grinder schrieb:Mario fabuliert mal wieder über Nikola Tesla, der zuerst von J. P. Morgan unterstützt wurde, als dieser dann merkte, dass Teslas Erfindungen schlecht für seine eigenen Geschäfte sind, ihm die Unterstützung verwehrte, in bekämpfte und in den Ruin trieb. Schließlich sorgte er auch dafür, dass Tesla aus den Geschichtsbüchern verschwand.
Das ist eine der dümmsten Lügen der Freie-Energie-Szene. Sie ist leider sehr weit verbreitet, weil sie die primitiven Klischees der Szene bedient.
Dazu zunächst allgemein: Über kaum eine historische Persönlichkeit ist soviel Unsinn im Umlauf wie über Tesla. Ich möchte jedem, der sich ernsthaft für das Thema interessiert, sehr dringend empfehlen, zuallererst mindestens zwei der seriösen Tesla-Biographien (z.B. O'Neill, Cheney, Seifer, Carlson -- die englischen Versionen von O'Neill und Carlson sind bei archive.org frei verfügbar) zu lesen. Mindestens zwei, weil auch jede Biographie ihre Schwächen hat. Die historische Persönlichkeit Nikola Tesla hat nur sehr wenig mit der mythischen Gestalt gleichen Namens zu tun, die im Internet herumgeistert.
Tesla selbst schrieb in seiner Autobiographie "My Inventions", die 1919 (J.P. Morgan war zu diesem Zeitpunkt bereits ca. 6 Jahre verstorben) im "Electrical Experimenter"-Magazin veröffentlicht wurde:
I would add further, in view of various rumors which have reached me, that Mr. J. Pierpont Morgan did not interest himself with me in a business way but in the same large spirit in which he has assisted many other pioneers. He carried out his generous promise to the letter and it would have been most unreasonable to expect from him anything more.
(Nikola Tesla: "My Inventions")
Ich hatte den tatsächlichen historischen Ablauf vor Längerem im Thread
"Tesla’s Theorie der elektromagnetischen Wellen" beschrieben:
Nach seiner Rückkehr von Colorado Springs Anfang 1900 suchte Tesla Geldgeber für seine Ideen zur drahtlosen Nachrichten- und Energieübertragung. Dabei trat allerdings das Problem auf, dass der Ruf als Superstar, den er sich aufgrund seiner Arbeiten im Wechselstrom-Bereich in der ersten Hälfte der 1890er erworben hatte, zu dieser Zeit aufgrund ausbleibender Resultate bereits deutlich gelitten hatte. Schliesslich kam er Ende 1900 mit dem Unternehmer und Bankier
J.P. Morgan (1837-1913) in Kontakt.
Nach einigen persönlichen Zusammentreffen schlug Tesla in einem Brief an Morgan am 26. November 1900 den Bau eines Systems zur drahtlosen Nachrichtenübertragung über den Atlantik mit Baukosten von 100.000 US$ und einer Bauzeit von 6-8 Monaten, und eines Systems zur drahtlosen Nachrichtenübertragung über den Pazifik mit Baukosten von 250.000 US$ und einer Bauzeit von einem Jahr vor.
Morgan hielt es für sinnvoller, sich zunächst auf eine Strecke zu beschränken, und sagte Tesla 150.000 US$ zu. Er machte allerdings von vornherein klar, dass er kein weiteres Geld investieren würde. Im Gegenzug erhielt Morgan 51% des gemeinsamen Unternehmens und der Patentrechte. Tesla hatte im Laufe der Gespräche selbst vorgeschlagen, dass Morgan die Mehrheit erhält: "The control is yours, the larger part is yours". Als groben Anhaltspunkt für den heutigen Wert dieser 150.000 US$ kann man über den US Consumer Price Index einen Betrag von ca. 4,5 Millionen US$ ermitteln (gemäss
https://www.measuringworth.com/calculators/uscompare/result.php?year_source=1900&amount=150000&year_result=2020). Da die Löhne in diesem Zeitraum erheblich höher als der Consumer Price Index gestiegen sind, und das Wardenclyffe-Projekt einen erheblichen Lohnanteil enthielt, dürfte der tatsächlich vergleichbare Betrag eher noch deutlich höher liegen. Diesen Betrag hat Morgan vollständig (in mehreren Raten) an Tesla gezahlt. Es kam dabei teilweise zu Verzögerungen von einigen Monaten, vermutlich weil Morgan selbst Liquiditätsprobleme hatte.
