Herzog-Westernheld

2012 hat der Filmemacher Rudolph Herzog dieses Buch mit Episoden aus dem Irrsinn des Atomzeitalters veröffentlicht. Die Darstellungsmethode erinnert an den Filmemacher Paul Jacobs, der 1979 die Atombombenversuche in Nevada einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Nicht alle Informationen sind neu, aber der leicht süffisante Schreibstil Herzogs macht dieses Buch sehr lesens- und nachdenkenswert. Die Titelepisode bezieht sich auf den Film Der Eroberer über Dschingis Khan, der mit John Wayne und Susan Hayward in einer von Atombombentests verseuchten Wüste gedreht wurde. Ob deren Krebstod und der von 90 anderen am Set mit diesen Dreharbeiten in Verbindung gebracht werden kann, lässt sich nicht mehr schlüssig ermitteln.

Spannend zu lesen ist, wie der Österreicher Gernot Zippe und der Deutsche Manfred von Ardenne in sowjetischer Edelgefangenschaft in Sochumi bis 1956 die Gaszentrifuge entwickelten, mit der das für die Atombombenherstellung notwendige Uran-235 isoliert werden kann, die bis heute ein kostengünstiger Zugang zur Gewinnung angereicherten Urans darstellt. Beide erhielten hohe Auszeichnungen in der Sowjetunion. Zippe ging 1957 nach Österreich und entwickelte danach in den USA, den Niederlanden und in Deutschland seine Zentrifuge weiter, die es bis in den Iran und nach Pakistan schaffte. Ardenne ging nach Dresden und war angesehener Physiker in der DDR.

Von den apokalyptischen Entwicklungen sticht die Kobaltbombe ins Auge, welche Radiokativität in einem so hohen Ausmaß speichern kann, dass der Fallout in der Lage ist, sämtliches Leben zu vernichten. Bei ausreichender Sprengkraft eine Bedrohung für sämtliches Leben auf der Erde. Herzog geht davon aus, dass sie nie gebaut wurde. Das Bedenkliche: Das Wissen existiert.

Skurril auch Edward Tellers Bestreben, nukleare Bomben für Bauvorhaben zu nutzen. Ein zweiter Panamakanal, ein zweiter Kanal in Ägypten oder eine Autobahn in Kalifornien war rasch vom Tisch, ein Hafen in Alaska bedurfte des Widerstands der ansäßigen Inuit. Letztlich wurden weder von den USA noch von der Sowjetunion Atom- oder Wasserstoffbomben für Bauvorhaben (zum Beispiel Flussumdrehungen) eingesetzt.

Ausführlich werden Beispiele präsentiert, wie auf die Bevölkerung, die im Einzugsgebiet von Atombombentests lebt, keinerlei Rücksicht genommen worden ist. Sei es seitens der USA, der Sowjetunion in Kasachstan oder Großbritanniens in Australien. Auch die eigenen Soldaten sind als Versuchskaninchen verwendet worden, ohne ihnen Bescheid zu geben oder gar einen Opt-Out anzubiegen. Britische Soldaten in Australien waren mit leichten T-Shirts im engen Umkreis von Bombentests zugegen.

Das Spektrum an Unfällen bzw. an Missachtung von möglichen Spätschäden ist groß. Unfälle wurden vertuscht (Beispiele hauptsächlich von den USA), verstrahltes Material wurde einfach der Natur überlassen, ohne es zu sichern (in der Sowjetunion bei Semipalatinsk oder am Ladogasee, im australischen Outback durch die Briten). In Kinshasa zerfällt ein Versuchsreaktor, in Brasilien wurde ein medizinisches Gerät mit radioaktivem Caesium in einer verfallenden Klinik vergessen, mehrere Mitglieder einer Schrotthändlerfamilie sind an den Strahlen verstorben.

In einem Rückblick werden auch Menschenversuche mit Radioaktivität an Schwerkranken vorgestellt. Die Beispiele sind alle aus den USA, wo die Archive nun offen sind. Was in anderen Atomstaaten abgelaufen ist, wissen wir nicht.