@che71 @BlueBrain In diesem recht interessanten Artikel geht der Autor zum Schluss auch auf Zusammenhänge zwischen Verschwörungstheorien und psychischen Erkrankungen ein.
https://forum.psiram.com/index.php?topic=15418.msg207742#msg207742""Verschwörungsängste von psychisch Kranken
Verschwörungsängste sind keine psychische Krankheit. Den Mächtigen zu misstrauen, ohne wissenschaftliche Methoden zu kennen oder in einem Beruf zu arbeiten, wo Recherche zum täglichen Handwerk gehört, ist keine seelische Störung.
Doch solche Ängste können auch direkt mit psychischen Störungen einher gehen, und Verschwörungsideologien können bei psychisch Labilen eine latente Psychose vorantreiben. Psychische Auffälligkeiten, zu deren Symptomen Verschwörungswahn gehört, sind das Borderline-Syndrom, paranoide Schizophrenie, Bipolarität und diverse Angststörungen.
In einer Schizophrenie geht der Verschwörungsmythos mit Verfolgungswahn einher. Die Verschwörungsangst von Schizophrenen knüpft zwar an verbreitete Mythen ebenso an wie an den Alltagsaberglauben, geht aber weit darüber hinaus.
Auch Menschen, die an Horoskope glauben oder „die da oben“ für die Auswirkungen des Kapitalismus verantwortlich machen, erscheinen Schizophrene, die glauben, dass jemand in ihre Wohnung einbricht, wenn sie ihre EC-Karte verlieren, oder den Nachbarn für einen Dämon halten, als verrückt.
Solche pathologischen Symptome können in gesellschaftlichen Krisen jedoch Anhänger gewinnen. So diagnostizierten Psychologen bei dem Anthroposophen Rudolf Steiner post mortem eine schizophrene Erkrankung – und seine obskuren Fantasien von Planeten, die Wurzelrassen steuern, könnten direkt aus einem Lehrbuch über Paranoia stammen. Stattdessen folgten weltweit hundert tausende seiner Lehre.
Die Verbindung von Schizophrenie und Politik ist ein weites Feld. Zum einen kommen paranoid Schizophrene tatsächlich auf die Idee, gegen die Mächtigen vorzugehen, und der vom Verfolgungswahn geplagte sieht sich dann tatsächlich verfolgt – sei es, dass er in einem zivilisierten Land in der Psychiatrie landet oder in einem autoritären System in einem Kerkerloch.
Zum anderen gab es tatsächlich Mächtige, denen sich, mit Vorbehalt, eine paranoide Weltsicht diagnostizieren lässt. Erich Fromm zum Beispiel sah in Stalin, der alle Menschen in seiner Nähe ermorden ließ, als Prototypen eines Paranoikers.
Die Verschwörungsangst gehört zum Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie. Der Betroffene isoliert sich von seinem sozialen Umfeld, sein Unbewusstes dringt in den Alltag ein, und er ist unfähig, das eine von dem anderen zu trennen.
Dieses Traumerlebnis ungefiltert in der Außenwelt zu erleben, trifft auch auf Verschwörungsmythen zu, die zwischen empirischer Beweisführung und literarischer Fiktion nicht unterscheiden. So sah ein unter einer Angststörung Leidender in den Horrorromanen von Dean Koontz eine exakte Beschreibung der Wirklichkeit – ganz im Gegensatz zu Koontz selbst, der mit den Ängsten der Menschen spielt.
Weil der Schizophrene seine Innenwelt nicht von der Außenwelt trennen kann, scheint alles einen geheimen Sinn zu haben, so wie psychisch Stabilen ein nächtlicher Traum symbolische Hinweise auf drängende Probleme gibt.
Schizophrene sehen diese Vermischung von Unbewusstem und äußerer Realität oft als Auserwähltsein, wenn sie religiös sind, erkennen sie häufig, dass „Gott ihnen Zeichen gibt“.
Psychotiker schließlich sehen sich der Außenwelt hilflos ausgeliefert, auf die Straße zu gehen, macht ihnen Angst. Eine krakenartige Verschwörung, die ihre Arme überall hinein steckt, gibt dieser Angst ein Gesicht.
Wer unter Angststörungen leidet und sich von dunklen Mächten verfolgt sieht, dem kann eine Psychotherapie helfen, viel wichtiger ist aber ein soziales Umfeld, in dem er Vertrauen fasst. Verschwörungsmythen wuchern dort, wo die sozialen Bindungen zerbrechen und sich Menschen einer abstrakten Gewalt gegenüber stehen sehen – und sich dabei ebenso einsam wie hilflos fühlen.
Die Bindung an eine Verschwörungsgurus mit ihren vermeintlichen Antworten auf alle Probleme ist ein fehl geleiteter Versuch reale Geborgenheit in belastbaren Beziehungen zu finden.
Gegen den Wahn selbst hilft nur Aufklärung – die gilt nicht den Verkündern der „Heilslehre“, sondern einer Öffentlichkeit, die für kritisches Denken noch empfänglich ist. (Dr. Utz Anhalt)""