OK, dann komm ich mal zum zweiten Teil meiner "Vorgeschichte".
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Ungefähr zur selben Zeit wie Tiktaalik, lebte vor 385 Millionen Jahren ein anderer eutetrapodomorpher Fisch namens Livoniana multidentata. Er war vielleicht ebenfalls ein Elpistostegalier, zumindest ein naher Verwandter. Leider sind nur Stücke des Kiefers belegt. Die aber immerhin zeigen, daß die Zähne dieses Fisches schon deutlich fortgeschrittener sind und denen der beiden ältesten bekannten Nichtmehr-Fische Sehr ähneln. Zusammen mit dem nur fünf Millionen Jahren jüngeren Tiktaalik und den nur nochmals fünf Millionen Jahren jüngeren Nichtmehr-Fischenscheint das Zeitfenster des Überganges von den Fischen zu der Ursprungsgruppe der Landwirbeltiere sich auf 385 bis 375 Millionen Jahre eingrenzen zu lassen.
Elgineperton sancheni ca. 375 Millionen Jahre
Von dieser Spezies sind nur Kieferknochen sowie Knochen von Becken, Schulter und Extremitäten erhalten. Da die Füße bzw. Flossenenden fehlen, ist nicht sicher, ob er noch als Nochnicht-Fisch anzusprechen ist oder als Nichtmehr-Fisch. Der Kiefer zeigt jedenfalls eine Art Mix zwischen den Elpistostegaliern und den Tetrapoden an. Hüfte und Extremitäten erinnern an Ichthyostega, während die Schulter mehr bei Hynerpeton und Tulerpeton steht. Einige erkennbare Schädelmerkmale weisen allerdings auf eine separate Entwicklung hin, die nicht zu den späteren Tetrapoden hinläuft.
ElginerpetonObruchevichthys gracilis ca. 375 Millionen Jahre
Von dieser Spezies gibt es nur einen Kieferfund. Der zeigt aber eine große Nähe zu Elginerpeton, sodaß dieser frühe Seitenzweig der Tetrapodenentwicklung eine erste recht erfolgreiche Radiation gewesen sein dürfte.
Jakubsonia livnensis 370 Millionen Jahre
Von dieser Art haben wir leider nur Teile vom Schädeldach, Unterkiefer, Schulter und Oberschenkel. Nähere Informationen zur Stellung innerhalb der Tetrapodenevolution konnte ich keine finden. Nur, daß Jakubsonia in Sedimenten von Flußdeltas gefunden wurde. Überhaupt waren sämtliche direkten Fisch-Vorfahren sowie die allermeisten frühen Nichtmehr-Fische Süßwassertiere. Sie finden sich auf dem Gebiet des ehemaligen Kontinent Euamerika, bestehend aus Nordamerika (mit Grönland) und Europa. Dieser Kontinent befand sich am Äquator, nördlich vom westlichen Gondwana (Südamerika und Afrika). Sibirien war ein Kontinent nördlich von Euamerika, und weit im Osten (oder Westen) von Euamerika lag China als Insel(gruppe) am Nordrand des östlichen Gondwana (Australien). Nahezu alle Funde stammen aus den USA, Grönland und dem Baltikum, wie man an der Eskimobezeichnung Tiktaalik sehen kann oder den Anlehnungen an baltische Regionen wie Livland, Kurland...
Ventastega curonica 365 Millionen Jahre
Von Ventastega ist ein nahezu vollständiger Schädel erhalten, Schulter- und Beckenknochen, Rippen, Flossenstrahlen vom oberen Schwanzkamm, eine Speiche und weitere Fragmente. Urspünglich für einen Fisch gehalten, einen Sarcopterygier natürlich, erkannte man bald die Zwischenstellung zwischen Fisch und Landwirbeltier. Der Schädel stellt ihn in große Nähe zu Ichthyostega, doch der Unterkiefer ist noch etwas primitiver, weniger weit entwickelt. Die Knochen fanden sich in marinem Sediment, jedoch in der Nähe einer alten Flußmündung, sodaß auch er ein Süßwasserlebendes Wesen war. Ventastega wurde schätzungsweise einen Meter lang.
