Pippi Langstrumpf rassistisch?
10.11.2011 um 09:18
Disput: November 2001
Ist unsere liebe Pippi Langstrumpf Rassistin?
Beiläufiger und expliziter Rassismus in den Medien 2001
Von Angelika Nguyen
Im Leben der Deutschen ist das Bild des Fremden fest verankert. Kein Bereich der Alltagskultur, vom Arbeitsplatz bis zum Kinderzimmer, von der Werbung bis zur Mode, vom Bäcker bis zur Apotheke, vom Schlager bis zum Film ist davon ausgeklammert.
Rassismus als wichtiger geistiger Bestandteil von Rechtsextremismus verdient es, näher betrachtet zu werden. Was ihn ausmacht, wo er, für viele oft nicht erkennbar, beginnt und dass er bekämpft werden muss gerade in den normalen Kommunikationsstrukturen unserer Gesellschaft: den Medien.
Was ist Rassismus? Die Zuordnung vermeintlicher (positiver oder negativer) Eigenschaften aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Zugehörigkeit zu einer größeren Menschengruppe. Rassismus geht immer mit Entindividualisierung des Einzelnen einher und produziert damit Stereotype (verkürzte schematische Bilder) von lebendigen Menschen. Das Fremde bleibt fremd.
Es kann sich jeder selbst fragen: Welche standardisierten Bilder vom Fremden haben sich ins eigene Gedächtnis gegraben? Die lächelnde Asiatin? Der sexbesessene Schwarze? Der stolze Indianer? Der diebische Pole? Der charmante Franzose?
Wer über Rassismus nachdenkt, muss auch über sich selbst nachdenken.
Zu den von mir untersuchten Medien unseres Alltags gehören Werbung, Liedtexte, Gedichte, Kinderliteratur, Film, Zeitschriften, Reisekataloge.
In der Werbung zum Beispiel existiert seit Jahrzehnten unangefochten der niedliche und dienende »Sarotti-Mohr«. Die seltsame orientalische Verkleidung der Figur stammt aus der Zeit der osmanischen Feldzüge, als Schwarze als Sklaven der Türken in europäische Gebiete gelangte. Die Übernahme des Sklavischen und Kindlichen zugleich bestimmen die Erscheinung des »Sarotti- Mohren« und bedient bis ins 21. Jahrhundert hinein die fatale Vorstellung des weißen Mannes, die Schwarzen wären unselbstständige naive Wilde, die nur in der Obhut weißer Herrschaften existieren können und zwar in eindeutigen Verhältnissen: der Weiße ist der Herr, der Schwarze der Diener.
Oder Spot und Anzeigenschaltung für ein asiatisches Fertiggericht: In beiden Medien kommt es zur Verzerrung eines deutschen Gesichts zu einem klischeehaft asiatischen Gesicht , das zur Fratze mit schmalgezogenen Augen verkommt. Die Sprachregelung des verächtlich gebrauchten Wortes »Schlitzaugen« erfährt hier ihre bildhafte Inszenierung. Sie gehört zur Kategorie der humorigen Werbung. Das impliziert, was normal und ernst zu nehmen und was unnormal und also lächerlich ist. Diese ästhetische Herabsetzung steht für weitergehende Herabsetzung, populistisch lehnt sie sich an an die Stammtischwitze und dient wiederum der Sanktionierung rassistischen Humors.
Das betrifft auch die Werbekampagnen von McDonalds zu den »asiatischen Wochen«. Nach dem Prinzip der Serie erschienen in riesigen Buchstaben auf Plakaten die entstellten Worte »Supel«, »Plima« und anderes als Komplimente zu den Fastfood-Gerichten und erfüllten damit zwei wichtige Funktionen: erstens finden selbst Chinesen unsere Gerichte gut und zweitens ist klar, dass das Chinesen sagen, weil die ja kein »r« sprechen können und sich deshalb mit dem »l« behelfen müssen, was von den Werbestrategen als lustig angesehen wird. Dass Chinesen nicht richtig Deutsch sprechen können, wird auch in Mickey-Mouse-Heften gern als Lacher verkauft. Dort bedient man sich des Klischees des »chinesischen Weisen« (Konfuzius) durch Aufzählung von Sprichwörtern, ebenfalls mit der Falschschreibung »l« statt »r«.
Auffällig ist die Konzentration von Unterhaltung auf Kosten von Fremden in den Kindermedien, zum Beispiel in den Kinderliedern »Drei Chinesen mit dem Kontrabass« oder »Zehn kleine Negerlein«. Letzteres ist ein bis heute in Buchläden erhältliches krasses Beispiel für die scheinbar scherzhafte, also harmlose Herabsetzung von Menschen anderer Hautfarbe. Den Text »Ten little Niggers« zu dem Lied verfasste der Engländer Frank Green in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. 1965 brachte der Pestalozzi-Verlag das Buch »Zehn kleine Negerlein« mit Versen von Cilly Schmidt-Teichmann und Illustrationen von Felicitas Kuhn heraus. 1990 erschien das Buch bereits in der 58. Auflage. Die Illustratorin stellt auf 18 kartonierten Seiten zehn kleine »Negerlein« als etwa fünfjährige afrikanische Kinder dar, die nach der neuesten europäischen Kindermode gekleidet sind. Dazu tragen sie traditionellen afrikanischen Goldschmuck: Ohrringe, Fuß - und Armreifen. Auch sonst ist die Atmosphäre eine seltsame Verbindung aus afrikanischer Natur und europäischer Kultur. Ähnlich wie die einzelnen »Bewährungsproben« variiert von Version zu Version auch der Schluss, je nach politisch-ideologischer Färbung bzw. nach pädagogischer Ausrichtung. Durchgehend werden jedoch immer wieder die gleichen charakterlichen Unzulänglichkeiten als entscheidende Fehler angeprangert: unsozial, eigensinnig, ungeschickt, unachtsam, gedankenlos, unvorsichtig, unfähig, Gefahren abzuschätzen, aggressiv, undiszipliniert, nicht lernfähig, ängstlich.
