Düstere Legenden
10.12.2004 um 13:08
HI , irgenjemand wollte die Azrael - Story, bitte! Ich, Azrael war schon vor der Zeit da, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über den Fluten der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich als sein Werkmeister bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern. (Sprüche 8,22-31)
Ich bin Azrael, ein Erzengel des HERRN, der Engel des Todes und der Rache.
Ich bin kein Werkzeug des HERRN, doch ich diene ihm und seiner Schöpfung.
Und doch ich bin gefallen. Gefallen, da mir eine Schwäche zuteil wurde: ich lernte die Liebe kennen. Nun ist dies allein kein Grund, mich aus dem himmlischen Reich zu verbannen. Engel müssen gar lieben. Aber sie müssen uneingeschränkt lieben. Sie lieben den HERRN, Seine Schöpfung, sie lieben die Menschen.
Aber ich, ich liebte nur einen Menschen. Nicht daß ich den HERRN nicht mehr liebte oder Seine Schöpfung. Im Gegenteil, ich liebte Ihn mehr als zuvor, da ich nun eine seiner größten Gaben fühlen konnte. Aber meine Liebe zu Gott war nicht mehr uneingeschränkt. Die Liebe zu einem Menschen machte mich schwach, machte mich fast zu einen der ihren. Ich liebte eines Seiner Werke mehr als Ihn selbst.
So mußte ich denn das himmlische Reich verlassen, konnte nicht mehr am himmlischen Lobeschor der anderen Engel teilnehmen. Ich hörte zum ersten Mal nicht das Lobeslied der Schöpfung. Ich war keiner mehr von ihnen, aber ich war auch keiner der anderen. Ich war kein Mensch.
Als meine Liebe starb, war ich ganz allein. Einsam durchstreifte ich die Erde, die mir nun dunkler und düsterer erschien. Ich war noch immer ein Diener meines HERRN und erledigte meine Aufgaben, nämlich die Sünder zu bestrafen und sie dem reinigenden Feuer zuzuführen. Meine Flammenschwerter wüteten wild unter ihnen und führten sie ihrer gerechten Strafe zu.
So vergingen die Jahrzehnte. Jahrzehnte wurden zu Jahrhunderten. Ab und an widerstand ich den Versuchungen des Lichtbringers, des ersten unter uns. Luzifer strebte danach, mich in seine Reihen aufzunehmen, doch ich hielt dem HERRN die Treue und vernichtete Dämonen über Dämonen, ihre Zahl ist Legion.
Immer wieder trieb es mich an die himmlischen Tore, in der Hoffnung, den Lobesgesang auf den HERRN zu vernehmen, doch meist musste ich unverrichtet Dinge meine Wege ziehen.
Doch eines Tages hörte ich eine Stimme, ein Teil des Lobeschores. Ein Engel, der der Schöpfung das himmlische Lied sang. Sie schien lauter und heller und zarter zu klingen als der Rest des himmlischen Chores. Ich versuchte, der Stimme einen Namen zu geben.
Schließlich erkannte ich, dass es das war, was ich vergessen glaubte, tief begraben unter meiner Trauer. Es war die Liebe. Der Engel der Liebe klang in meinen Herzen. Ich konnte wieder das Lied vernehmen!
Immer wieder vernahm ich ihre Stimme, lauschte ihren zarten Worten, wie sie mich umspielten, umgarnten. Wie sie in meinem Herzen Gefühle hervorriefen, die längst ausgestorben schienen. Und doch...
Es war ein wenig anders. Ich war ein wenig anders. Ich war mißtrauisch geworden. Sie war der Engel der Liebe. Ehrlich, der Liebe verpflichtet. Aber eben nur der Liebe. Gehörte das nicht zum Spiel? War das nicht die Liebe? Liebe zum ALLVATER?
Neckische Spielereien, Spiele mit Gefühlen. Der Engel der Liebe umgarnte mich, doch nur mich oder auch andere? War es dem Engel ernst? Oder war es nur Teil der Lebensfreude, Freude an der Schöpfung, aber ohne jede Bedeutung für mich?