VentastegaAcanthostega gunnari 365 Millionen Jahre
Von Acanthostega liegen mehrere Fossilfunde vor. Bei einigen ist man sich nicht sicher, ob es sich dabei um andere Schwesterarten der Gattung Acanthostega handelt, der dürftige Fossilbefund läßt keine Entscheidung zu. Von Acanthostega aber sind auch ganze Extremitäten belegt, sodaß wir erstmals einen Nichtmehr-Fisch mit echten Händen/Füßen vor uns haben. Für die Vorderhände sind acht Finger bezeugt. Allerdings läßt sich die Hand nicht gegen die Elle nach vorne umknicken, sodaß Ventastega nicht auf seinen Beinen stehen konnte. Das zeigt aber gut, daß die komplette Umbildung der Fischflosse hin zu Oberarm/Oberschenkel, Unterarm/Unterschenkel und sogar Hand/Fuß im Wasserstattgefunden hat, nicht erst während des Versuches, sich auf dem Land fortzubewegen. Im Wasser jedenfalls war eine Fortbewegung am Boden mit den Füßen durchaus möglich, da es wegen des Auftriebs mehr um ein Abstoßen als ein Auftreten ging. Acanthostega atmete denn auch noch mit Kiemen. Seine Länge betrug etwa 60cm.
AcanthostegaTulerpeton curtum 365 Millionen Jahre
Von Tulerpetum besitzen wir einen nahezu kompletten linken Schultergürtel sowie rechte Extremitäten mit je sechs Fingern sowie ein kleines Schädelfragment. Tulerpeton konnte jedenfalls besser schwimmen als laufen, war aber bereits Lungenatmer. Das Fossil wurde in marinem Sediment 200 Kilometer vom nächsten damaligen Festland gefunden. Dies kann nicht durch sekundäre Postmortem-Einspülung ins Meer erklärt werden. Tulerpeton war zumindest auch ein marin lebendes Tier. Sein Kopf ist erstmals beweglich, d.h. er konnte seinen Kopf heben oder senken, was kein Fisch je konnte. Im Wasser konnte dies zum Luftholen nützlich sein, aber auch zum Fangen von Insekten oberhalb der Wasserfläche, jedenfalls im Süßwasser. Auch diese Neuerung kann durchaus im Wasser erfolgt sein; die Umstellung auf Lungenatmung allerdings macht bei reinem Wasserleben keinen Sinn.
Einige Knochenmerkmale weisen Ähnlichkeiten mit späteren den Amnioten nahestehenden sauromorphen Tetrapoden des Karbon, weswegen man Tulerpeton in den Neunzigern bereits als echten Tetrapoden ansah, der irgendwo nach der Aufspaltung in die zu den Lissamphibien und die zu den Amnioten führende Linie lebte und der letzteren nahestand. Das hätte freilich bedeutet, daß die Fünffingrigkeit bei Amphibien wie Amnioten unabhängig voneinander entstanden sein muß. Spätere phylogenetische Studien aber stellten ihn außerhalb in eine Linie fernab jeder karbonzeitlichen landlebenden Tiergruppe.
TulerpetonIchthyostega stensioei 365...360 Millionen Jahre
Ichthyostega Stensjöi konnte erstmals seine Vorderbeine an Land zur richtiggehenden Fortbewegung einsetzen - allerdings in der Weise wie eine Robbe halb hüpfend - und dürfte damit das erste Wesen dieser Gruppe sein, das teilweise auf dem Festland lebte. Er besaß eine komplette Lunge, aber auch noch innere Kiemen, war etwa 1,5m lang. Insgesamt sind drei Arten von Ichthyostega beschrieben, eine vierte ist unsicher. Ichthyostega wurde ebenfalls anfangs für einen Sarcopterygier gehalten, dann aber richtig erkannt. Es ist die erste jemals beschriebene Form eines Wesens zwischen Fisch und Landwirbeltier.
