@feklah feklah schrieb:Was ich nicht verstehe, warum wird in diesen Geschichten immer so arg übertrieben.
Nennen wir es mal "Interesse am Detail" und "Dramatisierung"/"Überhöhung".
Beide Phänomene kann man gut an Mythen / Legenden / Sagen udgl. erkennen, von denen wir mehrere Versionen haben und diese auch noch zeitlich einordnen können.
Zum Interesse am Detail.
Als Beispiel nehme ich mal die Gefangennahme Jesu in Gethsemane aus dem Neuen Testament. Alle vier Evangelien erzählen das. Dabei ist das Markusevangelium das älteste. Bei Markus (14,43-50) wird erzählt, wie Judas Jesus mit einem Kuß verrät und "einer der Dabeistehenden" einem der Knechte, die Jesus ergreifen wollen, das Ohr mit dem Schwert abschlägt. Jesus fragt seine Häscher noch, wieso sie ihn nicht in der Öffentlichkeit festgenommen hätten, und dann heißt es, daß alle flohen.
Bei Matthäus (26,47-56) und Lukas (22,47-53) spricht Jesus noch zu dem, der dem Knecht das Ohr abschlug, worin er die Gewalt ablehnt. Lukas weiß sogar zu berichten, daß es das rechte Ohr war, das abgeschlagen wurde.
Johannes (18,1-11) schließlich, das jüngste Evangelium, weiß noch mehr Details zu berichten. Hier wissen wir nun, daß der Schwertschwinger Petrus persönlich war, und der Name des einohrigen Knechtes war Malchus.
Zur Dramatisierung / Überhöhung.
Eigentlich gibt es dazu nicht viel zu sagen. Wir kennen das alle, daß der Angler, der einen besonders großen Fisch gefangen hat, mit den Jahren den Fisch immer größer werden läßt. Oder die letzte Kneipenschlägerei: am Tag danach hat man sich mit zweien gleichzeitig geprügelt und ist Sieger geblieben. Aber eine Woche später war es ne ganze Gang, und einen Monat später waren es schon Bodybuilder von Zweimetermaßen. Und man selber habe natürlich nicht eine Blessur abbekommen!
Gerne auch ein biblisches Beispiel: Der Tempel Salomos in Jerusalem, der wurde bekanntermaßen von Salomo erbaut. Kann man in 1.Könige5-8 nachlesen. Aber Salomo war nur zum Teil ein guter König (siehe 1.Könige11,1-10), sein Vater war deutlich der bessere König. Wieso dichtete man also nicht ihm die Ehre an, den Tempel gebaut zu haben? Egal war das nicht, man empfand es durchaus als Makel, daß nicht David der Erbauer war. Um diesen Makel zu beseitigen, ließ man David immerhin den späteren Tempelplatz finden (2.Samuel24), ja man ließ ihn sogar den Wunsch äußern, den Tempel zu bauen (2.Samuel7). Wenn sie es gekonnt hätten, die Tradenten hätten den Tempelbau David angedichtet. Doch war der historische Ursprung des Tempels zu bekannt dafür.
Wie auch immer, in den Chronikbüchern, die deutlich später verfaßt wurden als die Samuel- und Königsbücher, in den Chronikbüchern nun wird David noch mehr überhöht und noch näher an den Tempel gerückt. Er baut ihn zwar noch immer nicht, aber er besorgt schon mal das ganze Baumaterial und die Innenausstattung und die Baupläne (1.Chronik28-29). Salomo mußte quasi nur noch alles aufeinanderstapeln.
Wie Du siehst, feklah, finden sich in zeitlich aufeinanderfolgenden Versionen der selben Überlieferungen immer wieder Überhöhungen des Geschehens sowie vermehrte Details. Geschichten, wenn sie weitergegeben werden, werden dramatischer, bombastischer, detailreicher. So kann auch ein Chaosdrache zunächst einfach nur ein Drache sein, später hat er dann sieben Köpfe, und noch später gar hundert. Und warum nicht: irgendwann mögen für jeden abgeschlagenen Kopf gleich noch zwei neue nachwachsen - der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.
Das ist menschlich, allzumenschlich. Und wir sind alle nicht davor gefeit, nicht der Angler, nicht der Raufbold, nicht mal der Verfasser heiliger Überlieferungen. Warum das so ist? Gute Frage! Der Held wird halt um so strahlender, je gefährlicher seine Aufgabe ist. Und auch sonst sind wir Menschen dazu geneigt, uns die Realität schönzusaufen. Da gibt es die "Gaunerehre": "Ja, ich bin ein Dieb, aber ich stehle nur in Supermärkten, wo die eh schon Verluste in den Preis einkalkulieren; ich bestehle keine konkreten Menschen." "Ja, ich bin ein Dieb, der konkrete Menschen bestiehlt, aber ich bin kein Mörder." "Ja, ich bin ein Berufsmörder, aber ich habe stets Kollateralschäden vermieden, und nie Frauen oder Kinder getötet." Jeder sucht sich noch einen Rest "Ehre" zu bewahren in all seiner Schlechtigkeit.
Aus dem gleichen Effekt heraus liegt die Arbeitszufriedenheit in der Bundesrepublik bei über 50%. Klar haben viele Menschen einen Scheiß-Job, zumindest einen, den sie nicht wollten. Aber um nicht zu sehr darunter zu leiden, achten viele auf irgendwelche positiven Aspekte bei der Arbeit. Gibt gute Kohle, oder die Kollegen sind toll, oder die Arbeit ist schließlich sinnvoll, nützlich odgl. Wir Menschen schminken uns, ziehen schlankmachende Kleidung an, ziehen den Bauch ein, wenn wer attraktives auftaucht, oder lassen uns Fett absaugen, Brust und Schwanz vergrößern... Darfs ein wenig netter aussehen? Als es eigentlich ist? Wir sind so. Warum? Keine Ahnung, jedenfalls nicht wirklich. Aber
daß es so ist, das wissen wir.
feklah schrieb:Dachte Götter wären allmächtig.
Die Vorstellung von Allmächtigkeit kam wie es scheint in hellenistischer, wahrscheinlich sogar erst in römischer Zeit auf. Es ist mehr ein philosophischer Gedanke als ein religiöser. Wir heute sind es gewöhnt, bei einem Gott das Attribut "allmächtig" gleich mitzudenken. Doch sagen das die früheren Menschen nicht so. Da können Götter sich irren, etwas nicht mitbekommen, ihre Vorhaben verwerfen, Getanes bereuen, ja sogar verwundet werden und sogar gelegentlich sterben.
Pertti