Im Juni 1901 geschah jedoch etwas, das die Situation für Tesla völlig veränderte. Er las einen Artikel seines Rivalen Marconi in der Zeitschrift "Electrical Experimenter", und schloss aus der Erwähnung einer "Tesla-Spule" fälschlich, dass Marconi sein Konzept der drahtlosen Nachrichtenübertragung kopieren würde. Tesla befürchtete, dass Marconi ihm mit wesentlichen Erfolgen zuvorkommen würde, und beschloss, dass ihm das mit Morgan vereinbarte, relativ schlichte Konzept eines Systems zur drahtlosen Nachrichtenübertragung über den Atlantik nicht mehr genügte. Er begann ein erheblich grandioseres -- und damit erheblich teureres -- System zu planen. Als er im Juli 1901 Morgan über seine neuen Pläne und die erheblich höheren Kosten informierte, war dieser verärgert, und lehnte rundweg ab, zusätzliches Geld zu investieren. Tesla versuchte trotzdem, soweit es möglich war, mit seinen grandiosen Plänen fortzufahren, und hoffte, Morgan später zu weiteren Investitionen bewegen zu können. Das Timing war jedoch ausserordentlich ungünstig, da die zweite Jahreshälfte 1901 für Morgan selbst eine der schwierigsten Phasen seines Lebens war.
Im Dezember 1901 kam der nächste Tiefschlag für Tesla: Seinem Rivalen Marconi war die erste drahtlose Nachrichtenübertragung über den Atlantik gelungen. In der Öffentlichkeit und auch bei potenziellen Investoren entstand zunehmend der Eindruck: Tesla macht Versprechungen, und Marconi liefert Resultate. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verlor Morgan jedes weitere Interesse an Tesla's Aktivitäten. Tesla konnte sich damit allerdings nicht abfinden, und hat in den nächsten Jahren -- erfolglos -- noch über 50 (!) Briefe an Morgan geschickt, in denen er zusätzliche Geldmittel abwechselnd erbat oder forderte.
Mit Morgan's ursprünglichem Geld und zusammengekratzten weiteren finanziellen Mitteln gelang es Tesla, die Wardenclyffe-Anlage bis Mitte 1903 weitgehend (allerdings nicht vollständig) fertigzustellen. Bis 1906 unterhielt Tesla dort einen weitgehend regulären Geschäftsbetrieb, allerdings ohne wesentliche Resultate zu erzielen. 1906 nahmen Tesla's finanzielle und persönliche Probleme derart zu, dass der reguläre Geschäftsbetrieb eingestellt wurde, und Tesla die Anlage nur noch gelegentlich aufsuchte.
Tesla lebte ab 1899 ca. 20 Jahre lang luxuriös im damals wahrscheinlich angesehensten Hotel der Welt, dem Waldorf-Astoria in New York. Da er aufgrund seiner finanziellen Probleme ab 1904 nicht mehr für die Kosten aufkommen konnte, verpfändete er die Wardenclyffe-Immobilie an den Eigentümer des Hotels. Nachdem sich Tesla's finanzielle Situation in den folgenden 10 Jahren nicht wesentlich verbesserte, und 1915 nicht absehbar war, dass er die erheblichen aufgelaufenen Schulden jemals begleichen können würde, beantragte der Eigentümer des Hotels 1915 die Zwangsversteigerung der Wardenclyffe-Immobilie, die daraufhin in seinen Besitz überging. 1917 liess er den (weitgehend aus Holz bestehenden) Tower abreissen, der allerdings zu diesem Zeitpunkt, wie aus dem Protokoll einer späteren Gerichtsverhandlung hervorgeht, sowieso schon stark verrottet war.
Tesla hat es in den ca. 43 Jahren nach seiner Zeit in Colorado Springs nicht geschafft, einen einzigen seriösen Nachweis dafür zu erbringen, dass seine Ideen zur drahtlosen Nachrichten- und Energieübertragung tatsächlich funktionieren, obwohl ihm u.a. die weitgehend fertiggestellte Wardenclyffe-Anlage für mehr als 10 Jahre zur Verfügung stand. Genauso wenig hat es irgendjemand anders anhand der umfangreichen vorhandenen technischen Unterlagen geschafft. Es funktioniert nicht, weil Tesla von falschen Grundannahmen ausgegangen ist, was er sich den Rest seines Lebens nicht eingestehen wollte.