Simanowski-Digital Art

Roberto Simanowski ist deutscher Literaturwissenschafter und spezialisierte sich auf digitale Literatur und digitale Kunst. Er gilt als einer der weltweit anerkannten Experten und war an verschiedensten Universitäten tätig, derzeit arbeitet er an der Freien Universität Berlin.

Dieses umfangreiche Werk wurde 2011 bei der University of Minnesota Press veröffentlicht und umspannt digitale Kunst von den 1980er Jahren bis etwa 2010, wobei Simanowski einen hermeneutischen Ansatz mittels der Methode des Close Reading, also des Lesens nahe am Text bzw. Werk anwendet, was zum Teil zu überaus interessanten Schlussfolgerungen führt. Einige der analysierten Werke habe ich in den letzten Tagen in meinem Blog vorgestellt.

Simanowski positioniert sich eindeutig für eine kritische Auseinandersetzung und Reflexion mit Literatur und Kunst und gegen eine Event-Orientierung, gegen eine reflexionslose Nachemfindung bzw. Immersion (Eintauchen) in ein Kunstwerk, an einer Stelle nennt er das Publikum bei interaktiven Events "interaktive Versuchskaninchen (interactive guinea pigs)".

Faszinierend sind frühe Versuche, Textgeneratoren zu entwickeln. Eine der frühesten Versuche ist der von Theo Lutz mit einem Zuse Z22 auf Basis des Wortcorups von Kafkas Das Schloß (siehe meinen Blogeintrag). 1992 hat der Informatiker Scott Turner mit dem Minstrel-System eine auf Algorithmen basierende Textmaschine entwickelt (englischsprachige Beschreibung auf Grand Text Auto). Deren Sätze sind zwar noch einfach gehalten, Gefühle können kaum zum Ausdruck gebracht werden, aber die Storys sind schräg, so der Text über eine rachsüchtige Prinzessin, The Vengeful Princess:
Once upon a time there was a Lady of the Court named Jennifer. Jennifer loved a knight named Grunfeld. Grunfeld loved Jennifer.

Jennifer wanted revenge on a lady of the court named Darlene because she had the berries which she picked in the woods and Jennifer wanted to have the berries. Jennifer wanted to scare Darlene. Jennifer wanted a dragon to move towards Darlene so that Darlene believed it would eat her. Jennifer wanted to appear to be a dragon so that a dragon would move towards Darlene. Jennifer drank a magic potion. Jennifer transformed into a dragon. A dragon moved towards Darlene. A dragon was near Darlene.

Grunfeld wanted to impress the king.

Grunfeld wanted to move towards the woods so that he could fight a dragon. Grunfeld moved towards the woods. Grunfeld was near the woods. Grunfeld fought a dragon. The dragon died. The dragon was Jennifer. Jennifer wanted to live. Jennifer tried to drink a magic potion but failed. Grunfeld was filled with grief.

Jennifer was buried in the woods. Grunfeld became a hermit.
Mit diesen Entwicklungen sind Fragestellungen eröffnet, die sich heutzutage mit immer mächtigeren KI-Tools dringlicher denn je ergeben: Können Texte von Maschinen Bedeutung tragen? Wenn ja, welche? Kann eine Intention unterstellt werden? Wenn ja, wessen? Des Programmierers/Entwicklers oder der Maschine? Wer hat das Urheberrecht auf diese Texte?

Interessant auch der Abschnitt über die Abbildung des Internet-Traffic. Mittels Überwachungsprogramme werden Tiefenstrukturen an den Tag gefördert, auch wenn sie auf den ersten Blick bedeutungslos erscheinen. In Realität wird jedoch dieses Mapping von Informationen, wie es genannt wird, auch benutzt. Kunstprojekte abstrahieren diesen Prozess zu einer "non-cognitive visualisation", was eine enge Zusammenarbeit von Softwareentwicklern und Künstlern benötigt. Dass bei manchen dieser Projekte Spionagesoftware eingesetzt wird, ist beim Betrachten dieser Installationen nicht bewusst gemacht.

Ausblick gibt Simanowski auch auf die Entwicklungen des Internet. Dass frühe Computerkunst sehr sprachlastig war, sei für ihn keine Umkehr des Visualisierungstrends moderner und postmoderner Kunst wie Lebensweise. Dies sei der noch unausgereiften Technik geschuldet und je mächtiger diese wird, desto mehr werden Bilder und Videos zur Kommunikation eingesetzt werden. Er sieht dies bereits in den frühen Twitter-Entwicklungen. Meines Erachtens gibt ihm der Trend bis heute recht.

Auch der Frage, ob das Internet Räume zur Demokratisierung bzw. eines demokratischen Diskurses eröffnen könne, steht Simanowski skeptisch gegenüber. Er sieht dadurch, dass eher Exklusion als Inklusion die Diskussionen präge, durchaus eine Bedrohung für die Demokratie. Die aktuelle Bubble-Diskussion scheint ihm im Rückblick ebenfalls recht zu geben.