Dieses Bild des naiven, aggressiven, instinktiven schwarzen Menschen begleitet die europäische Kultur seit Beginn der Kolonialisierung Afrikas bis zur heutigen deutschen Schokoladen-Werbung.
Auch in Büchern, die zum unumstrittenen Kinder-Klassiker-Erbe Europas gehören wie die von Erich Käster (»Emil und die Detektive«) und Astrid Lindgren (»Pippi Langstrumpf«) treibt sich das Fremde und Unbekannte in gefährlicher Stereotypisierung und größter Beiläufigkeit herum. Im literarischen Vorwort zu »Emil und die Detektive« heißt es »Negerstamm oder Schulkinder mit braunen Strümpfen.« Dies klingt exotisch. Neger leben in Stämmen, gleichdeutend mit Rudeln und Tierhaftigkeit. Die Schulkinder dagegen wirken ordentlich, zivilisiert, vertraut.
In Lindgrens »Pippi Langstrumpf« wird ihr Vater als »Negerkönig« bezeichnet.
Während Kästners Entgleisungen vor allem sprachlicher Natur sind, ist das immer wiederkehrende Motiv vom »Negerkönig« bei Lindgren Bestandteil des Mythos und Abenteuertums der bürgerlichen Ulknudel Pippi Langstrumpf. Die Überlegenheit des weißen Mannes gegenüber den »Negern«, die auf einer fernen Insel geradezu auf Langstrumpf-Vaters Anleitung gewartet haben, tritt bei Lindgren klar hervor. Die Verbindungslinie zu Gemütlichkeit und Lokalem in Langstrumpfs kleiner Stadt ist kurz. Lokalkolorit, Beschränktheit und Weltfremdheit plus typisierte Fremdenbilder (und deren Verteidigung gegenüber der hereinbrechenden Welt in Form von Infos) sind zwei Seiten einer Medaille.
Untersuchungen zufolge werden Vorurteile bei Kindern ab dem 4. Lebensjahr gebildet. So haben herabsetzende Stereotypen von Menschen anderer Kontinente im Bereich des Kinderfilms eine besondere Bedeutung. Die Verfilmung von »Pippi Langstrumpf« im Taka-Tuka-Land» aus den 50 er Jahren wird bis heute in den Kinos gezeigt. Darin verzerrt Pippi Langstrumpf zu vermeintlich asiatischen Harfenklängen ihre Augen zu schmalen Schlitzen, durch die kein Mensch mehr sehen kann. Für immer ist der provinzielle Charme der Pippi Langstrumpf mit der verhöhnenden Abbildung des Fremden verbunden.
Andere Beispiele finden sich in Reisekatalogen. In einem Katalogtext, der vom »Paradies« in der Südsee handelt, verspricht der Veranstalter die Erfüllung der »Wünsche und Träume westlicher Touristen«. Was soll das Paradies für den westlichen Zivilisierten leisten? Das Klischee des unberührten, heiteren, ungebrochen Lebensfrohen soll dem sich selbst als degeneriert empfindenden Industriemenschen seine Unschuld wiedergeben. Der Sex-Aspekt von Thailand -, Kuba-, Südseereisen wird in vielen Reiseprospekten sogar berücksichtigt und mehr oder weniger subtil in Szene gesetzt.
Aber auch die Negerküsse, Mohrenköpfe und Kameruner beim Bäcker, die Indianer und Chinesen bei der Bebilderung des ABC, das Indianer - und Chinesen-Kostüm beim Fasching, die Schimpfwörter »Pappchinese«, »Pickelschwarzer« auf Schulhof und Spielplatz sind Ausdruck des alltäglichen Rassismus. Klischeebilder verfestigen sich bei Kindern schnell und halten sie von Erfahrungen der Realität der Völker und dem Begreifen von deren Geschichte und Gegenwart fern.
Rassismus beginnt im eigenen Kopf. Die Tücke liegt manchmal schon im Sprachgebrauch, in der Verwendung bestimmter Wörter, z.B. Neger - mit dem Hinweis, es sei nicht so gemeint. Ein häufiges Argument ist die korrekte Übersetzung des Wortes »Negro = schwarz«. Wie Wörter sich durch den Gebrauch inzwischen definieren, ist entscheidend. Wenn sie als Schimpfwörter verwendet werden, sind sie es auch.
Ausdrücke wie »Buschfunk« oder Fragen wie » Sprech ich Chinesisch rückwärts?«
Alle diese Sprachhülsen transportieren Klischees statt Informationen, schaffen stereotype Bilder statt Nähe.
Es wird oft vom Rechtextremismus als Krankheit gesprochen - dann sind diese kleinen Sprachgebilde der Virus.
Angelika Nguyen, Berlin, Kunstwissenschaftlerin, ist Dramaturgin
Bereits 2001 veröffentlicht. Nur BILD (und seine deppigen LeserInnen) merken's erst jetzt.