Link: www.wie.org (extern) (Archiv-Version vom 21.10.2008)AG: Als Hintergrund dazu sei gesagt, dass die Quantenphysik seit vielen Jahren Hinweise darauf gegeben hatte, dass es andere Ebenen der Realität gibt als die materielle Ebene. Es begann damit, dass Quantenobjekte – Objekte in der Quantenphysik – als Wahrscheinlichkeitswellen angesehen wurden. Anfangs dachte man: „Ach, sie sind bloß wie die üblichen Wellen.“ Aber es zeigte sich sehr schnell, dass sie nicht Wellen in Raum und Zeit waren. Sie können überhaupt nicht Wellen in Raum und Zeit genannt werden. Sie haben Eigenschaften, die nicht mit denen der üblichen Wellen korrespondieren. Somit wurden sie als Potenzialwellen, Wellen von Möglichkeiten, erkannt. Und das Potenzial war Transzendenz, jenseits von Materie.
Allerdings war für eine lange Zeit die Tatsache, dass dies transzendentes Potenzial war, nicht sehr klar. Dann bewies Aspects Experiment, dass es nicht bloß eine Theorie war, dass tatsächlich transzendentes Potenzial existiert, dass Objekte tatsächlich jenseits von Raum und Zeit verbunden sind – außerhalb von Raum und Zeit! In diesem Experiment gibt ein Atom zwei Lichtquanten ab, Photonen genannt, die in entgegengesetzte Richtungen ausstrahlen. Dennoch beeinflussen diese Photonen einander, ohne irgendwelche Signale auszu-tauschen. Beachten Sie bitte: Ohne irgendwelche Signale durch den Raum auszusenden, beeinflussen sie einander – und zwar sofort.
Nun hat Einstein jedoch vor langer Zeit bewiesen, dass zwei Objekte in Raum und Zeit einander nie sofort beeinflussen können, da sich alles nur innerhalb einer maximalen Geschwindigkeit bewegen kann, der Lichtgeschwindigkeit. Daher muss sich auch jegliche Einflussnahme, sobald sie in Raum und Zeit stattfindet, mit dieser Geschwindigkeit bewegen, in einer bestimmten Zeit. Das ist die Idee der „Räumlichkeit“. Es wird angenommen, dass jedes Signal räumlich ist, insofern es eine bestimmte Zeit benötigt, um sich im Raum zu bewegen. Aspects Photonen jedoch – die Photonen, die von einem Atom in seinem Experiment freigesetzt wurden – beeinflussen einander in räumlicher Distanz, ohne Signale auszutauschen, da sie dies augenblicklich tun – schneller als mit Lichtgeschwindigkeit. Daraus lässt sich schließen, dass diese Einflussnahme sich nicht durch den Raum bewegt haben konnte. Stattdessen muss dieser Einfluss in einem Realitätsbereich stattgefunden haben, den wir als den transzendenten Bereich der Realität anerkennen müssen.
WIE: Das ist faszinierend. Würden die meisten Physiker mit dieser Interpretation des Experiments übereinstimmen?
AG: Nun ja, Physiker müssen dieser Interpretation zustimmen. Natürlich nehmen Physiker oft den folgenden Standpunkt ein: Sie sagen: „Ja, ja, natürlich, Experimente. Aber dieses Verhältnis der Partikel zueinander ist nicht wirklich wichtig. Wir dürfen auf keinen Fall irgendwelche Konsequenzen dieses transzendenten Bereichs untersuchen – sofern dies überhaupt auf diese Weise interpretiert werden kann.“ Anders gesagt bemühen sie sich, die Konsequenzen dieser Ergebnisse zu minimalisieren und sich immer noch an die Idee zu klammern, dass die Materie bestimmend sei.
Aber in ihren Herzen wissen sie es – dafür gibt es Beweise. Beim Treffen der American Physical Society 1984 oder 1985, bei dem ich auch anwesend war, soll nach Aspects Experiment ein Physiker zu einem anderen gesagt haben, dass jeder, der nicht glaubt, dass mit dieser Welt etwas wirklich sehr seltsam sei, ein Brett vor dem Kopf haben müsse.
WIE: Somit sagen Sie also, dass es aus Ihrer Sicht der Dinge, die auch einige andere teilen, ganz offensichtlich ist, dass die Vorstellung einer transzendenten Dimension eingeführt werden muss, um all dies zu verstehen.
AG: Ja. Henry Stapp, ein Physiker an der Universität von Berkeley in Kalifornien, sagt es ganz deutlich in einer seiner Arbeiten, die er 1977 schrieb: Dinge außerhalb von Raum und Zeit beeinflussen Dinge im Raum- und Zeitgefüge. Gar keine Frage, genau das geschieht mit Quantenobjekten im Bereich der Quantenphysik. Allerdings, die harte Nuss dabei – was wirklich überrascht – ist, dass wir im Grunde immer mit Quantenobjekten befasst sind, denn es stellte sich heraus, dass die Quantenphysik jegliches Objekt betrifft. Ganz gleich, ob submikroskopisch oder makroskopisch, die Quantenphysik ist die einzige Physik, die wir haben. Obwohl es bei Photonen, Elektronen, submikroskopischen Objekten am offensichtlichsten ist, glauben wir jedoch, dass die gesamte Realität, alle manifeste Realität, die Materie als Gesamtheit, von denselben Gesetzen bestimmt wird. Und wenn dem so ist, dann sagt uns dieses Experiment, dass wir unsere Weltsicht ändern sollten – denn auch wir sind Quantenobjekte.
