Pippi Langstrumpf rassistisch?
09.11.2011 um 09:23
Damit wir nicht nur auf Basis von BILD-Geschwafel diskutieren müssen, hier ein Text der sich mit dem Thema intensiver auseinander setzt, als es ein BILD-Leserhirn fassen könnte:
Prof. Dr. Maureen Maisha Eggers
Kindheit und Differenz (Diversity Studies)
Angewandte Kindheitswissenschaften
Fachhochschule Magdeburg-Stendal
Pippi Langstrumpf - Emanzipation nur für weiße Kinder?
Rassismus und an (weiße) Kinder adressierte Hierarchiebotschaften
Pippi Langstrumpf ist die Hauptfigur einer Kindererzählung von Astrid Lindgren. Insgesamt erschienen drei Bände der P.L-Erzählung. Sie wurden in über 57 Sprachen übersetzt und erreichten 1987 bereits eine Weltauflage von vierzig Millionen. Astrid Lindgren gilt daher als eine der einflussreichsten KinderbuchautorInnen.
Pippi Langstrumpf erfuhr eine Ikonisierung als emanzipatives Modell für Kinder, insbesondere für Mädchen. Gleichzeitig stellt sich bei einer kritischen Analyse, Pippi Langstrumpf als eine recht widersprüchliche Figur heraus. Entworfen mitten im Zweiten Weltkrieg und erscheinen am Ende davon - verkörpert P.L insofern auch den Zeitgeist der Mittvierziger (Kriegs-) Jahre. Der Entwurf der Erzählung wird auf 1941 datiert. Am 01. September 1945 erschien die schwedische Erstausgabe des ersten Bandes >>Pippi Langstrumpf<<. Darauf folgten zwei weitere Bände. Diese erschienen in den Jahren 1946 (Pippi Langstrumpf geht an Bord) und 1948 (Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka Land).1
Dennoch: Wird P.L nicht als ein historisches Produkt rezipiert und vermarktet sondern in einer aktuellen (verallgemeinbaren) Gültigkeit kanonisiert, als eine Art Orientierung und Lernfolie.
Konstruktion eines widerständigen (weißen) Kindes, welches das Meiste im Alleingang schafft. Pippi Langstrumpf, 9 Jahre alt - besitzt die meiste Macht in der Erzählung, obwohl sie noch ein Kind ist. Das resultiert aus ihrer körperlichen Überlegenheit gegenüber jedem menschlichen Wesen (nur ihr Vater ist genau so stark wie sie). Sie kann ihr Pferd mit einem Arm hochheben. Ihre finanzielle Unabhängigkeit (besitzt ein Koffer voll Gold). Ihre Unabhängigkeit von anderen Menschen (die Abwesenheit von Elternpersonen - niemand schreibt ihr was vor).
Kontrastmittel: Konstruktionen von Kinder die Anweisung und Ansporn bedürfen (individualisiert; Annika und Thomas) (kollektiviert, Schwarze Kinder, Schwarze Gesellschaften)
Schwarze Kinder werden als stumme, handlungsabhängige Figuren konstruiert.
Schwarze Menschen und Schwarze Gesellschaften werden als Masse konstruiert.
Anschlussfähigkeit an Koloniale Konstruktionen von Schwarzsein und Gesellschaften Schwarzer Menschen (Kenya, Südpazifische Inseln), Topoi „sie Lügen“, „sind unterwürfig“ etc.
Aussagen über Weißsein (zeitgleiche Gründung der Vereinten Nationen, UN unter Ausschluss der (meisten) kolonialisierten Gesellschaften (Letzte Phase der globalisierten Kolonialordnung).
Rassifizierte Vorstellungen – eine Konstante in „Pippis Welt“
Band I "Pippi Langstrumpf" (Hamburg 1986 (1949)2
S.8: " (...) Pippi war ganz sicher, dass (ihr Vater) eines Tages zurückkommen würde. sie glaubte überhaupt nicht, dass er ertrunken sein könnte. sie glaubte, dass er auf einer Insel an Land geschwemmt worden war, wo viele Neger wohnten, und dass ihr Vater König über alle Neger geworden war und jeden Tag eine goldene Krone auf dem Kopf trug. (...)
"(irgendwann) kommt er und holt mich, und dann werde ich eine Negerprinzessin. Hei hopp, was wird das für ein leben!"
S.16: " (...) Lügen ist sehr hässlich", sagte Pippi (...) "aber ich vergesse es hin und wieder, weißt du, wie kannst du überhaupt verlangen, dass ein kleines Kind, das eine Mama hat, die ein Engel ist, und einen Papa, der Negerkönig ist, und das sein ganzes Leben lang auf dem Meer gesegelt ist, immer die Wahrheit sagen soll? Und übrigens", fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht, "will ich euch sagen, dass es in Kenia keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen tag. Sie fangen früh um sieben an und hören nicht eher auf, als bis die Sonne untergegangen ist. Wenn es also passieren sollte, dass ich mal lüge, so müsst ihr versuchen, mir zu verzeihen und daran zu denken, dass es nur daran liegt, dass ich zu lange in Kenia war (...)"
