Neapel , 11.05.2010


Tief unter der Erde bei Neapel schlummert eine feurige Gefahr: Die Phlegräischen Felder gelten als einer der größten Vulkane der Welt - mitten in einem dichtbesiedelten Gebiet. Jetzt zeit der Koloss ungewohnte Aktivität. Wissenschaftler sind alarmiert.

Die Bohrung bei Neapel zielt mitten ins Herz einer der gefährlichsten Lavaschleudern der Welt. Es geht um die Phlegräischen Felder, ein rund 150 Quadratkilometer großes Gebiet in der Nähe der Metropole am Mittelmeer. Das gewagte Ziel des Unternehmens: Herausfinden, wo das Magma unter dem Areal brodelt. "Wir sind bereit", sagte Projektleiter Giuseppe De Natale vom INGV-Osservatorio Vesuviano in Neapel vergangene Woche auf der Jahrestagung der Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien.
Eine gespenstige Landschaft

Die Phlegräischen ("Brennenden") Felder nahe Neapel sind eine gespenstische Landschaft. Aus gelbbraunen Hügeln wehen schweflige Dämpfe, die nach faulen Eiern riechen. Mancherorts schießen Fontänen heißen Wassers aus der Erde. Doch kein Vulkankegel verrät das Ungetüm. Beim letzten großen Ausbruch vor 39.000 Jahren stürzte die Erdkruste ein, nachdem sich die riesige Magmakammer entleert hatte. Zurück blieb ein Krater, die sogenannte Caldera.
Europa könnte unter dicker Ascheschicht begraben werden

In ihr liegt nun der Großteil der Metropolregion Neapel. Angesichts von 1,5 Millionen Menschen in der näheren Umgebung handele es sich um "das gefährlichste Vulkangebiet der Welt", sagt De Natale. Eine große Eruption wie vor 39.000 Jahren könne gar "weite Teile Europas" unter einer dicken Ascheschicht begraben, ergänzt Agust Gudmundsson von der University of London.
Vorstoß ins Ungewisse

Ein Wissenschaftlerkonsortium will in den nächsten Jahren im Rahmen des International Continental Scientific Program (ICDP) und des International Ocean Drilling Program (IODP) an sieben Stellen Testbohrungen anbringen - sechs in den Meeresboden, eine an Land. Ziel sei es, Ausbrüche vorhersagen zu können und das Verhalten von Vulkanen zu verstehen, sagt De Natale. Die Forscher wollen Einblick in das Innere des Ungetüms erhalten und in den Bohrlöchern Messgeräte installieren.
Die Planung ist aufwändig und anspruchsvoll

Zwar steht die Finanzierung noch nicht komplett. Doch die ersten beiden Bohrungen seien genehmigt, erklärte De Natale in Wien. Der erste Vorstoß soll im September auf einem alten Fabrikgelände direkt an der Küste beginnen. Eigentlich war der Start schon für Dezember 2009 geplant. Doch die Bürokratie habe das Projekt verzögert, berichten Forscher. Die Planung war anspruchsvoll, Behörden mussten von den Sicherheitsvorkehrungen überzeugt werden.
Die oberen Erdschichten sind uninteressant

Magma erwärmt die Erdkruste im Bohrgebiet auf mehr als 500 Grad, erwarten die Experten. Spezialisten des Geoforschungszentrums Potsdam entwickelten eigens ein Bohrgerät, das der Hitze im Untergrund widerstehen soll. Doch Gefahr bestehe nicht, beruhigt De Natale. Befürchtungen von Vulkanologen, solche Bohrungen könnten Ausbrüche auslösen, bezeichnet er als "Unsinn". Wie es im Untergrund aussieht, wissen die Forscher allerdings nur aus indirekten Beobachtungen, etwa mit Hilfe von Schallwellen, die Querschnittbilder des Bodens liefern. Die oberen Erdschichten der Phlegräischen Felder scheinen demnach uninteressant: Sie bestehen vor allem aus Kalkstein, sagt De Natale.
Was passiert, wenn die Bohrung auf Magma trifft?