Ich merke, daß ich wahrlich ein gefallener Engel bin, der nur noch an sich denkt. Ich bin in Ungnade gefallen vor dem HERRN, habe gesündigt, sündige täglich in meinem Herzen. Der Himmel wird mir verwehrt sein, wahrscheinlich auch am Tag des jüngsten Gerichts. Doch dies ist mein Schicksal, dies ist mein Weg. Ich muß ihn beschreiten, denn es ist SEIN Wille. Und dennoch würde ich gerne diesen Weg mit ihr beschreiten, mit ihr, dem Liebesengel. Sie versteht mich. Sie ist ein Engel, wie ich es war. Wie ich es bin. Und doch will ich um der Liebe willen nicht, daß auch sie zu den Gefallenen gehört.
Immer wieder lausche ich an den himmlischen Pforten und erfreue mich an ihrem Gesang, auch wenn er nicht immer an mich gerichtet ist, erfreut er mein Herz. Bittersüß sind ihre Versprechungen. Doch wie sagte einst ein berühmter Dichter in Indien zu mir?
"Du darfst mich nie dafür verantwortlich machen, wenn du mir dein Herz schenkst. Wenn ich dir jetzt in Liedern mein Wort gebe und, nachdem der Sang verstummt ist, zu besonnen bin, es dir zu halten, mußt du mir verzeihen; denn die Gesetze des Maimonds gelten nicht im Dezember. Halte nicht immer an der Erinnerung fest, wenn du mir dein Herz schenkst. Wenn aus deinen Augen die Liebe singt und Lachen in deiner Stimme plätschert, dann werden meine Schwüre phantastisch sein und nicht kargend abwägen, was möglich ist, - du mußt ihnen auf ewig glauben und sie dann für immer vergessen." (Rabindranath Tagore)
Ein weiser Mann war dieser Mensch. Und so bleibt mir vorerst nur die traurigschöne Erinnerung an ihre Worte, an ihre Versprechungen, an ihre Schwüre.
Lange Jahre wandere ich nun schon unter den Menschenkindern. Obwohl ich viele unter ihnen kennen- und schätzen gelernt habe, war ich doch immer allein. Niemand teilte mein Schicksal, niemand meine Erfahrungen. Keiner von ihnen konnte auch nur im Ansatz verstehen, was es heißt, das Antlitz Gottes erschaut zu haben und es verloren zu haben.
Ich wandelte unter ihnen in immer wieder neuen Gewandungen, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Verdammt dazu, Gottes Macht und Wirken in allem um mich herum zu spüren. Doch der Funke in mir schien erloschen. Es gab Momente, da hätte ich den Verlockungen des Versuchers nachgegeben, aber diese Momente gingen dahin, ohne dass er kam.
Nie sah mich ein Mensch in meiner wahren Gestalt, es sei denn, ich kam, um ihm sein Leben zu nehmen, seine Seele zu geleiten an den Ort, wo sie ihre Ruhe findet. Ruhe! Wie gerne hätte ich in meinem Innersten diese Ruhe ein einziges Mal nur gespürt.
In einigen Ländern hörte ich Geschichten über mich. Die Menschen erzählten von mir. Sie gaben mir viele Namen. Ich hieß unter ihnen Azrael, Abu Jahja oder Mordad. Aber eins war immer gleich. Sie sagten, ich wäre ein hartherziger Engel, ein dunkler Engel, der kein Bitten und Flehen erhört. Nicht einmal von Gaia, Mutter Erde selbst. Sie wusste damals, dass Gott sie verfluchen würde, weil der Mensch, aus ihrem Lehm geformt, sich versündigen würde. Und so geschah es. Gaia bat mich, Gott zu bitten, keinen Teil von ihr für die Erschaffung des Menschen zu nehmen. Was hätte ich tun sollen: es war doch Gottes Wille? Gott berief mich nach dem Sündenfall in mein Amt, das Amt des Todesengels. Ein Konzept, dass uns Engeln so fern erschien. Wir hatten die Ewigkeit und die Menschen nur eine lächerlich kurze Zeitspanne.
Die Menschen fürchten den Tod. Und diese Furcht projizieren sie nun auf mich. Ich bin für sie die Dunkelheit, der Schwarze Engel. Dabei bin ich es gerade, der für Sicherheit auf ihrem letzten Weg sorgt. Aber so war es immer und so wird es immer sein. Ich erwarte keinen Dank. Ich tue nur Gottes Willen.