WIE: Das sind faszinierende Erkenntnisse, die viele Menschen inspiriert haben. In zahlreichen Büchern wurde bereits der Versuch unternommen, eine Verbindung von Physik und Mystizismus herzustellen. Fritjof Capra's Das Tao der Physik und Gary Zukav's Die tanzenden Wu Li Meister haben viele, viele Menschen angesprochen. In Ihrem Buch behaupten Sie nun, dass etwas noch nicht abgedeckt worden sei, und das sei nun Ihr spezieller, persönlicher Beitrag zu dieser Materie. Möchten Sie etwas darüber sagen, was Ihre Arbeit von dem unterscheidet, was bisher auf diesem Gebiet erarbeitet wurde?
AG: Ich bin sehr froh, dass Sie das fragen. Das sollte einmal geklärt werden, und ich werde mich bemühen, so deutlich wie nur möglich zu sein. Frühe Arbeiten, wie z. B. Das Tao der Physik waren sehr wichtig für die Geschichte der Wissenschaft. Dennoch haben diese frühen Arbeiten – obwohl sie den spirituellen Aspekt der Menschen unterstützten – insgesamt doch die materialistische Weltsicht vertreten. Anders gesagt, sie haben die Ansicht des materialistischen Realismus, dass alles aus Materie besteht, nicht in Frage gestellt. Diese Ansicht wurde nie in diesen frühen Werken bezweifelt. Mein Buch war tatsächlich das erste, das diesem Ansatz frontal zuwider lief und sich dennoch auf einer rigorosen Erklärung in wissenschaftlicher Terminologie gründete. Anders gesagt: Die Vorstellung, dass Bewusstsein der Urgrund des Seins sei, hat davor zwar in der Psychologie existiert, als transpersonale Psychologie, doch außerhalb der transpersonalen Psychologie hat keine wissenschaftliche Tradition und kein Wissenschaftler dies so klar gesehen.
Ich hatte das Glück, durch die Quantenphysik erkennen zu können, dass alle Paradoxa der Quantenphysik gelöst werden können, sobald wir Bewusstsein als Urgrund des Seins anerkennen. Das war mein spezifischer Beitrag – hier liegt natürlich das Potenzial für einen Paradigmenwechsel, denn nun können Wissenschaft und Spiritualität einander wirklich ergänzen. Mit anderen Worten: Capra und Zukav – obwohl ihre Bücher sehr gut sind – führten nicht dazu, dass ein Wechsel des Paradigmas stattfand, da sie immer noch einem fundamentalen materialistischen Paradigma anhingen, und es fand auch keine wirkliche Aussöhnung von Spiritualität und Wissenschaft statt. Denn, wenn alles letztlich materiell ist, muss alle kausale Wirkung aus der Materie kommen. Bewusstsein wird anerkannt, Spiritualität ebenso, jedoch nur als kausale Epiphänomene oder auch Sekundärphänomene. Und ein Bewusstsein als Epiphänomen bedeutet nichts Gutes – es agiert nicht. Diese Bücher erkennen zwar Spiritualität an, jedoch ist diese Spiritualität letztendlich in einer Art materiellen Interaktion begründet.
Aber das ist nicht die Spiritualität von der Jesus sprach. Das ist auch nicht die Spiritualität, die östliche Mystiker zur Ekstase führte. Das ist nicht die Spiritualität, die einen Mystiker erkennen und sagen lässt: „Jetzt weiss ich, was die Wirklichkeit ist, und dieses Wissen nimmt alles Leiden, das man je erfuhr, hinweg. Dies ist unendlich, das ist Freude, das ist Bewusstsein.“ Derartige überschwängliche Aussagen können nicht aus einem epiphänomenalen Bewusstsein kommen. Sie können nur aus einem Bewusstsein kommen, das den Urgrund erkennt, wenn man direkt erfährt, dass das Eine Alles ist.
Nun, ein Mensch mit epiphänomenalem Bewusstsein hätte nicht diese Fähigkeit zur Wahrnehmung. Es ergäbe keinen Sinn wahrzunehmen, dass man Alles ist. Aber das ist es, was ich sage. Solange die Wissenschaft einer materialistischen Weltsicht anhängt, so sehr man sich auch bemüht, spirituelle Erfahrungen als Parallelen oder Chemikalien im Gehirn zu erklären, solange gibt man das alte Paradigma nicht wirklich auf. Dies geschieht nur, wenn sich die Wissenschaft auf der grundlegenden spirituellen Erkenntnis gründet, dass Bewusstsein der Urgrund allen Seins ist. Das habe ich in meinem Buch getan, das ist erst einmal ein Anfang. Doch es gibt bereits weitere Bücher, die diesen Zugang ebenfalls vertreten.
