@Taln.ReichDas Problem liegt nach meiner Ansicht nicht darin, dass Parteien ihre Positionen plötzlich auf wundersame Weise ändern, oder auch nicht, sondern im Parteiensystem selbst.
Wenn ich mich an das vergangene Jahrhundert erinnere, war es bis Anfang der 90er Jahre so, dass es politische Lager gab, die widerrum von bestimmten Parteien kontrolliert wurden.
Auch Medien, wie Presse, TV oder auch einzelne Sendungen bezogen ganz klare Standpunkte innerhalb der Lager.
Für den "normalen" Bürger war es so relativ einfach, sich eben dieser oder jener Meinung anzuschließen, meist blieb man dann dabei, weil man selbst ja auch nur die entsprechenden Infos aus dem eigenen Lager zur Kenntnis nahm. Daher gab es früher auch kaum Wechselwähler.
Dann gab es einige entscheidene Umbrüche in der Geschichte, Politik und dem Fortschritt.
Zum einen die deutsche Wiedervereinigung und der Untergang des Warschauer Paktes, bzw. Sozialismus. Damit waren plötzlich die "Wichtigen" außenpolitischen Feindbilder weg. Hinzu kam die drastische Erhöhung der TV-Programme und Sendezeiten, die die Massen erreichten. Man bedenke, kurz vorher konnten die meisten Bürger nur 3 (!) Programme emfangen und auch bei denen war um ca. 1:00 Uhr Sendeschluss.
Last, but not least, kam dann die Verbreitung des Internets hinzu, was ebenfalls die Informationsmöglichkeiten drastisch erhöhte, so dass der Bürger aus einer, bis dahin völlig unbekannten Vielfalt von (ungefilterten) Quellen auswählen konnte. Mit dem Inet einhergehend und einander bedingend, machte die Globalisierung gigantische Fortschritte.
Daraus resultierend verschwanden die politischen Lager zunehmend, die Bürger waren nicht mehr so "einfach" medial beeinflussbar, aufgeklärter und informierter, wenn sie denn wollten.
Plötzlich mussten Parteien viel komplexere Zusammenhänge erklären, abdecken und umsetzen, denn die undiffernezierte "Schwarz-weiß-Malerei" früherer Zeiten funktionierte immer weniger.
Außerdem wurde es gesellschaftlich zunehmend akzeptierter bei Wahlen mal die eine, dann die andere Partei zu wählen, da sich der Bürger dort emanzipierte.
Natürlich gibt es noch einige andere Gründe, die eine Rolle spielen und auf die jetzt nicht näher eigegangen wird, wie zum Beispiel Politikverdrossenheit, Bedeutungsverlust klassischer Interessenvertretungsverbände, wie Gewerkschaften, Sozialverbände, etc.
Fakt ist jedoch, dass sich das Parteiensystem nicht mal ansatzweise verändert hat, trotz der gewaltigen Umbrüche der vergangenen 30 Jahre. Und auch innerparteilich hat sich nichts verändert, es blieb bei den alten Strukturen, Hirachien und meist auch Erklärungsmustern, dazu kam eine Überalterung der Mitglieder usw.
Ergo sind Parteien heute hauptsächlich damit beschäftigt, dem vermeintlichen Wählerwillen hinterherzulaufen, statt ihn wie früher durch konkrete Politik zu gestalten, Parteien verwenden einen Großteil ihrer Resourcen heute zur Imagepflege, statt zur aktiven politischen Umsetzung von Konzeptionen.
Daher bin ich der Ansicht, dass das Parteiensystem diringend reformbedürftig ist, denn in seinem jetztigen Zustand ist es ein unbrauchbares Relikt des 20. Jahrhunderts.