@25h.nox Vielleicht hilft es ja, wenn man den Weg des Sauerstoffs in der Biosphäre einmal nachvollzieht. Er wird in der Lichtreaktion der Photosynthese freigesetzt, indem Wasser gespalten wird. Die Protonen des Wasserstoffs gelangen in den Stoffwechsel und werden in den Mitochondrien wieder mit Sauerstoff (der über die Atmung dorthin gelangt ist) zu Wasser verbunden. Diese verzögerte Knallgasreaktion wird zur Synthese des Energiestoffes ATP verwendet, das dann im Zellstoffwechsel als Energiereserve zur Verfügung steht.
Im Zentrum steht hier das Biosolvens Wasser, das überall hinreichend oft vorhanden ist. Anaerobier leben zwar auch im Wasser bzw. mit Wasser, verfügen aber nicht über Mitochondrien als ATP-Quelle, so dass deren Energiehaushalt arg begrenzt ist. Die Stoffwechselprozesse reduzieren sich folglich auf das Notwendige, um die fundamentalen Lebensprozesse am Laufen zu halten.
Für energieintensive Lebensprozesse, wie z.B. die Synthese von Kollagen, das die Gerüstsubstanz des Zellskeletts darstellt (und damit die Voraussetzung für komplexere Zelltypen, die sich zu Mehrzellern organisieren können), fehlt schlicht der "Treibstoff", der die nötigen Katalysen ermöglicht.
Eine Alternative zu Sauerstoff, die ähnlich effizient zur ATP-Synthese (oder eines äquivalenten Energieträgers) geeignet ist, müsste aus einer ähnlich häufig vorhandenen Quelle stammen, wie es Wasser bei uns ist. Schauen wir uns im Periodensystem der Elemente um: Sauerstoff bezieht seine Reaktivität aus zwei Umständen:
a) die hohe Elektronegativität von 3,5 ;
b) die geringe Zahl von freien Bindungsstellen in der Atomhülle, die zugleich eine hohe Affinität sowohl zu Atombindungen wie auch Ionenbindungen ermöglicht, wobei zwei potenzielle Bindungsstellen zum einen Doppelbindungen ermöglicht wie auch Verzweigungen.
Die Elektronegativität von 3,5 wird nur erreicht bzw. übertroffen von Fluor (4,0). In die Nähe gelangen Stickstoff (3,0) und Chlor (3,0). Schwefel (2,5) und Kohlenstoff (2,5) sind dagegen bereits weit abgeschlagen.
Die Zahl von zwei Bindungsstellen besitzt von diesen Elementen nur noch Schwefel, weil es - wie auch Sauerstoff - in der 6. Hauptgruppe der Chalkogene steht.
Fluor und Chlor besitzen eine noch größere Affinität zu Bindungen, weil sie nur eine freie Bindungsstelle aufweisen. Besonders gern verbinden sich diese Elemente mit Alkalimetallen, die ihrerseits ein einziges Außenelektron aufweisen. In der Tat ist die Hauptmasse des Chlors in Natriumchlorid (Kochsalz) gebunden und liegt im Ozean in gelöster Form vor.
Fluor ist viel seltener, liegt aber ebenfalls überwiegend in Salzform gebunden vor und steht für organische Synthesen nicht zur Verfügung (es ist wegen seiner äußerst hohen Reaktivität sogar ein sehr starkes Gift!).
Stickstoff ist bereits in die Biochemie involviert, so dass dieses Element bereits vergeben ist. Als Atmosphärengas zeichnet es sich wegen seiner Reaktionsträgheit aus und stellt damit ein wichtiges Puffergas dar.
Auf Kohlenstoff als universell verwendetes Bio-Element muss ich, denke ich, ebenfalls nicht besonders eingehen.
Damit verbleibt noch der Schwefel. Schwefel tritt entweder elementar auf (vulkanische Regionen) und damit als Feststoff, was die Zugänglichkeit für biochemische Prozesse erschwert, oder aber in gebundener Form als Schwefelwasserstoff, Schwefel(di- oder tri-)oxid, Schweflige Säure oder Schwefelsäure.
Mit Ausnahme von Schwefelwasserstoff sind alle Schwefelverbindungen sauerstoffhaltig, so dass zu erwarten ist, dass über kurz oder lang der Sauerstoffanteil verfügbar wird, sobald Spaltungsreaktionen nach Art der Photosynthese ablaufen. Es ist ein Merkmal der Evolution, dass über Optimierungsprozesse genau das herausgefiltert wird, was am optimalsten gangbar ist. In diesem Falle wäre es die Erschließung der Ressource Sauerstoff.
Denkbar ist zwar eine zeitweise parallele Evolution von Schwefelverwertern und Sauerstoffverwertern, aber nachdem die Vorteile des Sauerstoffs erschlossen worden sind, setzen sich die Sauerstoffverwerter als die dominante Variante durch, während die Schwefelverwerter in kleine Nischen abgedrängt werden.
Nichts anderes ist im Verlauf der Erdgeschichte bei uns geschehen: Schwefelverwerter gibt es noch, aber das Rennen haben die Sauerstoffverwerter gemacht, weil das Entwicklungspotenzial infolge der größeren Energieressourcen um ein Vielfaches größer war als auf Schwefelbasis.
Die Alternative Schwefelwasserstoff als sauerstofffreies Agens ist grundsätzlich zweite Wahl, wenn zugleich Wasser zur Verfügung steht. Man müsste also einen Planeten konstruieren, der ohne Wasser, aber dafür mit Schwefelwasserstoff entsteht. Sieht man sich im Universum um, findet man in zirkumstellaren Scheiben immer auch Wasser.
Das kann auch nicht anders sein, denn Sauerstoff ist im Vergleich zu Schwefel ungleich häufiger vorhanden, und da Wasserstoff als häufigstes Element im Kosmos zunächst mit den Elementen reagiert, die oft genug da sind, entsteht bevorzugt Wasser und in viel geringerem Maß Schwefelwasserstoff, so dass nicht davon auszugehen ist, dass es solche wasserfreien Planeten gibt, auf denen sich Ozeane aus Schwefelwasserstoff ansammeln.
Aus diesem Grund ist es äußerst unwahrscheinlich (man soll ja nie "nie" sagen!), dass bei fremden Lebensformen Schwefelwasserstoff als Biosolvens das Rennen macht. Da Wasser somit generell auf belebten Planeten präsent sein dürfte, liegt es nahe, dass Photosyntheseprozesse immer Sauerstoff freisetzen, der dann nach hinreichender Aufkonzentrierung in der Atmosphäre als Atemgas genutzt wird, um Energie bereitzustellen.