Der Film zwar nicht mehr brandneu, aber ganz frisch aufs Auge gelegt (Amazon Prime). Meine Review erscheint auch hier: Filmzentrale auf Wordpress
https://filmzentrale.wordpress.com/2020/02/24/midsommar/MidsommarErschienen in D: 26.09.2019
Regie: Ari Aster/ Kamera: Pawel Pogorzelski / Darsteller: u.a. Florence Pugh, Jack Reynor, Will PoulterWie schon erwartet ist Ari Asters zweiter Streich auf der großen Leinwand kein typischer Beitrag aus dem Genre-Baukasten. Denn auch schon im 2018 erschienenen Erstlingswerk “Hereditary” lotet Aster Trauer, Kontrollverlust, ungesagte zwischenmenschliche Konflikte aus, und zieht das Grauen in erster Linie aus der dargestellten Gesamtsituation.
Thematisch arbeitet der für seinen Einstand “Hereditary” hochgelobte Horror-Regisseur ein Thema aus, dass noch nicht zu abgegriffen erscheint. Während das schwedisch/ nordische Lebensgefühl mit omnipräsenter Hygge-Attitüde punktet und Ikea wie nie zuvor allgemeine visuelle Trends mitgestaltet legt Aster hier Einspruch ein.
In Punkto Farbigkeit, Kameraführung und Bildsprache ist eine klare Verbindung, ein Stil zu erkennen, den Aster auch schon in „Hereditary“ zeigte. Die Bilder wirken konzentriert und aufgeräumt, ihre Farbigkeit beschränkt sich auf das notwendige, dem erzählerischen Element zuträgliche. Die Kamera schwenkt und zoomt in ruhigen Bahnen und führt uns durch die grelle Szenerie. Klanglich an den Alltag eines Dorfes ohne Technik angelehnt, erwarten uns in erster Linie verheißungsvolle kristalline Violinkonzerte und sphärische Chöre.
SynopsisAls die Psychologiestudentin Dani einen tragischen familiären Verlust hinnehmen muss, fühlt sich ihr Freund und Kommilitone Christian dazu gezwungen, sie zu einem gemeinsamen Sommer-Trip mit Freunden in eine schwedische Kommune mitzunehmen. Dort wollen sie gemeinsam – eingeführt von ihrem schwedischen Kommilitonen Pelle, der in der dortigen Gemeinschaft aufgewachsen ist das Ritual der Mitsommerwende erleben. Während die Beziehung des jungen Paares ohnehin schon kriselt, erzeugt auch die erzwungene Mitnahme Danis in der Gruppe weitere Spannungen.
Zwischen Instagrammern und RechtsesoterikernVon Hygge-Bloggerinnen auf Instagram, die das nordische Lebensgefühl zwischen Schafsfellen, Kaminfeuer und selbstgetöpfertem Geschirr ausleben, die Ursprünglichkeit von Birkenwäldern, Blumen und klaren Quellflüssen betonen und sich mit okkulten Runen schmücken, weil das eine oberflächliche Rückbindung andeutet, die aber zu keinem Zeitpunkt ausgelebt werden muss. Es ist der Reiz und die Verklärung des Altertums, der sich in modischem Kitsch entlädt. Völkische und rassistische Elemente laufen im Hintergrund mit, während sie in Neopagan Umfeldern und Neuheidnischen Bewegungen mehr als deutlich zur Schau getragen werden. Womit also der Lifestyler mit Mode Blog als hübsches Accessoire kokettiert nehmen immer größere Personengruppen als Vorlage für ihren Lebensentwurf. Dabei spielt die Ausgrenzung des Fremden genauso eine Rolle wie die Rückführung der Geschlechterrollen, und der Umstand einer völkisch reinen Ahnenfolge.
