Link: www.sueddeutsche.de (extern) (Archiv-Version vom 14.06.2007)( Sieht nicht nur aus wie Copy/Past, isses auch )
Der große Schwindel
EinRTL-Abend zum Klimawandel will gesellschaftlichen Dialog anstiften, bringt aber vor allemviel Verwirrung. Im Mittelpunkt: Eine britische Dokumentation vollerFehlinformationen.
Am Montagabend kurz vor Mitternacht muss RTL-ChefredakteurPeter Kloeppel geglaubt haben, er habe für seinen Sender nochmal die Kurve gekriegt. Essei ein Fehler, sagte er zusammenfassend, "den Einfluss der Menschen auf unsere Erde undihr Klima völlig in Frage zu stellen".
Das hatte sich 105 Minuten zuvor noch ganzanders angehört. Da kündigte Kloeppels Kollegin Birgit Schrowange nämlich eineDokumentation an, "die alles auf den Kopf stellt, was man uns bisher erzählthat".
Grund der Aufregung war die überarbeitete Fassung eines im März vombritischen Channel 4 ausgestrahlten Beitrags. In dem Sender, der für Provokationenbekannt ist und zuletzt mit Bildern von der sterbenden Prinzessin Diana Aufregungproduzierte, hatten namhafte Wissenschaftler behauptet, dass Energiesparen sinnlos sei -weil der Mensch gar keinen Einfluss auf das Klima habe. Warnungen vor der globalenErwärmung aus Politik und Forschung seien Panikmache. Programmatisch daher der Titel desFilms bei RTL: Der Klima-Schwindel.
Seit der Weltklimarat IPCC im Februar seinenneuen Bericht vorgelegt hat, haben viele Berichte der Presse den Klimawandel, genauer denmenschliche Beitrag zum Klimawandel, als bewiesenes Faktum behandelt.
EinigeFehler ausgebügelt, viele belassen
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sichnach dem G8-Gipfel in Heiligendamm erfreut, dass die Führer der großen Industrienationeneinschließlich US-Präsident George W. Bush die wissenschaftlichen Ergebnisse derKlimaforscher anerkannt hätten.
Solche Einmütigkeit weckt offenbar in vielenJournalisten den Widerspruchsgeist und die Lust an der Provokation. So machte der SpiegelAnfang Mai die angebliche Klimahysterie, die die neuen Daten ausgelöst hätten, zurTitelgeschichte.
Auch die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero schreibt in vierBeiträgen über "Die Klima-Lüge". Und zuvor hatte Channel 4 seinen "Great Global WarmingSwindle" ausgestrahlt. Bei aller Angriffslust war dessen Autor Martin Durkin allerdingsziemlich dünnhäutig: die britische Zeitung Times zitierte genüsslich aus einer E-Mail, indenen er seinen Kritikern statt mit Argumenten mit Wörter begegnete, die nur mit einemBuchstaben und drei Sternchen gedruckt wurden.
Die Kritiker hatten Durkin undseinem Team nachgewiesen, die Aussage des Films mit allerhand Fehlern und Auslassungenzurechtgebogen zu haben. Sie waren auf zahlreichen Seiten im Internetnachzulesen.
Einige davon hat RTL in seiner Fassung ausgebügelt, auch wenn dieBearbeitung nach Angaben des Senders nur der Kürzung und Eindeutschung gedient habe.Manche deutschen Wissenschaftler hätten sich von selbst gemeldet, um dabei zu sein, sagteein Sender-Sprecher. Dennoch enthält auch der am Montag ausgestrahlte Beitrag nochgenügend Fehler. Dazu sechs Beispiele:
Erstens: Im Film wird mit QuellenangabeIPCC eine Temperaturkurve der vergangenen 1000 Jahre gezeigt, mit dem Hinweis, dass es imMittelalter bereits eine Periode gegeben habe, in der es viel wärmer war alsheute.
