberaters de Juniac, die Verlegerin habe ihm bei einem Telephonat am Abend vor ihrem Tod erzählt, sie erwarte am Sonnabend amerikanischen Besuch aus Berlin, den "John" arrangiert habe. Weder aber kam der Besuch, noch ist geklärt, wer John ist, von dem, so Freunde, Helga Eckensberger "egalweg" redete -- die Staatsanwaltschaft hegt unterdes "Zweifel an dessen Existenz" und gruppiert ihn als "Hirngespinst" ein, obschon sie immer noch nach ihm fahndet.
Ungeklärt ist auch, was Helga Eckensberger veranlaßt haben mag, gegen ihre Gewohnheit ausgerechnet an einem Sonnabendmorgen nicht -- wie sonst tagelang und selbst bei geschäftlichen Besprechungen in ihrer Wohnung -- ein Negligé zu tragen, sondern angezogen war, "als wollte sie ins Theater gehen" (Eckensberger-Freund Schintzel).
Daß sie sich so komplett gekleidet hat, nur um vielleicht ihren Yorkshire-Terrier "Moustache" auszuführen, den sie "Püppilinchen" nannte, erscheint gleichfalls ausgeschlossen: " Da hätte sie", so Schintzel, "eher den Verlagsleiter zu sich kommen lassen und ihn gebeten, mal mit dem Hund runterzugehen." Und: "Nein, nein, sie hat jemanden erwartet."
Unwahrscheinlich aber auch das. Denn weil sie mal wieder Schmerzen im Rücken verspürte und deshalb auch eine lederne Halsmanschette angelegt hatte, war sie offenkundig entschlossen, das Wochenende überwiegend im Bett zu verbringen. Wohl zu diesem Zweck hatte sie sich tags zuvor eigens einen Fernseher mi Schlafzimmer installieren lassen.
Und schließlich ließ sie so schnell niemanden in die Wohnung. Wenn es klingelte, versicherte sie sich umständlich, wer denn wirklich draußen stand, ehe sie den zusätzlich angebrachten Sicherheitsriegel an der Wohnungstür öffnete -- was die Staatsanwaltschaft schließen ließ, Weilguny hätte auch mit einem Schlüssel nur eindringen können, wenn sich Helga Eckensberger "außerhalb ihrer Wohnung aufgehalten hätte".
Diese Feststellung freilich vermehrt das Dunkel noch, anstatt es zu vermindern. Aber der Staatsanwaltschaft scheint es ergangen zu sein wie beispielsweise Henning Voigt: "Man kommt bei allen Überlegungen in dieser Sache an einen Punkt, da geht's nicht mehr."
DER SPIEGEL 46/1974
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