Wollt ihr, dass Flüchtlinge nach Deutschland kommen?
21.02.2018 um 09:00
Aus dem Zusammenleben mit Geflüchteten - ein Auszug aus meinem Blog:
Nachts, wenn die Araber kommen!
08.10.2015
"Help!" schrillt es aus meinen fossilen Mobiltelefon. Es folgt ein aufgeregter, für mich unverständlicher Wortsalat auf Arabisch. Mein Blick fällt zunächst auf den Wecker - 3:34h. Wer wagt es, mich mitten in der Nacht zu wecken? Alisha (Namen, wie alle, geändert). Witwe mit drei Kindern, weit draussen im nordfriesischen Outback auf einem maroden Resthof einquartiert. Mein erster Gedanke: Es brennt. Wie heisst jetzt noch mal schnell Feuer auf Arabisch? Hariq? Ist das jetzt Feuer wie Brand oder Feuer wie Schiessbefehl? Wie sagt Dieter Nuhr? "Man weiss so wenig!" Nachgefragt. Ich verstehe sowas wie Maan. Das wäre Wasser. Sturmflut? Jetzt?
Ich ziehe mich rasch an, während ich telefoniere. Lustiges Bild. Jetzt weiss ich natürlich nicht, was "Ich komme gleich!" auf Arabisch heisst. Und kann das im Arabischen so doppeldeutig sein wie im Deutschen? Man weiss so wenig, nicht wahr, Herr Nuhr?
Ab ins Auto und raus in die Pampa. Ich hatte schon ein schlechtes Gefühl, als das Ordnungsamt sie dort weit draussen einwies. So eine Behausung würde man keinem Einheimischen zumuten. Und der Eigentümer ist ein Arschloch erster Güte. (Nur, falls er das hier liest: Ich meine das auch so!)
An der Wohnungstür kommt mir erst ein Schwall Wasser entgegen und dann eine völlig durchgeweichte und in Tränen aufgelöste Alisha im nassen Nachthemd mit jaulenden Kindern an den Händen bzw. am Hemd. Licht geht auch nicht. Taschenlampe aus dem Auto holen und mich ins Schlafzimmer führen lassen. Von der Decke tropft es noch. Vorher aber müssen wahre Sturzbäche herunter gekommen sein. Das Wasser steht auf den Dielenbrettern, hat Betten und Kleiderstapel komplett durchweicht. Muss oben wohl ein Wasserrohrbruch sein. Das Obergeschoss ist noch nicht bewohnt. Ich tippe mal auf Heizung, denn sonst liefe es noch. Man weiss so wenig! Aber es riecht nach Heizungswasser. Ich kann nur vermuten, ich bin schliesslich nicht Meister Röhrich - obwohl es hier so aussieht, als wären die Russen schon gekommen, Eckaaat!
Hier können die Leute jedenfalls nicht bleiben. Ich packe die nassen Klamotten ein. Viel ist es nicht. Ein paar aufgeweichte Plüschtiere und dann kommt das kulturelle Dilemma: Darf ein verheirateter ungläubiger Mann eine verwitwete Muslima im nassen Nachthemd (Wet-T-Shirt-Contest, Hüstel!) in den Arm nehmen und ihr beruhigend über das sonst kopftuchbedeckte Haar streicheln und den nordfriesischen Standardspruch bei Landunter, Todesfall oder Hofabbrand sagen "Alles gut!"?
Kein Imam da, den ich fragen könnte. Immer wenn man mal theologischen Rat braucht, ist Gott so fern.
Egal, Allah soll mal die Augen zu halten.
Muss er auch beim nächsten Akt. Mutter und drei Kinder auf dem Rücksitz verstauen und mit der einzigen Wolldecke im Auto etwas zudecken. Die dient eigentlich dem Köter meiner Jüngsten als Unterlage und besteht inzwischen aus je fünfzig Prozent Kamel- und Hundehaaren. Sowas von haram aber auch. Aber dafür warm. Guck mal, Allah, 50% Kamel ist doch auch was. Vor allem warm.
Zu Hause quartiere ich die Durchweichten in unserer Gästewohnung ein. Die dient manchmal zur Aufbewahrung trunkener Partygäste, als Einsiedlerklause für Kreative oder als Rumpelkammer. Aber es gibt Betten und Heizung. Die Erstversorgung mit trockener Kleidung ist problematisch. Alisha hat das Ritter-Sport-Format: Praktisch, quadratisch, gut und sieht in Eileens Klamotten aus wie eine Wurst in zu enger, aber zu langer Pelle. Den Kids reichen die requirierten Sweatshirts meiner Tocher bis zum Knie, bis zu den Füssen oder einen halben Meter darüber hinaus. Aber immerhin haben meine syrischen Gäste erst mal ein warmes, trockenes Zuhause. Danach sehen wir weiter.