Es gebe aber Hinweise auf Magma in sieben bis acht Kilometern Tiefe - und die wichtigste Frage ist laut De Natale, ob das geschmolzene Gestein auch in geringerer Tiefe schlummert. Die geplanten Bohrungen sollen bis zu vier Kilometer tief in den Boden vordringen. Damit erscheint es eher unwahrscheinlich, dass man direkt auf Magma trifft. Sollte es dennoch geschehen, wäre auch das kein Risiko, wie der Würzburger Vulkanologe Bernd Zimanowski meint. Eine Bohrung in eine Magmakammer ähnele einem "Stich in einen äußerst zähen Kuchenteig".
Ein kleines Bohrloch hat keinen großen Einfluss

Eine solch schwerfällige Masse könne durch eine kleine Bohrung nicht in Wallung geraten, meint auch Christopher Kilburn vom University College London, ein leitender Wissenschaftler des Projekts. Um einen Ausbruch auszulösen, müsste "eine Kettenreaktion in einer großen Magmakammer in Gang kommen", die Gasblasen im Magma wachsen ließe und so den Druck im Untergrund stark erhöht. Ein "kleines Bohrloch" habe jedoch keinen solch großen Einfluss. Magma sei "viel zu zäh, um durch das Bohrloch zu fließen", so Kilburn.
Ähnliche Projekte scheiterten

In Island jedoch ist vergangenes Jahr genau das geschehen. Ende Juni 2009 musste das Iceland Deep Drilling Project (IDDP) gestoppt werden, mit dem Erdwärmeenergie erschlossen werden sollte. Bei 2104 Meter war überraschend Magma ins Bohrloch gequollen. Mit einer kleinen Explosion hatte das heiße Vulkangemisch Bohrflüssigkeit verdampfen lassen. 2005 erschraken Forscher eines Bohrprojektes auf Hawaii, als eine Substanz mit der Konsistenz von dickem Sirup in ihr Bohrloch quoll. Auch hier mussten die Arbeiten eingestellt werden. Ansonsten blieben die Zwischenfälle aber folgenlos.
Vulkan wird unruhiger

Explodieren könne das Magma ohnehin nur, wenn der Vulkan "sowieso vor dem Ausbruch" stünde, meint Kilburn. Für eine bevorstehende Eruption gebe es bei den Phlegräischen Feldern zwar keine Hinweise. Seit 1968 sei der Vulkan allerdings etwas unruhig geworden. Der Hafen der Stadt Pozzuoli habe sich seither um drei Meter gehoben; Straßen werfen Wellen. Der Vulkan bewegt die Landschaft seit Menschengedenken. Davon zeugen drei berühmte Marmorsäulen aus der Römerzeit auf dem Marktplatz von Pozzuoli. Die Bauwerke stehen auf dem Trockenen und tragen dennoch Spuren von Muscheln.
Wie ein atmender Riese

Nicht der Meeresspiegel schwankte hier so stark, sondern das Land. Wie ein unter der Erde atmender Riese heben und senken die Phlegräischen Felder das Gestein. Mehrfach überschwemmte das Meer daher den Marktplatz von Pozzuoli. Dreimal in den vergangenen 2000 Jahren reichte das Wasser an die Muschellöcher heran, im fünften, im neunten und im 14. Jahrhundert. Doch obwohl sich die Erde ständig bewegte, gab es Ausbrüche nur etwa alle 500 Jahre. Zuletzt spuckten die Phlegräischen Felder im Jahr 1538 etwas Lava und Asche; 24 Menschen sollen damals gestorben sein.
Stadt musste evakuiert werden

Bodenhebungen seien kein verlässliches Warnsignal für Vulkanausbrüche, resümiert De Natale. Vermutlich sei es nicht immer Magma, das den Untergrund hebe. Ebenso komme erhitztes Grundwasser in Frage. Als jedoch Anfang der achtziger Jahre der Boden immer heftiger bebte und Gebäude bröckelten, bekamen es die Behörden mit der Angst: Tausende Bewohner mussten die Altstadt von Pozzuoli verlassen - aus Furcht vor einer Eruption. Doch der Vulkan blieb friedlich.
Was geht im Untergrund vor?

Seither ist der Boden wieder abgesunken. Doch vor sechs Jahren hat er sich erneut zu heben begonnen, sagt De Natale. Viele Einwohner fragen sich nun: Was geht im Untergrund vor? Die Bohrungen sollen das Geheimnis der Brennenden Felder lüften.

Quelle: Spiegel online
http://nachrichten.t-online.de/phlegraeische-felder-in-neapel-forscher-wollen-vulkan-anbohren/id_41581222/index (Archiv-Version vom 12.05.2010)