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Karl May - Winnetou 1
13.12.2024 um 14:101893 erschien die Winnetou-Trilogie von Karl May, der deutsche Kolonialismus steckte noch in seinen Kinderschuhen und so war es ein Leichtes, nicht nur das genozidale Verhalten der anglo-irischen Weißen in den USA anzuprangern, sondern auch einen deutschen Übermenschen (heute heißt es wohl: Superhelden) mit dem Vornamen Karl zum Protagonisten eines Abenteuerromans zu erheben.
Karl hängt seinen Job als Hauslehrer an den Nagel und zieht als Landvermesser für eine Eisenbahnfirma in das Land der Apachen, welche die Eisenbahn ablehnen. Die Eisenbahntruppe ist wild und Sam Hawkens, ein drolliger alter Mann, wird zu Karls Lehrer, wie sich im Westen das Zusammenleben gestaltet. Karl ist wohl einer, den man heute in gewissen Kreisen "Ehrenmann" nennen würde: er gebietet Respekt und wer diesen nicht zollt, der bekommt mit der Faust eine auf die Schläfe, sodass er KO geht. Old Shatterhand (Alte Schmetterhand) daher sein Kampfname (Spitzname). Auch für sich selbst beansprucht er Treue, Loyalität und Vertragstreue. Und dies ermöglicht es ihm auch, Kontakt zu Apachen-Häuptlingen aufzunehmen, deren Ehrenkodex sehr ähnlich ist.
Den Kontakt zu den Apachen eröffnet ein anderer Deutscher, der bei den Apachen als Lehrer lebt (sie selber sind halt noch nicht so entwickelt, wie May immer wieder schreibt). Dessen angenommener Name ist Klekih-petra und bereut seine Zeit in Deutschland als Freigeist und Revolutionär. Als ehemaliger Propagandist hält er sich für schuldig am Tod der Revolutionäre von 1848, die aufgrund seiner Reden und Schriften in den Kampf gezogen sind.
Ich war ein Dieb, denn ich habe viel, ach so viel gestohlen! Und das waren kostbare Güter! Und ich war ein Mörder. Wie viele, viele Seelen habe ich gemordet! Ich war Lehrer an einer höheren Schule; wo, das zu sagen, ist nicht nötig. Mein größter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt zu haben, bis auf das Tüpfel nachweisen zu können, daß der Glaube an Gott ein Unsinn ist. Ich war ein guter Redner und riß meine Hörer hin. Das Unkraut, welches ich mit vollen Händen ausstreute, ging fröhlich auf, kein Körnchen ging verloren. Da war ich der Massendieb, der Massenräuber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen tötete. Dann kam die Zeit der Revolution. Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein König, keine Obrigkeit heilig. Ich trat öffentlich als Führer der Unzufriedenen auf; sie tranken mir die Worte förmlich von den Lippen, das berauschende Gift, welches ich freilich für heilsame Arznei hielt; sie stürmten in Scharen zusammen und griffen zu den Waffen. Wie viele, viele fielen im Kampf! Ich war ihr Mörder, und nicht etwa der Mörder dieser allein. Andere starben später hinter Kerkermauern. Auf mich wurde natürlich mit allem Fleiß gefahndet; ich entkam.Nun lebt Klekih-petra tiefreligiös bei den Apachen.
Karl selbst ist nicht nur der Mann mit der Schmetterfaust, sondern ein Wunderwuzzi sondergleichen.
Der Kerl hat eine Kraft wie ein Büffel, Muskeln wie ein Mustang, Flechsen und Sehnen wie ein Hirsch, ein Auge wie ein Falke, Gehör wie eine Maus, und so ein fünf oder sechs Pfund Gehirn im Kopf, wenn man nach seiner Stirn geht. Er schießt wie ein Alter, reitet wie der Geist der Savanne und geht, trotzdem er noch keinen gesehen hat, auf den Büffel und auf den Grizzly los, als ob er es mit Meerschweinchen zu tun hätte.Also: Er ist intelligent, stark, flink, ein guter Schütze, mit besten Sinnen ausgestattet. Im Genpool hat er den Jackpot gewonnen.
Wie kaltblütig Karl handeln kann, ist in einem Duell zwischen ihm und dem Häuptling der Kiowa nachzulesen: Der Superschütze zerschießt beide Knie seines Kontrahenten. Wenn es jedoch um einen Weißen geht, so erbittet er den Gnadentod anstelle des Martertods für den Mörder von Klekih-petra.
In verschiedenen Abenteuerepisoden kommen sich Winnetou und Old Shatterhand näher, sie verbindet der ähnliche Ehrenkodex, auch wenn sie sich zeitweise als Gegner gegenüberstehen, und schließlich werden sie Blutsbrüder. Während einer schweren Verletzung, die ihm Winnetou im Kampf zufügt, als er dessen Vater niedergeschlagen hat, wird er in einem Pueblo von der Schwester Winnetous, Nscho-tschi, gepflegt und nähert sich den Apachen wieder an, da sie dessen Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wie auch Tapferkeit erkennen.
Nscho-tschi möchte in einer weißen Stadt leben, um die Gebräuche der weißen Frauen anzunehmen, um Karl heiraten zu können. Doch auf dem Weg in die Stadt werden sie und der Vater von Goldräubern ermordet. May findet wohl keinen Weg, die beiden zusammenführen zu können. Er lässt Karl einmal äußern, dass er keine Nicht-Christin zur Frau haben könne.
Aber es sind die Frauen, welche das stockkonservative Menschenbild Mays durchbrechen und auch seine Bewunderung für die indigene Kultur zum Wanken bringt. Winnetou beklagt die Kaltherzigkeit der weißen Frauen, die an Männervergnügen wie Pferderennen teilnehmen und als Sklaventreiberinnen ihre Sklaven auspeitschen. Entgegengehalten wird, dass die Frauen der Apachen - wie bei allen Indigenen Nordamerikas - nicht am gemeinsamen Mahl teilnehmen, jedoch zu härtesten Arbeiten herangezogen werden, während die Männer sich ausschließlich der Jagd und dem Kampf widmeten.
Am Ende trennen sich die Wege Old Shatterhands und Winnetous. Letzterer jagt den Mörder seines Vaters und seiner Schwester, ersterer zieht mit dem von den Kiowas befreiten Sam Hawkens von dannen.
Interessant ist übrigens die Passage, in der geschrieben wird, was nicht in Abenteuerromanen vorkommt.
Ich trug noch meinen vollständigen Anzug, von welchem man mir kein Stück genommen hatte. Was das heißt, drei Wochen in einem solchen Anzug im Wundfieber zu liegen, das kann man sich wohl denken. Es gibt Verhältnisse, die man zwar durchmachen und erleben kann, niemals aber in einem Buche miterzählen darf. Der Leser eines solchen Buches beneidet wohl einen solchen weitgereisten, vielerfahrenen Mann, würde sich aber, wenn er die mit Schweigen übergangenen Nebendinge erführe, sehr hüten, in seine Fußstapfen zu treten. Wie oft bekomme ich Briefe von begeisterten Lesern meiner Werke, in denen sie mich benachrichtigen, daß sie ähnliche Reisen unternehmen wollen. Sie fragen mich nach den Kosten, nach der Ausrüstung, weniger aber auch nach den Kenntnissen, welche dazu gehören, und nach den Sprachen, die man vorher zu lernen hat. Diese abenteuerlichen Herren kuriere ich mit untrüglicher Sicherheit durch meine aufrichtigen Antworten, in denen ich den Vorhang von jenen verschwiegenen Dingen ziehe.