Doch was als "Jetzt" mit einem Pfeil gekennzeichnet wurde, ist in Wahrheitder Stand von ungefähr 1975 (wie man feststellt, wenn man das Bild in der Aufzeichunganhält und mit dem Lineal auf dem Bildschirm herummisst - aber das macht natürlich keinnormaler Zuschauer). Seitdem hat die Menschheit neun der zehn wärmsten Jahre seit Beginnkontinuierlicher Messungen Mitte des 19. Jahrhunderts erlebt.
Die entsprechendenKurven aus den jüngsten IPCC-Berichten von 2001 und 2007, die beide vor der Ausstrahlungbei Channel 4 vorlagen, zeigen das mittelalterliche Optimum weit weniger poinitert, weiles ein europäisches, aber kein globales Phänomen war.
Und schließlich sagenKlimaforscher, dass weniger die Höhe der momentanen Temperaturen als das Tempo ihresAnstiegs ein klares Zeichen für den Einfluss des Menschen ist.
Zweitens: DerRTL-Film sagt, die Menschen setzen pro Jahr sieben Milliarden Tonnen des TreibhausgasesCO2 frei, weniger als ein Zehntel des Betrags, der aus den Ozeanen ausgase. InWirklichkeit setzt der Mensch laut IPCC 26,4 Milliarden Tonnen CO2 durch die Verbrennungfossiler Brennstoff frei und weitere 5,9 Milliarden Tonnen durch Veränderungen derLandnutzung (siehe hier, Seite 2).
Und das Meer nimmt mehr von dem Treibhausgasauf, als es abgibt. Der genaue Wert ist nicht bekannt, aber Forscher nehmen an, dass dieOzeane zwischen einem Drittel und der Hälfte des momentan freigesetzten Treibhausgasesabsorbieren.
Drittens: Aus Eisbohrungen kennt die Wissenschaft Temperatur undZusammensetzung der Atmosphäre, wie der Film zutreffend beschreibt. Darin zeigt sich,dass die Temperaturen am Ende von Eiszeiten oft ansteigen und erst 800Jahre später auchder CO2-Wert zunahm.
Das nehmen die im Film zitierten Forscher als Beweis, dassauch diesmal der Anstieg des Treibhausgases nicht für die beobachtete Erwärmungverantwortlich sein könne. Es ist aber keinerlei Beweis.
Die Erwärmungen am Endevon Eiszeiten dauern 5000 Jahre und werden wahrscheinlich durch Veränderungen im Umlaufder Erde um die Sonne ausgelöst; das freigesetzte CO2 könnte die Erwärmung späterdurchaus antreiben.
Zudem die Menschheit hat die Erde in eine noch nie da geweseneSituation gebracht, indem sie künstlich und schnell große Mengen Kohlendioxid in dieAtmosphäre entlassen hat. Sie enthält nun mehr davon als jemals in den vergangenenmindestens 400000 Jahren.
Viertens: Der RTL-Film beschreibt angeblicheDiskrepanzen bei den Temperaturen in der Atmosphäre. Weil sie nicht so schnell anstiegenwie erwartet, gerate das ganze Theorie vom Klimawandel ins Wanken. Hauptzeuge dafür istim Film der amerikanische Forscher John Christy. Der allerdings hat bereits im Mai 2006an einem 14-seitigen, offiziellen Report mitgeschrieben, der die früheren Diskrepanzenauf Fehler bei Satellitenmessungen zurückführt.
Fünftens: Zwischen 1940 und1975, als die Industrialisierung in aller Welt richtig in Schwung kam, sanken der im Filmgezeigten Grafik zufolge die Temperaturen. Das widerlege die These, CO2 aus derVerbrennung von Öl und Kohle erwärme das Klima, sagten die zitierten Wissenschaftler.Doch die gezeigte Grafik enthielt allein Daten aus der Arktis; globale Werte zeigen fürden Zeitraum eher ein Verharren der Temperaturen.
Das erklären Klimaforscher durchdie Luftverschmutzung. Sie habe den Planeten gekühlt, und sobald die Industriestaatendagegen zu kämpfen begannen, stiegen die Temperaturen auch wieder. Dieses breitdiskutierte Gegenargument ließ die Dokumentation aus.
