Der Kollege bringt es in der des Kultur-Bolschewismus sicher unverdächtigen Neuen Westfälische (Bielefeld) auf den Punkt, besser als ich es Euch hier als Zusammenfassung liefern kann:
Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika - Erwünschte Ablenkung
TORSTEN ZIEGLER
Bielefeld (ots) - Jabulani rollt. Endlich. Er wird wüst getreten,
sanft gestreichelt, beherzt geköpft, energisch gefaustet, sicher
gefangen. Und hoffentlich beult er, der WM-Ball, in jedem Spiel die
Tornetze. Denn wenn die Sportart Fußball genug Spektakel bietet, ist
sie geeignet, die Sorgen dieser Welt für ein paar Wochen etwas
kleiner wirken zu lassen. Die meisten Menschen lassen sich gerne
ablenken. Zumal die zurückliegenden Monate von miesen Nachrichten
geprägt waren. Koch und Köhler fliehen aus ihren höchst
verantwortungsreichen Ämtern, NRW sucht verzweifelt nach einer neuen
Regierung, die Euro-Zone zeigt sich fragil wie nie, BP verölt den
Golf von Mexiko. Stimmungsaufheller? Fehlanzeige! Jabulani rollt.
Damit verbindet sich zumindest die Hoffnung auf einen fröhlicheren
Monat. Das wäre doch schon mal etwas und könnte auch denjenigen
gefallen, die das Treiben um das Hightech-Spielgerät für maßlos
überbewertet halten oder den Kick an sich als langweilig empfinden.
2006, beim Sommermärchen in Deutschland, haben wir es alle erleben
dürfen: Fußballerbeine setzen Massen in Bewegung, sie inspirieren das
Volk. Vielleicht war es neben einem Wachstumsimpuls für die
Wirtschaft von 10 Milliarden Euro (Investitionen, Ausgaben heimischer
Fans und ausländischer WM-Touristen) der größte Gewinn der damaligen
Gastgeber, dass der Rest der Welt sein Deutschlandbild mit Erstaunen
korrigierte: Weg von stets engstirnigen Ordnungsfanatikern, hin zu
bisweilen weltoffenen Gefühlsmenschen. Jabulani rollt. Und das alles
ist ein Riesengeschäft. Distanzierter betrachtet: Kommerz. Die
Vermarktung ohne Grenzen quält uns gelegentlich mit durchschaubaren
Inszenierungen. Beispielsweise über die Eigenheiten des Runden. Er
sei der schlechteste WM-Ball aller Zeiten, lästern die einen. Sie
haben keine Ausrüstervereinbarung mit dem dreigestreiften Hersteller
aus dem Fränkischen. Die anderen loben, weil sie vertragsgemäß nicht
anders können. Für die riesige Wertschöpfungskette gibt es allerdings
einen Markt. Milliarden Menschen rund um den Globus ermöglichen durch
ihr WM-Interesse eine erwartete Gesamteinnahme von 2,6 Milliarden
Euro. Allein für Fernsehrechte fließen dem Fußball-Weltverband FIFA
1,6 Milliarden zu. 280 Millionen Euro wird die FIFA an die 32
Teilnehmerverbände als Prämien ausschütten. Jabulani rollt. Dabei
dominiert eine nie dagewesene Spannung den Blick auf das von
Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Rezession und Aids geplagte
WM-Ausrichterland. Kriegen sie die ersten Welttitelkämpfe auf dem
schwarzen Kontinent einwandfrei organisiert über den Rasen? Der
verwöhnte Rest der Welt wird seine Zweifel in den nächsten vier
Wochen anhand der südafrikanischen Realität überprüfen. Für die
Menschen am Kap könnte sich viel verändern. Die
weltmeisterschaftsbedingten Investitionen in die Infrastruktur haben
bereits zur Modernisierung des Landes beigetragen. Von unschätzbar
größerem Wert wäre es, müssten die Wirtschaftsmächte ihre
überhebliche Sicht auf den afrikanischen Kontinent revidieren.
Jabulani rollt. Die ersten Bilder verraten, dass die Menschen da
unten ausgelassen feiern. Das passt zum Ball. "Jabulani" ist Zulu und
heißt auch so viel wie "feiern" oder "zelebrieren". Sie verdrängen
ihre Probleme, die schlimmer sind als unsere, und taugen damit schon
als Vorbilder.
Originaltext: Neue Westfälische (Bielefeld)
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