Artenvielfalt - Produkt der Schöpfung oder Evolution?
23.10.2007 um 14:47
Copyright: Eugen-Maria Schulak
Veröffentlicht in der Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft
für organismisch-systemische Forschung und Theorie (in Druck)
Am Tempel des Apoll in Delphi war in der Antike deutlich und für alle sichtbar ein kurzer und markanter Spruch zu lesen: "Gnothi Seautón" - "Erkenne dich selbst". Selbsterkenntnis, als tägliche Übung, sollte der Anfang sein, die Basis für jedes sinnvolle Denken über Gott und die Welt.
Mit Kant - und später mit den Bemühungen der Konstruktivisten - wurde dann deutlich, dass Philosophie letztlich nichts anderes als Selbsterkenntnis sein kann. Kants Verdienst war es zu zeigen, dass das, was erkannt wird, von dem, der es erkennt, zwangsläufig abhängt, und zwar insofern, als der Erkennende das Erkannte notwendig konstruiert. Das bedeutet, dass die Wirklichkeit nicht so erkannt werden kann, wie sie an sich ist, sondern nur in jener Gestalt, in der sie für uns als solche erscheint. Alles ist nur innerhalb eines Bewusstseins und für dieses da.
Erkennbar wird die Welt, so Kant, ausschließlich als unsere Vorstellung. Welcher Art Ordnung sie tatsächlich entspricht, bleibt unentscheidbar. Faktum ist, dass wir selbst der Welt notwendig Ordnung beibringen müssen, um sie überhaupt erkennen zu können, und dass es bloß unsere Ordnung ist, wenn etwas geordnet erscheint. Letztlich waren wir es, die die Welt konstruiert haben, und wir haben sie genau so entworfen, dass wir sie auch erkennen konnten. Ja, wir konnten sie gar nicht anders konstruieren, da wir sie nur so entwerfen können, wie unser Bewusstsein gebaut ist. Die Welt zu erkennen und sie zu konstruieren ist demnach ein und derselbe Vorgang. So gesehen, meint Kant, ist unser Verstand ein definitiv kreatives Instrument: Er "schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor" (Anm.1).
Wenn Erkenntnis nun aber tatsächlich stets Selbsterkenntnis ist, bekommt das delphische "Gnothi Seautón" rückwirkend eine ungeahnte Tragweite: Es wird zur Schlüsselkompetenz innerhalb der Philosophie. Doch nicht nur das, was außen ist, liegt gleichsam in uns selbst, sondern auch, was von Haus aus innen wohnt und allem Äußerlichen Farbe gibt. Und genau dieses Psychische wird es wohl gewesen sein, was jene Griechen, die den denkwürdigen Spruch in Delphi einmeißeln ließen, im Sinn hatten. Selbsterkenntnis wird so zu einem Persönlichkeit bildenden und Persönlichkeit schaffenden Element.
Diesem Innenleben, diesem Selbst, diesem "angeborenen und unveränderlichen Charakter", wie später Schopenhauer schreibt, ist stets die größte Aufmerksamkeit zu widmen, ist er es doch, der unser Handeln "im Ganzen und Wesentlichen" (Anm.2) bestimmt. Selbsterkenntnis, Einsicht in das eigene Wollen, hat somit oberste Priorität. Denn nur wenn die eigene Individualität in ihren Vorlieben und Talenten, aber auch in ihren Defiziten transparent wird, besteht die Möglichkeit, das Leben gezielt gestalten zu können. Nur wenn man dasselbe bewusst will, was man vorher blind wollte, so Schopenhauer, wird man auch die richtigen Entscheidungen treffen: "Ein Mensch muss wissen, was er will, und wissen, was er kann: Erst so wird er Charakter zeigen, und erst dann kann er etwas Rechtes vollbringen" (Anm.3).
Freiheit wird damit zum Wissen um die stärksten Handlungsmotive, ihr Sprungbrett ist die Selbsterkenntnis. Der Mensch ist nur frei, wenn er zuerst einmal sich selbst erforscht hat. Weiß er einmal, was er wirklich will und was er auch zu leisten im Stande ist, so kann er, wenn er weiterkommen möchte, bei vollem Bewusstsein verwirklichen, was seinem Charakter und seinen Talenten adäquat ist. Werde, der du bist.
Der menschliche Wille aber, so Schopenhauer, wird allezeit nur durch sein stärkstes Motiv bestimmt. Er ist immer nur die Folge dieser einen Ursache, der er mit Notwendigkeit nachzukommen hat: "Der Mensch tut allezeit nur, was er will, und tut es doch notwendig. Das liegt aber daran, dass er schon ist, was er will: Denn aus dem, was er ist, folgt notwendig alles, was er jedesmal tut." (Anm.4) Freilich, schreibt Schopenhauer, "ich kann tun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, alles was ich habe, den Armen geben und dadurch selbst einer werden - wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als dass ich es könnte. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, und zwar in dem Maße, dass ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können; dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also tun müssen" (Anm.5).
Erkenne dich selbst. Werde, der du bist. Und danach: Beginne zu philosophieren! Das, was du dann denkst, wird zweifellos wahrhaftig sein. Doch was sagt das schon aus?