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Der NSA-Komplex
26.05.2018 um 22:58Die beiden SPIEGEL-Journalisten Marcel Rosenbach und Holger Stark haben 2014 ein Buch über die NSA-Aufdeckungen von Edward Snowden, an denen der SPIEGEL als eine der wesentlichen Publikationsorgane beteiligt war, veröffentlicht.
Zunächst wird der Lebensweg des libertären Schulabbrechers Edward Snowden nachgezeichnet (libertär auch in dem Sinne, dass er den Sozialstaat grundsätzlich ablehnt), wie er als hochbegabter Computer-Nerd es zunächst in die CIA und nach Genf, dann mit Dell als Vertragspartner der NSA nach Japan und schließlich mit dieser Referenz bei Booz Allen Hamilton in Hawaii (wieder als Vertragspartner der NSA) in Hawaii arbeitet. Beim letzten Arbeitgeber hat Snowden schließlich die Sicherheitsfreigaben, um als Root-User praktisch zu Dokumenten aller Geheimhaltungsstufen Zugang zu haben. Er beginnt seine Kopie-Orgie.
Schlüsselerlebnis für Snowden waren offensichtlich Dokumente über die versuchte Erpressung eines Schweizer Bankiers durch die NSA, was er moralisch abgelehnt hat. Danach forstet er die gestohlenen Dokumente durch und erkennt die Ausmaße des Internet-Überwachungsprogramms dieses Geheimdienstes.
Der Rest ist bekannt und nicht nur hier nachlesbar. In diesem Buch werden die vielfältigen Überwachungsprogramme präsentiert, und die beiden Autoren geben an, auch Zugang zu den Kopien der NSA-Dokumente gehabt zu haben.
Trotz der hier massiert präsentierten Maßnahmen der NSA, um das Internet als Informationsquelle zu nutzen, und der Zusammenarbeit der NSA mit dem britischen GCHQ (Government Communications Headquarters), wird der Blick auf die weltpolitische Lage erweitert: Russland und China arbeiten ebenso an der Nutzung des Internet als Schauplatz nicht nur der Informationsbeschaffung, sondern auch des Cyber-Angriffs.
Und der deutsche BND ist nicht nur Partner der NSA, sondern hat seine eigenen Informationsbeschaffungsquellen. NSA und GCHQ betreiben zum Beispiel ein Anzapfprogramm von Seekabeln im britischen Bude, der BND hat eine in Spanien und war (Stand 2012) technisch den USA und den Briten voraus: sie konnten im selben Zeitraum ein größeres Datenvolumen akquirieren.
Auch ist die moralische Empörung der Autoren über die Machenschaften der NSA durchaus nachvollziehbar, nur hält sie sich bei mir ab dem Punkt in Grenzen, als sie - und das rechne ich ihnen hoch an - die Rolle Deutschlands im globalen Spiel benennen. Siemens lieferte wesentliche Bauteile für die iranische Urananreicherungsanlage in Natanz, die Ziel von Stuxnet war. Deutsche und schwedische Firmen lieferten Technologie zur Überwachung des Internets an den Iran und an Bahrain. Dass Deutschland dann nicht nur politischer und militärischer Partner, sondern auch Ziel geheimdienstlicher Ermittlungen ist, erscheint mir schlüssig.
Schlussfolgerungen? Die waren 2014 schon ähnlich wie heute: durch parlamentarische und juristische Kontrolle lassen sich nur einzelne Aspekte eingrenzen, durch internationale Intervention letztlich keine. Somit bleibt den beiden Autoren eine fast lächerlich anmutende Konsequenz: der einzelne sollte sich darum kümmern, die Daten zu sichern, und US-Server meiden, der Open-Source Browser Firefox sei auch den NSA-Mitarbeitern empfohlen. Fazit: durch Snowden weiß man etwas detailreicher, was man eh weiß. Und technologisch sind die Snowden-Leaks vermutlich Schnee von gestern. Schon damals waren https, ssl und das TOR-Netzwerk geknackt.
Was möglich war, war für mich bereits 2006 offensichtlich, als bei Demonstrationen in Ungarn die Mobiltelefonate von rechtsradikalen Organisatoren live von der Polizei abgehört wurden (war in den ungarischen Medien).
Und für mich eine neue, aber umso interessantere Info im Buch ist das MICT-Programm: auf Postämtern werden die Adressdaten von Briefen gescannt und gespeichert. Mir ist in den Nullerjahren in Budapest aufgefallen, dass Briefumschläge auf Postämtern gescannt werden (mit Rotlicht), und ich habe immer zu Kollegen gescherzt, dass dies keine logistische Tätigkeit ist, sondern der Geheimdienst die Adressen abgreift. Jetzt bin ich noch mehr davon überzeugt, dass mein Scherz die Realität spiegelte.
Insgesamt ein sehr lesbares Buch, um sich über die Snowden-Leaks zu informieren, im Anhang gibt es eine Chronik der Ereignisse und ein sehr brauchbares Glossar der Fachbegriffe.
Verlagsinfo:
https://www.randomhouse.de/Buch/Der-NSA-Komplex/Marcel-Rosenbach/DVA-Sachbuch/e460131.rhd (Archiv-Version vom 25.11.2018)
Interessante Rezension mit vielen österreichischen Zusatz-Infos: