Die Illuminaten gibt es nicht!
19.07.2007 um 05:00
Rothschilds, Rockefeller und die Aliens
Noch drei Jahre nach den Terroranschlägen sindkrude Verschwörungstheorien zum 11. September der Renner. Sie scheinen die Welt zuerklären und reproduzieren alte Feindbilder.
Von Tobias Jaecker
DerBericht, den die überparteiliche Kommission zur Untersuchung der Terrorattacken vom 11.Sep-tember kürzlich vorgelegt hat, ist beeindruckend. Rund 2,5 Millionen Aktenblätterwurden gesichtet, 1.200 Personen befragt, die Ereignisse minutiös recherchiert. Fazit:Dass die Anschläge nicht verhindert wurden, sei einem «Versagen der Politik, der Führung,der Leistungsfähigkeit und – vor allem – der Vorstellungskraft» zuzuschreiben. Zudem gebees keine «glaubwürdigen Belege» dafür, dass Al Qaida bei den Anschlägen mit derirakischen Regierung unter Saddam Hussein zusammengearbeitet habe.
Starker Tobakfür die US-Regierung. Doch kaum war der Bericht erschienen, erhoben dieVerschwörungstheoretiker das Wort. Der Untersuchungsbericht verdiene eher den Titel«Harry Plotter und die Teppichmesser des Schreckens», höhnte der Buchautor MathiasBröckers. Und sein Kollege Gerhard Wisnewski kritisierte, die Kommission stopfe nur die«Löcher der offiziellen Version» und habe immer noch keine Erklärung, «warum der Angriffvon den angeblichen US-Staatsfeinden nicht viel effektiver gestaltet wurde, wenn sieschon vier große Flugzeuge unter ihrer Kontrolle hatten. Warum zum Beispiel nicht einKernkraftwerk angegriffen wurde oder die CIA- oder FBI-Zentrale.»
Schuld sind dieAmerikaner und Juden
Wisnewskis Äußerungen sind bezeichnend. Denn abgesehen vonder Menschenverachtung, die aus seinen Zeilen spricht – dreitausend Tote sind ihmoffenbar nicht «effektiv» genug – argumentiert er nach einem typischenverschwörungstheoretischen Muster: Sämtliche offiziellen Verlautbarungen gelten nur mehrals Beweis für die Plausibilität der eigenen, entgegen gesetzten Theorien. Und dass derUS-Regierung schlicht die Vorstellungskraft gefehlt haben könnte, um mit den Anschlägenzu rechnen, kann schon gar nicht sein. Denn in der Welt der Verschwörungstheoretiker gibtes für alles eine Erklärung. Sie reduzieren komplexe Vorgänge und Strukturen auf simple,überschaubare Zusammenhänge und unterstellen, dass unsichtbare Mächte die Weltgeschichtelenken – und die Bevölkerung kräftig übers Ohr hauen.
Drei Jahre nach denTerroranschlägen sind krude Verschwörungstheorien zum 11. September der Renner. In denBuchläden stapeln sich Bücher mit Titeln wie «Septemberlüge. Was am 11. September 2001wirklich geschah», «Der inszenierte Terrorismus – Auftakt zum Weltenbrand?» oder «Wirwerden schamlos irregeführt! Vom 11. September zum Irak-Krieg». In zahlreichenInternet-Foren wird munter drauf los diskutiert: Warum existieren keine Bilder desFlugzeugs, das ins Pentagon raste? Warum wurden 200 Israelis vor den Anschlägen in denUSA verhaftet? Und auch der Dokumentarfilmer Michael Moore bedient in seinem Streifen«Fahrenheit 9/11» den Verschwörungsglauben: Warum reagierte US-Präsident Bush nur sogelassen, als er von den Anschlägen erfuhr? Was bei den Verschwörungstheoretikern inFrageform daherkommt, hat faktisch den Charakter einer Beweisanklage. Denn die Antwortauf die große Frage, wer hinter den Anschlägen steckt, steht für sie schon fest: DieAmerikaner selbst – und immer wieder die Juden.
Die Weisen vonZion
Derartige Behauptungen sind nichts Neues. Im Zusammenhang mit großengeschichtlichen Ereignissen, mit gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen hattenVerschwörungstheorien schon immer Erfolg. Während der Französischen Revolution etwaverbreiteten einige Prediger und Monarchen die Legende, dass Freimaurer und Illuminatenals Drahtzieher für die revolutionären Ereignisse verantwortlich seien. Zwar waren dieFreimaurer in nicht öffentlichen Logen organisiert und vertraten die Ideen derAufklärung. Ihr Ziel war jedoch die Emanzipation des Individuums und nicht etwa derUmsturz der staatlichen Ordnung. Der Illuminaten-Orden hatte einen politischeren Anspruchund arbeitete ebenfalls im Geheimen. Die Organisation war aber nur im bayerischen Raumaktiv und löste sich im Jahre 1785 auf – dennoch tauchen die «Illuminati» noch heute invielen Verschwörungstheorien auf.
