Täuschende Werbung verbieten?
29.04.2011 um 23:07
Täuschende Werbung? Ich behaupte, dass die Täuschung nicht größer ist als jede Akt von Kommunikation. Fragt mich eine missliebige Person, wohin wir am Abend gehen, stelle ich den Ort bewusst langweilig da. Will ich hingegen meinen Mitbewohner überzeugen, wo wir etwas zu essen bestellen, stelle ich meine Lieblingspizzeria unglaublich gut dar. Bewerbe ich mich um einen Job, mache ich mich bewusst interessant, verstelle mich mitunter, im Lebenslauf formuliere ich Dinge geschickt und aufbessernd, um mich als Gut auf dem Markt gut darzustellen. Bin ich nun ein verbrecherischer Betrüger, der durch die Staatsgewalt zur Rechenschaft gezogen werden sollte? Nein, all das ist nur menschliche Interaktion, Geschick und Rhetorik.
Den Unterschied zur Werbung sehe ich hier nicht, jedenfalls nicht in erwähnten Fällen. Abzugrenzen ist nur der tatsächliche Betrug, der juristisch vergleichsweise klar ist: Steht etwas absolut fassbares drauf, dass im Produkt absolut nicht fassbar ist, so ist es Betrug. Alles andere ist kein Problem.
Was ist in zwischenmenschlicher Handlung Betrug? Sage ich, ich streiche für 20€ dein Zimmmer und ich streiche es nur halb, behalte aber die 10 Euro, ist das Betrug. Kalorienhaltige Produkte werben mit Fitness? Kein Problem, solange sie nur das Image verbreiten. Betrug wäre es, auf das Produkt zu schreiben, dass etwa 100g Schokolade 100kcal enthalten, wenn sie tatsächlich das fünffache oder mehr enthalten. Ansonsten wird hier nur mit einem Image gehandelt. Es wird nicht gelogen, man kann das Produkt essen UND diesen Lifestyle pflegen, eine inhaltliche Verbindung ist nicht erforderlich.
Genauso ist es Betrug auf die Speisekarte zu setzen, ein Schnitzel sei 250g schwer, wenn es nur 150g sind, das 150g-Schnitzel "groß" zu nennen hingegen muss aus der begrifflichen Unklarheit hingegen in Ordnung sein.
Kurzum: Alles was nicht absolut fassbar ist, kurzum: Masse, Nomenklaturen etc., muss legal sein. Denn nur dies ist fassbar, alles andere ist Auslegungssache. Wenn ein Bier damit wirbt, dass es mir gut tut, so ist das durchaus richtig. Auch wenn es viele Kalorien hat und der Alkohol auch durchaus schädlich sein kann, hat mir Bier schon immer viele ruhige angenehme oder auch gesellig fröhliche Momente bereitet - was täte mir besser?
Milchschnitten werben mit Fitness? Nun, sie sind mir eine gute Belohnung nach dem Training. Die Werbung erinnert an die Notwendigkeit von Fitness. Oder einfach: Das Produkt kann zu einem energiereichen Lifestyle dazugehören. Warum auch nicht? Kann es. Es wird nirgendwo gelogen, nirgendwo betrogen. Jedenfalls nicht mehr als in jeder Kommunikation, siehe Einleitung.
Soll eine zentrale Autorität wirklich hier eingreifen, in das persönlichste, individuellste der zwischenmenschlichen Kommunikation? Soll eine zentrale Autorität, eine politische Gruppe für die Vielen entscheiden, was wie ausgedrückt und assoziiert werden darf? Wer dies nicht will, muss beim Grundsatz des faktischen Betrugs bei festgesetzten Größen bleiben und alles andere tolerieren.
Es geht tatsächlich, ganz ohne zu moralisieren, um die Grundsatzfrage nach individueller Freiheit und zentralistischer Autorität, die meint, es besser zu wissen.
Auch abseits davon nur rein utilitaristisch, rein vom Nutzen her: Wie viele Menschen werden durch diese Beschneidung der Werbung wirklich vor Schaden bewahrt und wie vielen wird dadurch geschadet? Wie viele Gewerbetreibende werden durch eine zentrale Definitionsbürokratie gegängelt und behindert, wie viel Werbezeit verstreicht für lächerliche Sicherheitshinweise, wie viel teurer wird für den Endkunden das Produkt durch diese Kosten, wie viele Kleinmitbewerber werden vom Markt verdrängt, wie dies immer bei verpflichtenden Standards der Fall ist, die oft nur Großkonzerne so einhalten können. Wie viele schöne Werbesprüche werden vergewaltigt? Welche radikaleren Wege entwickeln die Konzerne dann, um - des Werbemittels beraubt - ihre Pfründe zu wahren? Ein teurer Regulierungswettkampf auf Kosten aller.
Und all das, ja all das, damit einige wenige Dumme auch mit ausdrücklicher Belehrung auf dem Produkt und ohne jede Fehlleitung dann doch mit verfettetem Herz und von Alkohol zerfressener Niere sterben.