Und schreiben weiter. Wenn die Kleinsyrer mir die nötige Ruhe dazu lassen.
Aladin und die Plunderlampe
am 09.10.2015
Probleme mit Flüchtlingen? Aber ja doch! Vor allem, wenn sie klein und wuselig sind. Da stellt sich dann ganz schnell heraus, dass unser Haus nicht kindersicher ist. Ich habe ganz vergessen, wie flink und unberechenbar eine Schar von Ein-, Sechs- und Achtjährigen sein kann. Vor allem, wenn typisch nordfriesisches Wetter im Verbund mit Mangel an wetterfester Kleidung dazu zwingt, sie im Hause zu behalten. So ein fremdes Haus voller unbekannter Sachen ist natürlich immer reizvoll. Dumpf erinnere ich mich an Besuche im Freundeskreis mit den eigenen Gören. "Bringt doch beim nächsten Mal gern wieder die Kinder mit. Aber gefesselt und geknebelt!"
Gestern erwischte es eine Petroleumlampe - glücklicherweise ohne Befüllung. Die hielt der näheren Untersuchung durch den Kleinsten nicht stand. Der Crashtest war erfolgreich. Glücklicherweise hat sich der Junge nicht verletzt. Erst weint er, dann heulen seine Geschwister aus Solidarität mit und dann bricht auch noch die Mutter wie ein arabisches Klageweib in tränenerstickten Wortschwall aus. Bei soetwas ist dann ihre Smartphone-App, mit der wir lustige Übersetzungen* aus dem Arabischen ins Deutsche und umgekehrt konstruieren, hoffnungslos überfordert.
Aber glücklicherweise habe ich eine Tochter, die für ihren länger zurück liegenden Einsatz für Ärzte ohne Grenzen in Gaza Arabisch gepaukt hatte. Die haben wir dann angerufen. Noch nie habe ich erlebt, dass sich jemand so zerknirscht, ja geradezu verzweifelt über etwas geäussert hat, das sein Kind beschädigt hat, wie mein Gast. Ich kenn' bloss "Hast' 'ne Rechnung? Zahlt meine Hausrat!"
Mühsam gelang es mir, die Frau zu beruhigen. Die hatte echt geglaubt, ich würde sie schnurstracks aus dem Haus jagen.
Sonst ist Alisha ja eine recht robuste Frau. Sonst hätte sie es mit den Kids wohl auch nicht hierher geschafft. So stelle ich mir die Treckführerinnen vor, die 1945 aus Ostpreussen geflohen sind. Da wird getrauert, geschimpft - und dann wird wieder angepackt. Augenblicklich produzieren wir jede Menge Apfelsaft und Apfelmus. Lustig: Sie kann sich schwer vorstellen, dass Männer in der Küche anpacken.
Auf meine Feststellung "Ist hier so!" bekomme ich ein "Gut. Besser als Syria." Inzwischen lernen wir nämlich Deutsch. Dabei geht es weniger um grammatikalische Feinheiten als mehr um den Alltags-Wortschatz. Tipp an andere: Bildwörterbücher für Kinder! Bild vom Apfel. Bildunterschrift: Apfel. Blatt genommen, "Apfel" drauf geschrieben, daneben تفاحة, dann den deutschen Begriff in "arabischer Lautschrift" und den arabischen in deutscher Lautschrift (tafaha - klingt wie Tafelapfel). So hantieren wir den lieben langen Tag mit Büchern, Bilder, Zetteln - und haben dabei viel Spass. Alisha lacht sogar. Meist über meine Aussprache. Wir leben, um zu lernen - und wir leben zusammen, um zusammen zu lernen.
Damit es nicht dabei bleibt, haben wir die beiden ältesten Kinder in einer DAZ-Vorbereitungsklasse angemeldet. DAZ steht für "Deutsch als Zweitsprache". nach den Herbstferien geht es los - und dann gibt es, zumindest vormittags, nur einen kleinen Wuselmanen zu betreuen.
Echt - ich habe ganz vergessen, wie anstrengend solche Zwerge sein können. Egal, woher sie kommen.