S. 160: "wenn meine Rosa (gemeint ist eine "Hausangestellte") wenigstens sauber wäre", sagte Frau Berggren, "dann würde ich sie vielleicht behalten. Aber sie ist ein richtiges Ferkel."
"Da hätten sie Malin (die " Hausangestellte " von Pippis Großmutter)sehen sollen", fiel Pippi ein "Malin war so dreckig, dass es eine richtige Freude war, sagte Großmutter. Lange Zeit hatte Großmutter geglaubt, dass sie eine Negerin wäre, weil sie eine so dunkle Haut hatte, aber das war wahrhaftig nur der allerwaschechteste Dreck. (...)"
Band 2: "Pippi Langstrumpf geht an Bord" (Hamburg 1986 (1950))
S.117: "Setzt euch hierher und lernt (sagte Pippi); dann bleibt vielleicht auch an mir ein bisschen Gelehrsamkeit hängen. Nicht, dass ich das Gefühl hab, dass ich welche brauche, aber man kann vielleicht keine feine Dame werden, wenn man nicht lernt, wie viele Hottentotten es in Afrika gibt. (...)
aber (...) wenn ich (jetzt) gerade gelernt habe, wie viele Hottentotten es gibt, und einer davon bekommt Lungenentzündung und stirbt – dann war das ja alles umsonst, und ich sitze da und bin kein bisschen eine-wirklich-feine-Dame." Sie überlegte. "Jemand müsste den Hottentotten mal sagen, sie sollen sich so benehmen, dass in euren Schulbüchern keine Fehler stehen", sagte sie."
S.174: "Stellt euch mal vor – Negerprinzessin!" sagte Pippi träumerisch. "Es gibt nicht viele Kinder, die das werden. Und fein werde ich sein! In allen Ohren werde ich Ringe haben und in der Nase einen noch größeren Ring." "Was wirst du sonst noch anhaben?" fragte Annika.
"Nichts weiter", sagte Pippi. "Nicht eine Spur mehr! Aber ich werde einen eigenen Diener haben, der mir jeden morgen den ganzen Körper mit Schuhcreme putzt. Damit ich genauso schwarz werde wie die anderen. Ich stell mich jeden Abend zum putzen raus, zusammen mit den Schuhen."
S.202: Pippi, endlich entschlossen, doch lieber in Schweden zu bleiben (vorerst...): "Wie es auch sei, Papa Efraim", sagte Pippi, "für ein Kind ist es doch wohl am besten, ein ordentliches Heim zu haben und nicht so viel auf dem Meer herumzufahren und in Negerhütten zu wohnen. Meinst du nicht auch?"
"Du hast wie immer Recht, meine Tochter", sagte Kapitän Langstrumpf (...)."
Band 3:."Pippi in Taka-Tuka-Land" (Hamburg 1986 (1951))
S.88: "Negerprinzessin, das ist kein schlechter Beruf für jemand, der so wenig Schulbildung hat wie ich."
S.99: "Die ganze Bevölkerung der Taka-Tuka-Insel bestand nur aus Einhundertundsechsundzwanzig Menschen (…) das ist ungefähr die richtige Anzahl von Untertanen", sagte König Efraim. "auf mehr kann man nicht aufpassen. (…) Sie wohnten alle in kleinen gemütlichen Hütten zwischen Palmen. Die größte und feinste Hütte gehörte König Efraim.(...) Eine sehr feine, neugebaute kleine Hütte war für Pippi bestimmt."
S.103: "Unterdessen näherten sich die kleinen schwarzen Taka-Tuka-Kinder Pippis Thron. Aus irgendeinem unbegreiflichen Grund bildeten sie sich ein, dass weiße Haut viel feiner sei als schwarze, und deshalb waren sie voller Ehrfurcht, je näher sie an Pippi und Thomas und Annika herankamen. Pippi war ja außerdem Prinzessin. Als sie ganz nah an Pippi herangekommen waren, warfen sie sich alle zu gleicher Zeit vor ihr auf die Knie und senkten die Stirnen auf die Erde.
Schließlich, am Ende des dritten und letzten Bandes, nehmen Annika, Pippi und Thomas, wieder zurück in Schweden, "Krummeluspillen" (s.168 ff., "von einem alten Indianerhäuptling aus Rio"...), die verhindern sollen, dass die Kinder groß werden.
Fussnoten:
1 Deutsche Erstausgaben (1949; 1950; 1951). Zitate/Auszüge aus der Ausgabe (Hamburg; 1986)
2 Zahlreiche weitere Verweise auf Rassifizierung bspw. (Band I; 85), (Band II; 159; 163; 169; 191), (Band III; 87; 97; 107; 110; 116; 118; 119; 149)