WIE: Es gibt also Autoren, die Ihre Idee unterstützen?
AG: Es gibt bereits Leute, die nun mit denselben Erkenntnissen an die Öffentlichkeit kommen, nämlich dass mit diesem Ansatz die Quantenphysik erklärt und die Wissenschaft in Zukunft weiter entwickelt werden kann. Die gegenwärtige Wissenschaft hat nicht nur Quantenparadoxa aufgezeigt, sondern sich auch als völlig unfähig erwiesen, paradoxe und anomale Phänomene zu erklären, wie die Parapsychologie, das Paranormale – und sogar Kreativität. Selbst traditionelle Fächer wie Wahrnehmung und biologische Evolution haben noch einen großen Erklärungsbedarf, den die materialistischen Thesen nicht abdecken. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt in der Biologie eine Theorie des interpunktierten Gleichgewichts. Das heißt, dass die Evolution nicht nur langsam voranschreitet, wie Darwin feststellte, sondern vielmehr kommt es in der Evolution an gewissen Punkten zu raschen, sprunghaften Entwicklungsschritten. Die traditionelle Biologie hat dafür keine Erklärung.
Wenn wir in der Wissenschaft jedoch vom Bewusstsein als Basis ausgehen, einem Primat des Bewusstseins, dann können wir darin das Phänomen der Kreativität, wirklicher Kreativität des Bewusstseins erkennen. Anders gesagt, wir können wirklich erkennen, dass Bewusstsein selbst in der Biologie kreativ arbeitet, sogar in der Evolution der Spezies. Auf diese Weise können jetzt die Lücken gefüllt werden, welche die konventionelle Biologie nicht füllen kann, und zwar mit Ideen, die in der Essenz spirituelle Ideen sind, wie zum Beispiel dem Bewusstsein als Schöpfer der Welt.
WIE: Das erinnert an den Untertitel des Buches: Wie Bewusstsein die materielle Welt erschafft. Das ist ein ziemlich radikales Konzept. Könnten Sie noch etwas konkreter werden, wie das Ihrer Ansicht nach tatsächlich möglich ist?
AG: Das ist im Grunde am einfachsten zu erklären, denn in der Quantenphysik, wie ich schon zuvor sagte, werden Ojekte nicht als definitive Dinge gesehen, wie wir sie üblicherweise sehen. Newton hat uns gelehrt, dass Objekte definitiv sind, sie können die ganze Zeit gesehen werden und bewegen sich in definitiven Bahnen. Die Quantenphysik beschreibt Objekte ganz und gar nicht auf diese Weise. In der Quantenphysik werden Objekte als Möglichkeiten gesehen, als Möglichkeitswellen, nicht wahr? Daher stellt sich dann die Frage: Was wandelt Möglichkeit in Aktualität? Denn, wie gesagt, wir können nur tatsächliches Geschehen sehen. Das beginnt mit uns: Wenn Sie einen Stuhl sehen, sehen Sie einen tatsächlichen Stuhl, Sie sehen nicht einen möglichen Stuhl.
WIE: Stimmt – ich hoffe zumindest.
AG: Das hoffen wir alle. Das wird nun das „Quantenmessungs-paradoxon“ genannt. Es ist ein Paradoxon, denn wer sind wir, dass wir diese Umwandlung vornehmen? Denn nach dem materialistischen Paradigma haben wir doch keine kausale Wirkkraft. Wir sind nichts weiter als das Gehirn, das aus Atomen und Elementarteilchen besteht. Wie kann nun ein Hirn, das aus Atomen und Elementarteilchen besteht, eine Möglichkeitswelle umwandeln, da es doch selbst eine ist? Es besteht selbst aus Möglichkeitswellen von Atomen und Elementarteilchen, daher kann es nicht die eigene Möglichkeitswelle selbst in Aktualität umwandeln. Das nennt man ein Paradoxon. Nun, in der neuen Sichtweise ist Bewusstsein der Urgrund des Seins. Wer also wandelt Möglichkeit in Aktualität? Das Bewusstsein tut das, denn das Bewusstsein gehorcht nicht den Regeln der Quantenphysik. Bewusstsein besteht nicht aus Materie. Bewusstsein ist transzendent. Können Sie genau hier den Paradigmenwechsel in der Weltsicht erkennen? Dass man vom Bewusstsein sagen kann, dass es die materielle Welt erschafft? Die materielle Welt der Quantenphysik ist nichts weiter als eine Möglichkeit. Es ist das Bewusstsein, das durch die Umwandlung von Möglichkeit zur Aktualität das erschafft, was wir als manifest sehen. Anders gesagt: Bewusstsein erschafft die manifeste Welt.
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