*Wollen zu gehn vor Wasser in Fenster brauchen Arzt - so oder so ähnlich lautete die Übersetzung für "Kann ich bitte ein Glas Wasser haben, um ein Medikament einzunehmen?"
Wenn die Muslima an die Wäsche geht
am 22.10.2015
Neulich am Schreibtisch. Es klopft an der Tür des Arbeitszimmers. Alisha, mein syrischer Gast, kommt rein und spricht kryptisch: "Hase raus?" Hase? Der letzte Stallhase ist schon vor Jahren raus. Via Römertopf. Was meint die Gute?
Sie setzt sich neben mich: "Hase raus?" "Alisha, welcher Hase?" "Hase!", gefolgt von einem arabischen Wortschwall. "Hier ist kein Hase!" "Hase!", sie greift entschlossen an meinen Oberschenkel, so ziemlich bzw. unziemlich in der Nähe von ... - na glücklicherweise trage ich ihn auf der anderen Seite. "Hase. Hase raus!" Zerr, zerr. "Hose?" frage ich, "Hose raus? Das heisst aber Hose aus." "Hose aus!" Ein wirrer Gedankenwust wabert durch mein Hirn. Okay, sie ist schon länger Witwe, vielleicht staut sich da was auf? Sie zieht mich in die Waschküche. Da ist es zwar kalt, aber gekachelt. Da kann man Spritzer leicht wieder wegspritzen. Hey, ich bin ein unbeschnittener Kuffar, ich bin so haram wie ein halbes Schwein in Jägermeister eingelegt!
Überraschung. Sie zeigt auf einen Wäschekorb mit gewaschenen Jeans. "Hose aus?" fragt sie wieder.
Ach so. Hosen raus. Raushängen auf die Wäschespinne. Eine Mischung aus Beruhigung und Enttäuschung macht sich in mir breit. "Nein. Wenn Du bei dem Schmuddelwetter heute die Hosen zum Trocknen raushängst, sind sie vermutlich nicht vor Ostern trocken."
Wir entscheiden uns für den Wäschetrockner. Meine Hose bleibt an - und alle sind glücklich.
Inwischen ist auch eine neue Wohnung in Sicht - ab 1. November. Wir mussten dem zuständigen Amt etwas Dampf machen. Derartige Dinge teilen sich meine Frau und ich nach der altbekannten Verteilung in Good Cop und Bad Cop. “Speak softly and carry a big stick; you will go far.” (T.Roosevelt) Ich bin der Gute, der softly speaks und Eileen ist mein big stick. Ich beherrsche die Palette von Dankschreiben bis Dienstaufsichtsbeschwerde, sie die von Angeboten sexueller Dienstleistung bis zum Niederbrennen des Büros. Interessanterweise entscheiden sich die meisten öffentlich Bediensteten bei ihr für Letzteres.
Fazit bislang:
Das Zusammenleben ist weitestgehend unproblematisch. Probleme ergeben sich nur aus der unguten Mixtur von kleinen Kindern und absolut nicht kindgerechter Wohnung - von fehlenden Kindersicherungen an Steckdosen bis hin zu zerbrechlichen Gegenständen in offenen Regalen in Kleinkind-Griffhöhe. Gewisse Schwierigkeiten ergeben sich aus den mangelnden gegenseitigen Sprachkenntnissen. Siehe oben. Der letzte Punkt liegt dann in gelegentlichen - auch gegenseitigen - Unsicherheiten im Umgang miteinander. Was kann, darf, muss ich tun - und was besser nicht. Das lässt sich aber beiderseits lernen.
Faszinierend finden ich den Umgang zwischen den Frauen im Haus. Ein Herzen und ein Küssen, ein Kichern und ein Lachen - das ist unglaublich. Ich dachte, es würde zwischen einer betenden Kopftuchträgerin und beispielsweise meiner Tochter und ihrer Ehefrau vielleicht Abneigungen oder Konflikte geben. Fehldenke.
Der Einzige, der etwas unter der Situation leidet, ist mein Sohn. Der ist dem Ansturm von drei quirligen (Klein)Kindern mental nicht so ganz gewachsen. Sein Entschluss steht vorerst fest: Ich und Kinder haben? Nie im Leben!
Ich würde von niemanden verlangen, gegen seinen Willen Gäste in seinem Hause einzuquartieren. Aber was ich mir wünschte, wäre die Kontaktaufnahme zwischen Eingesessenen und den neuen Nachbarn. Das hilft, Ängste und Vorurteile abzubauen.