@Tygo @Dawson09@Soley Manchmal sind die Grenzen zwischen Fussball und Krieg durchaus fliessende:
Wikipedia: FußballkriegOder geografisch wie zeitlich etwas näher:
Am Mittwoch, den 18. November, entscheidet sich für die französische Fußballnationalmannschaft, ob sie 2010 zur ersten WM in einem afrikanischen Land nach Südafrika fliegen kann. Sie trifft im Stade de France in St-Denis auf die irische Mannschaft, trainiert von Giovanni „ich habe fertig“ Trapattoni. Doch für viele Fußballfans in Frankreich mag dieses Spiel eher sekundär erscheinen: Für viele in Frankreich lebenden Algerier war eher das Spiel wichtig, welches ihre Landsleute gegen die ägyptische Mannschaft im Sudan austrugen. So wichtig, dass sogar in Frankreich die Sicherheitsmaßnahmen erhöht wurden.
Es gab bereits ein Hinspiel zwischen den „Bleus“ von Nationaltrainer Domenech und den „Green Boys“ von Giovanni Trapattoni in Dublin, bei dem die Gastmannschaft ein für ihre bisherigen Leistungen fast enttäuschendes Ergebnis von 1:0 erreichte. Und nun wird es noch härter: Eine der beiden Mannschaften ist nach dem heutigen Spiel qualifiziert, die andere kann nach Hause fahren. Deshalb kämpfen beide Teams verbissen um eins der wenigen Tickets zur WM, auch wenn die Équipe tricolore als Favorit gilt.
Mit ähnlicher Verbissenheit ging es auch zwischen Algerien, den Fenneks (Wüstenfüchsen) und Ägypten, den Pharaonen, zu. Auch hier zählte der Sieg, jedoch nicht eines Spiels. Um es auf den Punkt zu bringen, sagte der algerische Nationalspieler Karim Matmour „Das ist kein Fußball, das ist Krieg.“
Als alte Fußballrivalen kämpften die beiden Länder nun darum, welches von ihnen nun das arabische Nordafrika in der WM im Süden des Kontinents repräsentieren darf. Vorherzusehen waren die Aggressionen, als Kairo als Austragungsort für das Hinspiel der beiden Mannschaften vergangenen Sonntag gezogen worden war. Seit ihrer Ankunft in der ägyptischen Hauptstadt waren sowohl die algerischen Spieler als auch die zugereisten algerischen Fans Gewalt ausgesetzt. So wurden drei Wüstenfüchse auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel verletzt, und noch in der Nacht hatten Autohupen sowie eine laute Hochzeitsfeier dafür gesorgt, dass die algerische Nationalmannschaft es nicht zu gemütlich haben sollte. Auch nachdem sie mit 0:2 das Hinspiel verloren hatte, gaben ägyptische Fanatiker nicht nach. Diesmal wurden Busse mit algerischen Fans so schwer von Steinen beworfen, dass es wieder Verletzte gab. Die Rache folgte sofort: Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, wonach es zu Vergewaltigungen und gar Ermordungen von AlgerierInnen gekommen sein soll. Wutentbrannt hatten algerische Jugendliche in ihrem Land lebende Ägypter und verschiedene ägyptische Unternehmensfilialen angegriffen.
Es ist also kein Wunder, dass nicht nur das Stade de France, sondern auch das Stadion in Omdurman im Sudan, in dem sich der Showdown von Wüstenfüchsen und Pharaonen ereignete, stark gesichert war. Von 15.000 Polizisten war die Rede. „Wir sind auf jeden Notfall vorbereitet“, so der Gouverneur Abdelrahman al-Khidr. 35.000 Fans sollen dabei gewesen sein.
Und die FIFA? Die algerische Nationalmannschaft ist entsetzt, dass ein Spiel wie jenes in Kairo überhaupt stattfinden sollte. Doch die Fußballbehörde rief selbst zu Ruhe und Fairplay.
