@fantasmagorica Hier ein Beispiel für beobachtbare Evolution
Nicht nur Mönchsgrasmücken reagieren schnell auf sich ändernde Umweltbedingungen. Wer ein Aquarium hat, kann auch bei Guppys zusehen, wie Evolution stattfindet.
Evolutionsbiologen denken in sehr langen Zeiträumen. Darwin ging von Jahrtausenden oder gar Jahrmillionen aus, die es braucht, bis sich eine neue Art bildet. Das macht diese Wissenschaft zu einem eher theoretischen Fach. Doch der Eindruck täuscht. In einigen Fällen zeigt sich die Evolution in Zeitraffer - sogar im heimischen Wohnzimmer. Dazu braucht man einige Aquarien und eine bestimmte Sorte Guppys, außerdem sollte man die Versuche des kanadischen Biologen John Endler kennen. Ihm fiel auf, dass die farbenfroh gefleckten Guppys im Freiland, beispielsweise in den Bächen Trinidads, an bestimmten Bachläufen plötzlich recht blass waren.
In seinem Labor setzte Endler daher die bunten Guppys unterschiedlichen Umweltbedingungen aus: Eine Gruppe bekam als Bodenschicht feinen Sand, die andere groben Kies. Die einen blieben unter sich, andere bekamen Fressfeinde hinzu. In einem Aquarium stellte zum Beispiel ein Räuber den erwachsenen Männchen nach, im anderen jagte ein Fressfeind den Guppy-Nachwuchs. Die lebendgebärenden Guppys vermehren sich extrem schnell, man nennt sie daher auch Millionenfische. Nach nur 15 Generationen hatten sich die von einem Räuber bedrohten Männchen farblich ihrem Untergrund angepasst, um möglichst wenig aufzufallen. Ihr Körper zeigte entweder kieselartige Flecken oder winzige Tupfen, die dem Sand ähnelten. Wurde hingegen nur den Jungtieren nachgestellt, blieben die Männchen weiterhin bunt - schließlich suchen sich die Weibchen den schönsten Fisch als potenziellen Vater aus.
Endler beobachtete noch einen weiteren Unterschied zwischen den Guppys in den verschiedenen Aquarien: Dort, wo die erwachsenen Männchen besonders bedroht waren, kamen viele, kleinere Guppys zur Welt, die zudem schneller geschlechtsreif wurden. Auf diese Weise ist die Fortpflanzung gesichert, auch wenn viele Männchen gefressen werden sollten. Im Becken mit dem Räuber, der den Jungtieren nachstellt, wehrten sich die bedrohten Guppys mit sehr viel kräftigeren Nachkommen. Zu Ehren des Evolutionsbiologen heißen diese Guppys, die heute in vielen privaten Aquarien schwimmen, schlicht Endler.
Auch bei Vögeln lässt sich die Evolution beobachten, wenn auch nicht so schnell. Am Beispiel des Vogelzugs hat Peter Berthold, ehemaliger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, gezeigt, welchen Einfluss eine durch den Klimawandel veränderte Umwelt auf die Vögel hat, die normalerweise im Winter in Richtung Süden ziehen: Statt wie früher in Spanien oder Nordafrika zu überwintern, beziehen die Vögel nun ihr Winterquartier im Norden auf den britischen Inseln. Der Wandel vollzog sich in nur 25 Jahren. Als die ersten Mönchsgrasmücken in England auftauchten, mochte es der Vogelkundler kaum glauben. Schließlich hatte unter anderen Berthold nachgewiesen, dass der Vogelzug genetisch bestimmt ist. Und gegen seine Gene kommt man nicht so einfach an, ein Vogel kann nicht einfach seine Flugrichtung ändern.
Berthold hat die Flugabweichler daher genauer untersucht. Durch eine Veränderung im Erbgut gab es schon immer die eine oder andere Mönchgrasmücke, die den Weg in den Norden wählte. Doch starben die Vögel meistens in der Kälte. Inzwischen können sie dort aber im milden Winter überleben - erwiesenermaßen auch mit Hilfe der vielen gut gefüllten Vogelhäuschen in den britischen Vorgärten. Weil England näher ist als Spanien, sparen die Mönchsgrasmücken viel Zeit und Kraft, wenn sie nicht mehr die angestammte Route in Richtung Süden fliegen. Sie kehren auch schneller in ihre Brutgebiete zurück und können sich somit die besten Brutplätze sichern. Zudem erhöht ein vorgezogener Brutbeginn die Chancen auf eine Ersatz- oder Zweitbrute.
Häufig paaren sich die Mönchsgrasmücken, die aus Großbritannien zurückkehren, untereinander, weil ihre südlich orientierten Artgenossen noch nicht wieder in heimischen Gefilden angekommen sind. Damit setzen sich schließlich die für die Nordroute verantwortlichen Gene durch, und es werden immer mehr Mönchsgrasmücken nach England fliegen und dort überwintern.
An diesen beiden Beispielen zeigt sich, wie schnell die Evolution sein kann. Und es gibt noch viele weitere Beispiele, da sind sich die Biologen sicher. Wenn man darauf achtet, wird man - ausgelöst durch klimatische Veränderungen - eine evolutionäre Schnelllebigkeit entdecken.
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1958695_0_4258_-bei-guppys-und-moenchsgrasmuecken-evolution-in-zeitraffer.html