Aus einem an kuriosen Ereignissen reichen Leben 3
28.07.2021 um 09:25Und es war nur eine Treppe
Dieses Erlebnis werde ich ohne lange Umschweife und Einleitung schildern. In der Nähe meiner damaligen Wohnung gab es eine kleine Brücke, die über einen Bach führte. An einer Seite führte eine Treppe hinunter zum Bach, ansonsten gab es dort unten nicht viel. Keinen Weg oder Pfad, nur etwas Graffiti und Müll unter der Brücke, wie an solchen Orten leider üblich.
Ich weiß nicht wie alt die Brücke oder Treppe waren, auch nicht wozu diese Treppe dort errichtet wurde. Ich vermute zur Instandhaltung.
Nun ich beachtete beides nicht sonderlich und bin häufig über diese Brücke gelaufen. Allerdings kam mir zu Ohren, dass an dieser Treppe etwas Düsteres sei. Es gab diese Geschichte, ich weiß wirklich nicht mehr, wo ich sie das erste mal hörte, dass junge, unverheiratete Männer diese Treppe in der Nacht meiden sollten. Immer mit dem unheilschwangeren Ton, dass sonst etwas Furchtbares geschehe, aber nie wurde gesagt was das sein solle. Als ich mich schließlich mit einer älteren Dame unterhielt, der mein Interesse am Seltsamen bekannt war, kam erneut diese Treppe zur Sprache. Sie meinte das es diese Geschichte bereits zu ihrer Jugend gab und das sie auf einem Todesfall beruhe, der sich dort ereignet habe. Genaueres wusste aber auch sie nicht mehr.
Da war mein Interesse geweckt und die Treppe erschien mir, je öfter ich sie sah, einen morbiden Charme zu entwickeln. Im Laufe mehrerer Wochen konnte ich einige, zum Teil unterschiedliche Geschichten über diesen Todesfall in Erfahrung bringen. Mal hieß es die Frau hätte dort Selbstmord begangen, mal es sei ein unglücklicher Unfall gewesen, mal stürzte die Frau von der Brücke, mal von der Treppe. Einer meiner Gesprächspartner deutete gar an, die Frau habe ein Kind erwartet. Doch allen Geschichten war gemein, das besagte Frau dort am Tag vor ihrer Hochzeit verstarb.
Nun, so sagten Einige, spuke der Geist dieser Frau dort herum, werde aber nur von jungen Männern gesehen, die zu nächtlicher Zeit die Treppe hinabsteigen. Dann würde sie den Armen nicht nur das Fürchten lehren, sondern sie zur Brücke locken wollen.
Da ich selbst damals noch halbwegs in die Kategorie „jung und ledig“ gehörte, trotz erster grauer Haare, konnte ich zumindest das überprüfen. Ich rüstete mich also entsprechend, ausreichend Literatur, Taschenlampe, Thermoskanne und reichlich Tabak, um es mir dann auf dieser Treppe gemütlich zu machen.
Ich weiß nicht welchen Eindruck ich bei unbedarften Passanten hinterlassen habe, als ich da stundenlang mit kleiner Lampe lesend und rauchend auf einer Treppe ins Nirgendwo saß. Und das mehrere Nächte hintereinander, denn zu meinem Leidwesen stellte sich keinerlei übernatürliches Geschehen ein. Ich stellte bei mir Selbst nur eine gewisse Unruhe oder auch Unbehangen fest, die meist nach Mitternacht begann und bei Sonnenaufgang endete, schrieb das aber meiner übersteigerten Erwartungshaltung zu.
In der sechsten Nacht änderte sich das. Ich hörte schon kurz nach Sonnenuntergang immer wieder Geräusche, Schritte, ein Rascheln, Schaben, das aus der Richtung des Baches kam. Ich ging dem mehrfach nach, konnte aber keine Ursache finden. Schließlich vernahm ich zu fortgeschrittener Stunde eine Stimme, erst ein zaghaftes Lachen, dann einzelne Silben einer weiblichen Stimme. Sobald ich mit Taschenlampe bewaffnet die Richtung aus der die Stimme kam erkundete, hörte es auf. Auch hier fand sich keine Ursache. Dies ging so über mehrere Stunden und das allein wäre eine Erzählung schon wert gewesen. Ich wurde im Verlauf der Nacht immer angespannter, aber nicht ängstlich. Das Phänomen war verwirrend aber erschien mir nicht bedrohlich. Schließlich sah ich ein Glimmen, schwaches Leuchten unter der Brücke, so schwach, das ich die Taschenlampe löschte um mir sicher zu sein, dass dort etwas war. Eine Art weißer Rauch oder feiner Nebel stieg unter der Brücke auf, von dem ein sanftes, bläuliches Licht ausging. Er bildete für Augenblicke eine entfernt menschenähnliche Gestalt, in der ich eine mir winkende Frau zu erkennen glaubte. Vielleicht erkennen wollte. Als ob ein Wind aufgekommen wäre, fiel die Gestalt auseinander, der Nebel wallte zurück unter die Brücke und das Leuchten verschwand. Zufrieden raffte ich meine Habseligkeiten und ging nach Hause.