@Blues666 Die Möglichkeit, die genetischeDistanz zu ermitteln, ist ja noch nicht so alt; dazu mußte das Genom jener Spezies, deren genetische Distanz zu ermitteln wäre, ja überhaupt erst einmal erfaßt sein. Ziemlich bald jedenfalls kam dabei die Idee auf, die genetische Distanz in eine "genetische Uhr" zu transformieren.
Allerdings mußte diese Uhr erst einmal "geeicht" werden. Ich meine sogar, irgendwann einmal gelesen zu haben, daß die "Tickgeschwindigkeit" der "genetischen Uhr" an der genetischen Distanz zwischen Pan und Homo im Vergleich mit deren durch den Fossilbefund ermittelten Abtrennungsalter geeicht wurde.
Je mehr Genome erfaßt waren, desto mehr Vergleichsmaterial stand zur Verfügung für ein Eichen. Und da sah es dann desöfteren danach aus, daß der Fossilbefund eine deutlich länger zurückliegende Abspaltung der Vorfahrenlinie nahelegte. Bei anderen dagegen paßte das aus der genetischen Distanz ermittelte Aufspaltungsalter (an Homo-Pan geeicht) ziemlich gut zum Alter der Auftrennung der Spezies-Linien, welches der Fossilbefund nahelegte.
Das brachte die Erkenntnis, daß die "genetische Uhr" doch nicht so konstant tickt wie angenommen. Und daß die genetische Uhr bei Homo und/oder Pan womöglich langsamer tickte als gedacht.
Bei Pan und Homo wurde also der Wert der genetischen Distanz von 1,6% des Genoms anfangs auf eine Abtrennungszeit von 6 Millionen Jahren festgelegt. Bei anderen Spezies dagegen müßten 1,6% Genomabweichung jedoch einem längeen Zeitraum entsprechen, 8 oder 9 Millionen Jahre. Irgendwann hieß es sogar mal, daß die genetische Uhr für die Aufspaltung von Pan und Homo nur halb so schnell getickt haben kann wie bei anderen Spezies. Wir sind da offensichtlich noch sehr am Anfang, und von einer verläßlichen Datierung des letzten gemeinsamen Vorfahrens mithilfe der genetischen Distanz sind wir wie's scheint, noch weit entfernt.
Weiter als wir hoffen können. Vor wenigen Jahren wurde die genetische Distanz von Homo und Pan von 1,6% des Genoms auf 0,6% runterjustiert. Ich weiß nicht, ob sich dieser neue Distanzwert verifizieren ließ und durchgesetzt hat.
Wir haben also die Situation, daß wir wissen, daß die genetische Uhr unterschiedlich schnell ticken kann. Wir haben sogar ein paar gute Erklärungen für dieses unterschiedliche Ticken parat. So neigen gut an ihre Nische angepaßte Spezies in veränderungsarmer Umwelt zu einem konservativen Genom, bei dem Neuerungen häufiger ausselektiert werden, was ein "langsameres Ticken" beim Genomvergleich einbringt. Freilich wissen wir dabei längst nicht alles. Denn die Evolution der Homininen war alles andere als altbestands-konservierend - und dennoch scheinen sich die Genome von Pan und Homo besonders langsam voneinander wegbewegt zu haben. Selbst wenn wir hierfür Erklärungen hätten, wäre es für die praktische Anwendung dergenetischen Uhr schwierig, da wir erkennen müßten, in welchem Zeitraum die Uhr um wie viel schneller oder langsamer tickte als sonst.Tickte unsere genetische Uhr in den letzten 6...9 Millionen Jahren stets gleich "langsam" oder unterschiedlich, und wenn, um wieviel unterschiedlich, und jeweils wie lange? Das scheint derzeit kaum bestimmbar zu sein.
Und wenn sich die bisher gültige genetische Distanz mit einem Schlag auf weniger als die Hälfte des bisherigen Wertes reduziert (3/8),scheint mir die Praktikabilität der genetischen Uhr generell fraglich. Die ältesten undbereits sehr primitiven Primatenfossilien sind glaub ich keine 60 Millionen Jahre alt. Der genetische Vergleich deutet darauf hin, daß sich die Primaten vor ca. 80 Millionen Jahren von den nächstverwandten Säugergruppen abgespalten haben müßten. Noch vor einiger Zeit hielt ich das genetische Alter für aussagekräftiger; heute frage ich mich, ob das genetische Alter bei einer Änderung von über 50% morgen auf weniger als 40 oder auf knapp 200 Millionen Jahre hinauslaufen könnte und damit einfach nur absurd falsch wäre.
Das Ermitteln genetischer Distanzen ist ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt. In den letzten Jahren wurde praktisch der gesamte Stammbaum der Säugetiere damit umgekrempelt und z.T. in völlig neue Kategorien eingeordnet. Die relativen Beziehungen der Spezies oder Spezies-Gruppen zueinander lassen sich genetisch sehr präzise bestimmen. Was aber die Bestimmung des "absoluten Alters" der Abtrennung der verschiedenen Linien voneinander betrifft, so werden wir womöglich noch ein paar Jahrzehnte warten müssen, bevor diese Datierung auch nur in die Nähe der Verläßlichkeit der Datierung über den Fossilbefund gelangt.
So jedenfalls mein persönliches Fazit.
Obwohl ich all diese Details zur Entwicklung und Problematik der genetischen Uhr aus diversen Artikeln habe, dies auch online gefunden hatte, finde ich jetzt keine Seite, die diese Sachen mal zusammenfassend darlegt. Immerhin scheint die Zahl der Seiten, die die genetische Uhr als Datierung heranziehen, in den letzten Jahren eher abgenommen zu haben, womöglich ein Hinweis auf die zunehmende Erkenntnis der Schwieigkeit, die genetische Uhr anzuwenden.