Die Menschen sind so zart und verletzlich. Sie spüren oft, dass ich nicht wie sie bin, doch die meisten unter ihnen lassen mich das nicht spüren. Es gibt einige, die mich hassen, weil ich anders bin. Aber sie sind nur fehlgeleitete Seelen, ich kann ihnen nur vergeben. Sie vernichten sogar die eigenen ihrer Art, einfach nur weil sie anders sind. Dabei ist es doch gerade das, was Gottes Schöpfung ausmacht. Alles ist verschieden, nichts ist wirklich gleich, alles ist einzigartig.
Auch unter den Engeln gab es einst diesen Hass. Bruder vernichtete Bruder, Schwester erhob ihre Hand gegen Schwester. Und einer stand mitten unter ihnen und lachte: Luzifer Morgenstern, der Fürst des Ostens. Er kostete den Triumph aus, sicher, dass die Schlacht geschlagen sei. Doch der Krieg währte lange und es gewannen die, die auf Gott vertrauten. Nun sinnt der dereinst strahlendste Engel auf Rache. Nur heißt diesmal das neue Schlachtfeld Erde und es geht um den Menschen.
Es hat sich viel geändert seit dem Anbeginn der Schöpfung. Nichts ist mehr so, wie es mal war. Engel wurden zu Kriegern für oder wider die Schöpfung. Der Himmlische Chor singt noch immer, aber sein Gesang klingt mir ein wenig trauriger ob der Grausamkeit auf der Erde, ob der Gefallenen Brüdern und Schwestern.
Nur selten finde ich Orte und Momente, an denen ich meine Brüder und Schwestern singen hören kann. Schmerzhaft kommen mir dann die Erinnerungen hoch. Einst war ich einer wie sie, doch das ist lange vorbei.
Ich bin nun wahrlich der Dunkle Engel. Im Schatten lebe ich, meine Flügel sind schwarz wie die eines Raben, auch mein Denken ist düsterer als das meiner Brüder und Schwestern. Ich habe Gefühle, die ihnen fremd sind. Ängste, Vorbehalte, Eigensucht. All dies ist Teil meines Schicksals, Teil meiner Bestimmung.
Aber ich weiß noch immer, was Liebe ist. Oder weiß ich es erst wieder?
Ich habe viele Dichter getroffen, die mit ihren Worten versuchten, die Liebe zu beschreiben. Sie schrieben sanfte und süße Dinge über dieses Gefühl. Wenn sie mir ihre Texte vortrugen, versuchte ich aus meiner Erinnerung heraus, dieses Gefühl zu rekonstruieren, aber es endete immer im schmerzenden Gefühl des Verlustes.
Doch heute ahne ich wieder, was sie gemeint haben. Ich fühle wieder eine Leichtigkeit. Denn ich traf den Engel, dessen Stimme mir einst die Erinnerung an den Himmel zurückgab. Sie reichte mir ihre Hand und zögernd ergriff ich sie. Denn ich fühlte mich ihres Strahlens nicht wert, hatte Angst, sie mit meiner Düsternis zu beflecken. Sie ist so rein und lieblich.
Doch es war dieses Strahlen, dass mein kaltblütiges Herz erwärmte, es war die Wärme in ihren Augen, die mir vom Leben sprach, dass ich angesichts des täglichen Umgang mit dem Tode beinahe vergessen hatte. Es war ihre Zärtlichkeit, die meine Leidenschaft wiedererweckte.
Nun endlich kann ich wieder glauben, dass Gott auch den Gefallenen verzeihen kann, dass seine Güte und Gnade unermesslich ist. Denn er schuf dieses Wesen, diesen strahlendsten aller Engel, diesen lebendig gewordenen Lobgesang auf die Schöpfung!
Und so wandere ich weiter auf dieser Erde, um Gottes Willen zu erfüllen, doch sind meine Schritte nun leichter, unbeschwerter...
Wer weiß, vielleicht erzählen sich bald die Menschen andere Geschichten über den Engel des Todes? Geschichten der Sanftheit, der Schönheit und der Liebe. Geschichten über einen Dunklen Engel, der aber nicht düster ist...
PS: So düster scheint sie mir zwar nicht, im Gegenteil, ob s stimmt? Weiss nur der Wind...
cheers, Flowers :)
F,;':,