Auch in Frankreich machten sich enttäuschte Fans der algerischen Mannschaft nach dem Samstagsspiel Luft. Dies geschah vor allem in Lyon und Marseille. Dort kam es zu Sachschäden an Gebäuden und Autos, unter anderem an der berühmten Bibliothek l‘Alcazar. Außerdem wurden im Vieux Port (Alten Hafen) von Marseille sechs Schiffe in Brand gesteckt, von denen zwei untergingen. 500 Polizeibeamten mussten die Randalierer in Schach halten. Es kam sogar zum Einsatz von Tränengas. Für heute hatte das französische Innenministerium vorgesorgt – 650 Polizisten sollten in Marseille für Ruhe und Ordnung sorgen. Doch auch Personen aus Politik und öffentlichen Verbänden wollten ihren Beitrag leisten. Sie setzen auf Prävention, indem sie Gespräche in den Straßen und Schulen der Stadt führen.
Marseille im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen
In ihrer über 2600-jährigen Geschichte hat die somit eine der ältesten Städte Frankreichs viele Immigrationswellen miterlebt. Von phokäischen, also griechischen, Pionieren als Kolonie gegründet, hatte die Stadt immer wieder mit verschiedenen Völkern, wie den Etruskern, Kelten, Römern, Burgundern und Franken, Kontakt – aufgrund ihrer wachsenden Bedeutung als Hafenstadt. Später waren es dann verstärkt italienische und spanische Einwanderer, ab dem 20. Jahrhundert auch Russen, Armenier und im Zuge der französischen Kolonialisierung Afrikas auch Afrikaner, besonders Nordafrikaner, und seit der Unabhängigkeit Algeriens auch viele „Pieds-Noirs“ – Nachfahren der französischen Kolonialherren, die in Algerien Siedlungen errichtet hatten. Auch nach wie vor erreichen viele vom Schwarzen Kontinent stammende Schiffe den Hafen der Stadt, auch wenn viele von ihnen illegale Einwanderer transportieren. Marseille gilt unter anderem deswegen als „Tor zum Orient“ – außerdem liegt es auf halbem Wege von Paris nach Algier. Die Stadt ist multikulturell geprägt – ähnlich wie beispielsweise New York. Doch auch finden sich hier ähnliche Probleme: ein hohes Maß an Kriminalität und Arbeitslosigkeit kann man hier vorfinden. Deswegen ist die Stadt trotz des hohen Immigrantenanteils eine Hochburg der rechtsextremen FN (Front National) von Jean-Marie Le Pen. Dieser meinte jüngst noch, er sei geschockt über die vielen algerischen Flaggen, die er in Marseille anlässlich des Fußballspiels von Algerien und Ägypten am Samstag gesehen habe. Die Stadt sei „keine französische Stadt mehr“ und die „Islamisierung der phokäischen Stadt“ sei „keine Befürchtung mehr, sondern Realität“. Marseille hat die größte islamische Gemeinde Frankreichs. Aufgrund der Probleme der Stadt wurde in den Präsidentschaftswahlen 2007 vorwiegend Nicolas Sarkozy von den Einwohnern Marseilles gewählt. Zwar nicht im Sinne einer nationalen Identität, einem Thema, welches sowohl Sarkozy als auch Le Pen schätzen, haben viele Einwohner Marseilles dennoch einen gewissen „Stolz, ein Marseillais (Einwohner von Marseille) zu sein“. Dies zeigte sich auch zum Tod von Gaston Defferre, einem langjährigen Bürgermeister der Mittelmeerstadt, im Jahr 1986, als acht Vertreter verschiedener Ethnien seinen Sarg trugen. Auch ein gutes Beispiel für diesen Lokalpatriotismus ist der Fußball: OM, Olympique de Marseille, der lokale Verein, wird von einer breiten Mehrheit unterstützt. Noch sind die Fans der algerischen Mannschaft vielleicht in Feierlaune, da diese die ägyptische Mannschaft mit 1:0 besiegte, aber am Freitag wird es zu einem Spiel zwischen OM und PSG aus Paris, einem Kampf zwischen Erzrivalen, kommen. Auch hier wurde bereits eine Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen angekündigt…
Dominik Rosmiarek
18.11.2009 La Gazette de Berlin
@dS Warum sollte ich, der ich integrierter und gut dotierter Bestandteil des Kapitalistischen Systems bin, "Anti" sein und Polizisten den Tod wünschen?
Den wünsche ich ja nicht mal Fussball-Fans.