Der Arzt, dem Michael Jackson vertraute
Von Uwe Schmitt 9. Februar 2010, 04:00 Uhr
Er verabreichte die Schlafmittel: Seit gestern steht Conrad Murray vor Gericht - Ihm drohen vier Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung
Los Angeles - Alle Bemühungen der Anwälte waren vergeblich: Acht Monate nach dem Tod Michael Jacksons ist gegen seinen Leibarzt Conrad Murray (56) vor einem Gericht in Los Angeles gestern Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben worden.
Das Anwaltsteam des Kardiologen, der dem Popstar häufig, auch in der Nacht seines Todes, das klinische Anästhesiemittel Propofol verabreichte, hatte versucht, mit der Staatsanwaltschaft Konditionen auszuhandeln, die ihm erlaubt hätten, gegen 25 000 Dollar Kaution auf freiem Fuß zu bleiben. Die Vorführung in Handschellen vor den Medien wäre ihm so erspart geblieben. Nun wird der Haftrichter die Höhe der Kaution und eventuelle Auflagen festsetzen. Auf fahrlässige Tötung steht in Kalifornien eine Höchststrafe von vier Jahren Haft.
Die Familie Michael Jacksons verlangt gegen Murray eine Mordanklage zweiten Grades. Brian Oxman, der langjährige Anwalt der Familie, verglich das Handeln Murrays in einem Interview mit dem "Abfeuern von Schüssen auf einen vollbesetzten Zug". Eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung wäre nur "ein leichter Klaps auf die Hand" des Arztes, aber "ein Schlag ins Gesicht" für alle, die Gerechtigkeit suchten. Oxman versucht, den Prozess um den Tod des einstigen "King of Pop" zu einem Feldzug gegen die Komplizenschaft von Ärzten beim Medikamentenmissbrauch von Prominenten wie Anna Nicole Smith zu stilisieren. Auch macht er geltend, dass er Michael Jackson vor Propofol und Murray gewarnt habe.
Die amerikanische Regenbogenpresse hat sich offenbar noch nicht entschieden, ob der Leibarzt nur unethisch und fahrlässig handelte oder Michael Jacksons Tod nahezu mutwillig in Kauf nahm. Unter Medizinern ist unumstritten, dass das durch Infusion verabreichte Narkosemittel Propofol - Jackson nannte die weiße Flüssigkeit seine "Milch" - für die Behandlung von Schlafstörungen mindestens ungeeignet ist. Es habe in einem privaten Haushalt, zumal ohne Überwachung durch einen Anästhesisten, nichts zu suchen. Murray behauptet, er habe in der Woche vor Jacksons Tod den Gebrauch des Mittels reduziert, das seinen Patienten längst abhängig gemacht hatte. Murray hatte die Rolle des Leibarztes wenige Wochen vor dem Beginn der Proben für Jacksons Konzertserie in London übernommen, die acht Monate währen sollte. Fünf Millionen Dollar Honorar soll Murray angeblich für seine Dienste verlangt haben. Jacksons Manager Frank DiLeo hielt das für abenteuerlich: "Michael, für das Geld kaufe ich dir eine Klinik. Aber er sagte, das sei sein Hausarzt und er vertraue ihm."
Murrays Anwalt bestätigt nur 150 000 Dollar Salär monatlich, die überwiegend von der Konzertagentur AEG Live übernommen werden sollten. Angeblich hat Murray nie einen Dollar Honorar gesehen. Über seine zerrütteten pekuniären Verhältnisse gibt es keinen Streit. Laut Gerichtsdokumenten in Las Vegas lebte er mit seiner Ehefrau, ebenfalls einer Ärztin, einem 19 Jahre alten Sohn und einer 13 Jahre alten Tochter in einem Haus an einem Golfplatz, das knapp eine Million Dollar wert und mit 1,7 Millionen Dollar Hypotheken belastet ist. Bei etlichen Gläubigern steht er mit 435 000 Dollar in der Kreide. Zudem unterhält Murray offenbar seit Jahren recht unvorsichtige sexuelle Beziehungen; seine Vaterschaft von vier Kindern mit drei Frauen scheint unstrittig. Doch kommt er seinen Unterhaltsverpflichtungen seit geraumer Zeit nicht mehr nach.
Das Angebot Michael Jacksons, den er 2005 bei einer Behandlung in Las Vegas kennengelernt hatte, muss Murray als das Wunder erschienen sein, das alle seine Probleme lösen würde. Freunde, auch aus dem Haushalt Michael Jacksons, beschreiben Murray als kultivierten Mann, der kaum Nein sagen konnte. In Houston behandelte er zwei Tage im Monat Herzpatienten aus dem Getto ohne Honorar. An einem Juni-Tag 2009 verschickte Murray Briefe, die das Schließen seiner Praxis in Las Vegas bedauernd mit "einer Gelegenheit, die man nur einmal im Leben bekommt", erklärte. Zehn Tage später war Michael Jackson tot.
http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/article6312235/Der-Arzt-dem-Michael-Jackson-vertraute.html (Archiv-Version vom 14.03.2010)