Wie oft geht ihr in die Kirche?
07.11.2013 um 17:50
Als „Neuling“ der faszinierenden Welt von „Allmystery“ bin ich an der Diskussionsseite „Wie oft geht ihr in die Kirche?“ hängen geblieben. So stieß ich auch auf Ihre Aussage von "häresie" vom 10.10.2013:
„Wenn ich an einer schönen Kirche vorbeikomme, die gerade offen ist, dann geh’ ich manchmal hinein. Ich mag den Geruch, die Atmosphäre und die Bilder. :)
Hab mich auch schon zu einem Chorkonzert hineingeschmuggelt, die Akustik war total beeindruckend.
Um zu glauben, muss ich nicht in die Kirche gehen.“
Es wirkt auf mich beeindruckend weise, wie "häresie" sich damit in wenigen Worten als selbstbewusste, frei denkende Persönlichkeit mit kulturell feinem Geschmack und hohem ästhetischem Empfinden „outet“. Von ihrer offenkundigen inneren Freiheit bin ich leider weit entfernt!
Wie Millionen unseres Kulturkreises wurde auch ich dahingehend sozialisiert, dass es einen zwar dreifaltigen, aber doch nur einzigen, männlichen Gott gebe, der allmächtig und allwissend sei und dessen Willen sich alle Menschen zu unterwerfen hätten, damit sie sowohl religiöse als auch weltliche Erfüllung finden könnten. Und ich entwickelte mich zu einem frommen Katholiken, der alle Kirchengebote sehr ernst nahm.
48 Jahre musste ich alt werden, als ich auf den „Alten Pfad“ und seine unendlich vielfältige Spiritualität stieß, mit dem ich mich intensiv beschäftigte. Ich "verliebte" mich bei meinen
Recherchen regelrecht in diverse Göttinnen.
Ich gelangte zur Überzeugung, fand heraus, dass die Ein-Gott-Lehre über Jahrhunderte dazu benutzt wurde, soziale Unterschiede, Unterdrückung individuellen Denkens und vor allem die Unterwerfung alles Weiblichen zu rechtfertigen. „Naturreligion“ dagegen, die das Leben heiligt, bringt auch die Frauen für immer und mit ihrem ganzen Wert zur Geltung.
Im Gegensatz zum Christentum ist, wie mich einschlägige Literatur rasch lehrte, etwa im Göttinnen-Glauben Unterwerfung das letzte, was die „Große Mutter“ fordern würde. Sie und all ihre Erscheinungsformen sprechen keine Gebote für die aus, von denen sie verehrt werden. Stattdessen bieten sie Herausforderungen, um uns Mut im Unglück und Stärke gegenüber Schwierigkeiten zuwachsen zu lassen. Sie wollen, dass mensch selbständig und frei dasteht, um auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, die Gaben des Lebens und die Talente des eigenen Geistes zu nutzen, die eben diese Gottheiten einem verliehen haben, damit wir unseren Lebensweg erfolgreich gestalten können. Eine „Erbsünde“, von der wir vorher erlöst werden müssten, gibt es da nicht.
Außerdem geben mir natürlich die Glaubwürdigkeitskrisen, von denen „meine“ Kirche immer wieder geschüttelt wird, zu denken. Welchen Sinn hatte es für mich nun, nach wie vor in einer Organisation Mitglied zu sein, deren Glaubenssätze ich egentlich nicht mehr teile? In einer Gesellschaft, die Religionsfreiheit garantiert, kann jeder Mensch sich die ihm gemäße Philosophie oder Überzeugung aussuchen. Von diesem Recht möchte ich als mündiger Bürger Gebrauch machen und mich dabei von meinen neuen Erfahrungen leiten lassen.
Aber kürzlich begegnete mir eine betagte Religionslehrerin, ihres Zeichens Nonne, die ich seit meiner Schulzeit nicht mehr getroffen hatte. Sie ist als promovierte Oberstudienrätin i. R. eine hochintelligente und noch immer höchst kommunikative Persönlichkeit. Wir kamen ins Gespräch, und ich schilderte ihr, da ich nicht heucheln wollte, mein derzeitiges Gefühl des Zuhause-Angekommen-Seins außerhalb der Kirche. Aber auf unwahrscheinlich überlegene Art bedeutete mir die Nonne, dass ich „auf dem Holzweg“ sei. Grotesker Aberglaube habe mich schuldig werden lassen gegen alles, was mir von klein auf heilig gewesen sei.
In unserer langen Unterhaltung konnte sie ihren alten Einfluss auf mich neu beleben, auch, indem sie auf den tiefen Glauben meiner Eltern und Großeltern hinwies, die sie ja kannte. Seither habe ich mächtige Gewissensbisse und glaubte, mich schnellstmöglich von allem wieder lösen zu müssen, was mich innerlich so befreit hat. Ich gehe zwar nicht jeden Sonntag zur Kirche, aber doch wieder viel häufiger...
Wie würdet ihr diesen widerstreitenden Gefühlen begegnen? Ich habe nämlich das Empfinden, dass ihr mir diesbezüglich raten könnt!