Gesamtgesellschaftlich findet die Faszination und die Beschäftigung mit traditionellen Bräuchen Anklang ohne die ernsthaften Konsequenzen ob der Bedeutung solcher Riten auszuschöpfen. Damit liegt der historische Rückgriff auf das ausgehende 19te Jahrhundert und esoterische Propheten wie Rudolf Steiner, Alfred Rosenberg Helena Blavatsky, Aleister Crowley und vielen anderen nahe, denn eben jene Persönlichkeiten haben schließlich pseudovölkische und esoterische Ansätze kombiniert und daraus die Grundlage für Völkisches Denken und den erstarkenden Nationalismus Wirklichkeit werden lassen.
Während also der kapitalistisch demokratische Ansatz immer mehr Kritik ausgesetzt ist, treibt es viele Bürger die Faszination in die Vordemokratischen Stände und Stammeskulturen. Diese vereinen ursprüngliches, einfaches Leben, sinnliche Naturerfahrung, religiöse Rückbindung, Gemeinschaft und Sicherheit.
„Die Hölle, das sind die anderen“ Jean-Paul SartreAsters Horrordrama findet größtenteils bei fast schon blendendem Tageslicht statt, doch ohne, dass man jemals wirklich die Sonne sieht. Während der nordischen Mitsommerwende sind die Nächte sehr kurz, beinahe ununterbrochen also ist die Helligkeit des Tages Begleiter der Protagonisten. Und mit der wohligen Sicherheit dieser offenen Wälder und Wiesen, dieser Korridore gesäumt mit Blumen entsteht dann doch ein Unbehagen, eine Derealisiation, eine Entkopplung von der Wirklichkeit. Doch in oberflächlicher Betrachtung suggerieren einem die Faktoren Helligkeit, Freundlichkeit, Offenheit, im Reigen mit Freunden das vertraute Gefühl von Gemeinschaft und Sicherheit.
Doch mit dem „sich Fallen lassen“ in das soziale Gefüge und das, in dem man die letzte noch verbliebene Barriere abbaut, nämlich die des eigenen Verstandes durch psychedelische wirkende Pflanzen werden neue Möglichkeitsräume eröffnet die jedoch alsbald zu kollabieren drohen. So sind in diesem Film die irrationellen Elemente diejenige, die am meisten Angst erzeugen, da sie dem denkenden Geist die Grundlage entziehen. Während in der Welt der jungen Studenten ein ständiger Realitätscheck stattfindet, in dem nur Einzelne ( wenn auch vermehrt ) mit Neurosen und Befindlichkeiten kämpfen, findet doch ein ständiges, gesellschaftliches Korrektiv statt.
Die Deutungshoheit darüber wie Realität aussieht, und wie Gesellschaft zu funktionieren hat, wird zwar hitzig debattiert, und daher ist immer nur eine Annäherung an Konzepte wie Gleichheit oder Gerechtigkeit möglich. Aber unterschiedliche Instanzen innerhalb der Gesellschaft die gewisse Kompetenzen erworben haben machen es möglich, Recht zu sprechen, Wissen zu dokumentieren und auszuwerten, demokratische Lösungen anzustreben.
In sehr kleinen Gesellschaften besteht das Kompetenzproblem ähnlich dem Flaschenhals-Problem. Dadurch degenerieren ohnehin schon nicht auf Rationalität und Vernunft aufgebaute Gesellschaften durch die zahlenmäßige Unterrepräsentierung ihrer Kompetenzfelder. Damit ist der Kollaps in diesem hermetischen System angelegt, das Austausch und Zustrom nur als rein funktionales Element betrachtet, um einen einzelnen Umstand zu regulieren. Dieser Zustand absoluter Kontrolle bei gleichzeitiger vollständiger Unwissenheit über die tatsächlichen Prozesse dürfte zu einer Situation geführt haben, die mit dem Blick in ein Geschichtsbuch klar werden lässt, dass das Thema so viel Zugkraft hat, weil es real ist.
FazitAster ist damit ein auf mehreren Ebenen diskutables Werk gelungen, welches über Gore-Gehalt und Genrekonventionen weit hinaus zielt. Die erzählerische Dynamik zieht den Zuschauer ähnlich der emotionalen Entwicklung der Charaktere in ihren Bann, während man ohne Unterlass und Entrinnbarkeit dem Finale dieses mitsommerlichen Albtraums entgegenfiebert.