Sechstens: Die Schwankungender Temperaturen lasse sich besser mit der Aktivität der Sonnenflecken als mitTreibhausgasen erklären, zeigt der Film mit zwei Grafiken. Sie reichen 140 und 400 Jahrein die Vergangenheit zurück. Bei der ersten aber hat man den Autoren bereits vor vielenJahren Rechenfehler nachgewiesen, die die Übereinstimmung von Sonnenzyklus und irdischemKlima trüben.
Und beim zweiten hat der im Film zitierte Urheber nach derAusstrahlung bei Channel 4 protestiert: Offenbar haben die Filmemacher fehlende Daten auseiner unbekannten Quelle ergänzt.
Außerdem könne er entgegen der Bemerkung desSprechers eben gerade nicht ausschließen, dass in den vergangenen 20 Jahren auch die vomMenschen freigesetzten Treibhausgase ihren Beitrag zur Erwärmung geleistethaben.
Tatsächlich hat also auch die RTL-Dokumentation damit unter anderem durchAuslassung versucht, den aktuellen Stand der Forschung umzudrehen. Hinzu kamen ominöseHinweise, dass viele Tausend Wissenschaftler, Funktionäre und Journalisten - gezeigtwurden aber nur Printmedien - inzwischen gut vom Klimawandel und der Panikmachelebten.
Verschwiegen wurde hingegen, dass der oft und auch mit diesem Vorwurfgegen die Forscher zitierte Meteorologe Gerd Rainer Weber beim Gesamtverband desdeutschen Steinkohlebergbaus als Klimaexperte angestellt ist.
Solchem Umgang mitden Fakten zugrunde lag offenbar das alte Rezept, dem auch Gerichtsthriller wie "Die 12Geschworenen" mit Henry Fonda folgen: Man muss seine abweichende Meinung nicht beweisen,es genügt Zweifel an der etablierten zu wecken.
Normale Reaktion einer medialenWelt?
Doch anders als es der Film unterstellt, sind die Klimaforscher, die im IPCCmitarbeiten, überhaupt kein dogmatischer Block. Sie haben, unter kräftiger Einmischungvon Politikern, für ihren Report eine Gesamtschau der veröffentlichten Studiendestilliert, die weitergehende und abweichende Meinungen zulässt.
Und sie geben zujeder ihrer Aussagen in standardisierten Formulierungen an, wie umstritten die Aussageist. Ein Kernsatz im IPCC-Report vom Februar 2007 heißt darum: Das verbesserteVerständnis über das Klima führt "zu einer sehr großen Zuversicht, dass der Netto-Effektder menschlichen Aktivitäten seit 1950 ein wärmender war". Das liest sich auch nicht vielanders als Kloeppels Schlusssatz.
Der Chefredakteur moderierte nach derDokumentation eine Gesprächsrunde, die immerhin schon ein Fragezeichen hinter das Wort"Schwindel" setzte. Wissenschaftlichen klarstellen konnte die Runde schon deswegen kaumetwas, weil sich der offenbar dazu eingeladene Wilfried Thommes, Vorstandsmitglied desDeutschen Wetterdienstes, ständig in seinen Sätzen verhedderte.
Der ehemaligeBundesumweltminister Jürgen Trittin hingegen ordnete den Film gleich in seinem erstenWorten als "normale Reaktion einer medialen Welt" ein - und verwies darauf, das nach denAnschlägen am 11.September 2001 ähnliche Berichte kursierten, die USA hätte dieZerstörung des World Trade Center selbst inszeniert. Während der Diskussionsrunde hattenallerdings 1,1 der 2,9 Millionen Zuschauer der Dokumentation schonabgeschaltet.
Auch wenn sich die Runde dann schnell darauf einigte, dass Panik undHysterie aufgrund des Klimawandels gewiss nicht angebracht seien, und auch wenn Kloeppelam Ende der Hauptaussage des Films widersprach, bleibt ein Hautgout: RTL hat vorgegeben,einen gesellschaftlichen Dialog über den Klimawandel und die zugrundeliegendeWissenschaft anstoßen zu wollen.
Die Mühe, diese Wissenschaft auch sauberdarzustellen, machte sich der Sender dafür allerdings nicht.