Im 19. Jahrhundert entstand dann der Mythos vonder «jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung». Hinter den großen gesellschaftlichenUmwälzungen, hinter der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Modernisierungwurden die Juden als treibende Kraft vermutet. Einen Höhepunkt fand dieseVerschwörungsparanoia mit der Verbreitung der «Protokolle der Weisen von Zion», einemantisemitischen Pamphlet, in dem ein angebliches konspiratives Treffen von zwölfVertretern der Juden geschildert wird, die mit Hilfe von Liberalismus und Demokratie dieWeltherrschaft erringen wollen. Zwar begrüßten viele Juden tatsächlich diegesellschaftliche Modernisierung, denn sie erhielten endlich staatsbürgerliche Rechte undhatten die Chance, in den freien Berufen Fuß zu fassen. Aber ihnen deshalb zuunterstellen, sie steuerten diese Entwicklung, war schlichtweg infam.
Das geheimeTreiben der Think Tanks
Besonders erfolgreich in der jüngeren Zeit ist derVerschwörungstheoretiker Jan van Helsing. Vor rund zehn Jahren veröffentlichte er zweiBücher mit dem Titel «Geheimgesellschaften», die eine Verkaufsauflage von 100.000erreicht haben sollen und 1996 wegen Volksverhetzung beschlagnahmt wurden. Van Helsinghalluziniert darin eine Jahrhunderte alte, weltweite Verschwörung von Illuminaten undFreimaurern, dem Bankhaus Rothschild, den Rockefellers, Ölgesellschaften und – man haltesich fest – Aliens herbei. Seine These: Die Verschwörer seien für den Ausbruch der beidenWeltkriege sowie für etliche andere historische Ereignisse wie den Irak-Krieg im Jahre1991 verantwortlich. Immer wieder nennt van Helsing kaum bekannte Organisationen wieBilderberg oder die Trilaterale Kommission, zieht Verbindungslinien zu wichtigenUS-Politikern und behauptet, die Verschwörer seien der Weltherrschaft nahe.
Beialler Differenz: Die nach dem 11. September erhobenen Vorwürfe an die «Öl-Mafia», dieamerikanische Waffenlobby oder die neokonservativen Berater der US-Regierung sind von denMutmaßungen eines Jan van Helsing oft nicht weit entfernt. Dass diese Gruppen bestimmteInteressen verfolgen und einflussreich sind, mag ja sein. Aber wenn man ihnenunterstellt, sie würden die USA steuern und in weltweite Kriege stürzen, wird ihre Rollemaßlos überschätzt. Denn Interessenvertretung ist in demokratischen Staaten legitim undnoch lange keine Verschwörung. Auch die Art und Weise, in der einige Zeitungen über diegeheimnisvollen «Think Tanks» orakelten, in denen die Kriegspläne der USA ausgehecktworden seien, ist drastisch übertrieben: Als ob es hierzulande keine Institute undStiftungen gebe, welche die Regierung mit Expertisen und Ratschlägen versorgten.
Wem nützt der 11. September
Die Crux ist, dass die Geschehnisse undVorgänge im Gefolge des 11. September tatsächlich kaum durchschaubar sind. Die Art undWeise etwa, wie die US-Regierung die Begründung für den Irak-Krieg zurecht gebogen hat,ist höchst problematisch – und ein gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker. AberVerschwörungstheorien führen in die Irre. Weil sie als Welterklärungsmuster zu simpelsind, um den komplizierten Verhältnissen gerecht zu werden. Weil sie derVielschichtigkeit der Ereignisse und den komplizierten Mechanismen der Demokratie nichtgerecht werden, sondern die Sichtweise verengen.
Und so sehen dieVerschwörungstheoretiker immer nur das, was in ihr ressentimentgeladenes Weltbild passt.Alles andere wird ausgeblendet. Sie rufen: Wem nützt der 11. September?, und beantwortendie Frage gleich selbst: Den USA, weil sie die Welt nun mit ihren Kriegen überziehen und«amerikanisieren» würden. Oder Israel, weil es den Anti-Terror-Kampf nutze, um sich derPalästinenser zu entledigen. Ist es nicht verdächtig, wird geraunt, dass einige von BushsBeratern Juden sind?
Die Versuchung der Verschwörungstheoretiker
Dassimmer wieder die gleichen Gruppen in den Fokus der Verschwörungstheoretiker geraten, istkein Zufall. Denn Verschwörungstheorien bauen auf einem dualistischen Weltbild auf, dasvon einem Kampf der «Guten» und «Bösen» ausgeht. Um ihre Funktion der Sinnstiftung undWeltdeutung zu erfüllen, müssen sie an bereits vorhandene gesellschaftliche Stimmungenund Ressentiments anknüpfen. Und so reproduzieren sie Feindbilder, die es so ähnlichschon vor hundert Jahren gab.
Verschwörungstheorien sind daher höchst gefährlichund haben mit investigativer Recherche und Kritik nichts zu tun. Keine Frage: Derverschwörungstheoretischen Versuchung zu widerstehen, ist manchmal schwer. Aber notwendigfür alle, die ihren Verstand nicht an der Garderobe abgeben wollen.