Narrenschiffer
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Hermann Hesse - Unterm Rad
29.09.2024 um 14:02In diesem frühen Roman Hesses aus dem Jahr 1903 verarbeitet er seine eigene Schulzeit im evangelischen Seminar der Klosterschule Maulbronn in Schwaben. Im Mittelpunkt steht das Scheitern eines jungen Mannes namens Hans Giebenrath.
Giebenrath ist ein sehr ehrgeiziger Schüler aus einem kleinen schwäbischen Ort und wird beim schwäbischen Landesexamen Zweiter, was ihm einen Platz in der Klosterschule Maulbronn einbringt. Diesen Erfolg hat er sich hart erarbeitet, täglich lernt er bis Mitternacht und auch in den Ferien strebert er Latein, Griechisch und Mathematik. Nur selten geht er seinem einzigen Hobby, dem Angeln, nach. Die Kosten sind eine schwächliche Statur und ständige Kopfschmerzen.
In Maulbronn freundet er sich mit einem exzentrischen und von Dichtung begeisterten Mitschüler namens Hermann Heilner an (wohl ein Alter Ego Hesses, der wie Heilner nach sieben Monaten Maulbronn verlassen hat, um dem Traum eines Schriftstellerlebens nachzugehen). Heilner ist bei den Lehrern nicht gut angeschrieben und dies färbt auch auf Giebenrath ab, dessen Leistungen immer schwächer werden.
Nach einem Jahr verlässt Giebenrath Maulbronn (er wird mehr oder weniger rausgeschmissen) und beginnt in seinem Heimatort eine Schlosserlehre. Auf dem Heimweg von einem Sonntagsbesäufnis mit Arbeitskollegen in einem Nachbarort ertrinkt Giebenrath im Suff in einem Bach. Ob er den Freitod gewählt hat oder ob es ein Unfall war, bleibt offen.
Hesse zeigt einerseits das Scheitern eines besessenen Strebers, der nur dadurch ins Leben zurückfindet, dass er seine ursprünglichen Pläne nicht umsetzen kann, andererseits prangert er mit Giebenrath eine intellektuelle Arroganz gegenüber Handwerkern und Arbeitenden an, die Giebenrath am Ende verliert, indem er den Umgang mit seinen Arbeitskollegen und einem jungen Mädchen sehr schätzt. Dieser kritische Blick auf eine intellektuelle Arroganz ist in späteren Werken von Hesse nicht immer gegeben. Eine Synthese zwischen intellektuellem Streben und erfülltem Leben findet Hesse bei Giebenrath jedoch nicht. Heilner hingegen schafft den Schritt in die bürgerliche Welt.
Beklemmend fast ist die Schilderung, wie viele der Seminaristen im Laufe der vier Jahre Schulzeit in Maulbronn sterben.
Erfahrungsgemäß pflegen sich aus jeder Seminaristenpromotion einer oder mehrere Knaben im Laufe der vier Klosterjahre zu verlieren. Zuweilen stirbt einer weg und wird mit Gesang beerdigt oder mit Freundesgeleite in seine Heimat überführt. Zuweilen macht sich einer gewaltsam los oder wird besonderer Sünden wegen entfernt. Gelegentlich, doch selten und nur in der älteren Klasse, kommt es etwa auch einmal vor, daß irgendein ratloser Junge aus seinen Jugendnöten einen kurzen, dunkeln Ausweg durch einen Schuß oder durch den Sprung in ein Wasser findet.