IchthyostegaHynerpeton bassetti 360 Millionen Jahre
Von Hynerpeton sind vor Allem Knochen von Schädel, Kiefer und Schulter erhalten. Anatomisch ähnelte er Ichthyostega sehr, aber sein Schulterbereich zeigte, daß die Verbindung zur Wirbelsäule besser und seine Muskeln kräftiger ausgeprägt waren. Hynerpeton konnte sich an Land weit besser fortbewegen, wahrscheinlich schon gehend. Laut der englischsprachigen Wikipedia hatte Hynerpeton acht Finger, was mich verwundert, denn in keiner Quelle, auch der Wiki nicht, werden gefundene Handknochen erwähnt.
HynerpetonHier noch ein paar undatierte:
Ymeria denticulataVon Ymeria sind ein vollständiger Kopf und der Abdruck des Schultergürtels erhalten. Er scheint ein enger Verwandter von Ichthostega gewesen zu sein, jedoch kleiner.
Sinostega paniVon ihm wurde nur ein halber Unterkiefer gefunden, der an Acanthostega erinnert. Dies ist der erste von nur zwei Funden silurzeitlicher Nichtmehr-Fische außerhalb Euamerikas; wie der Name sagt, stammt er aus China, das damals dicht amÄquator lag.
Metaxygnathus denticulusDies ist der zweite außerhalb Euamerikas gefundene Nichtmehr-Fisch. Er stammt aus Australien, damals dem Ostende Gondwanas südlich der chinesischen Inseln, ebenfalls dicht am Äquator. Es liegt nur ein Kieferknochen vor.
Densignathus roweiAuch hier haben wir nur einen Kieferknochen.
Desweiteren gibt es noch von zwei weiteren Fundstellen EInzelknochen von Vertretern dieser Gruppe. Doch können diese Knochen weder einer bekannten Art zugeordnet werden, noch lassen siesich als separate Arten erkennen und beschreiben
Sinostega und Metaxygnathus zeigen, daß die devonischen Nochnicht-Tetrapoden schon weit über ihre Heimat hinausgekommen sein müssen. Da sämtliche Funde sich auf äquatoriale bzw. äquatornahe Regionen beschränken, halte ich den Landweg über Gondwana eher für ausgeschlossen, zumal diese Tiere alles andere als "gut zu Fuß" waren. Denkbar ist, daßsie im äquatorialen Flachmeerbereich (auf der Karte hellblau) übers Wasser nach CHina und Australien gelangten, also zumindest einige Arten wie Tulerpeton marin lebten.
Das Famenne von 375 bis 358 Millionen Jahren ist der letzte Abschnitt des oberen Devons (das Frasne von 385 bis 375 Millionen Jahren war der erste).Sagte ich kürzlich, es gebe keine Fossillücke? Doch, es gibt sie, und das gleich zwei Mal. Die erste ist bekannt als Romerlücke, englisch Romer Gap. Alfred Romer hatte diese entdeckt und beschrieben. Zwischen 360 und 340 Millionen Jahren gibt es eine Fossillücke. Mittlerweile wurde herausgefunden, daß in dieser Zeit der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre abnahm, streckenweise bis auf 13% runterging (heute rund 20%). Ab 340 Millionen Jahre finden sich wieder Fossilien von Tetrapoden, die ihre Atmung mittlerweile deutlich effizienter umgebaut hatten.
Immerhin gibt es mit dem 348 Millionen Jahre alten Pederpes finneyar einen karbonzeitlichen Tetrapoden aus dieser Lücke. Er ist damit der älteste karbonzeitliche Tetrapode (falls man Tetrapode sagen darf; er kann ja vor oder neben dem letzten gemeinsamen Vorfahr aller Lissamphibien und Amnioten gelebt haben). Das Besondere an ihm ist, daß er das erste Wesen ist, bei dem die Finger/Zehen nicht zur Seite weg stehen, sondern beim Laufen halbwegs nach vorne zeigen. Damit ist der sichere Landgang abgeschlossen- Mit Tiktaalik und Pederpes werden die Nichtmehr-Fische, die Nochnicht-Landtiere eingerahmt
PederpesWas ich noch schreiben wollte, auch zu der anderen Fossiillücke "der besonderen Art", kommt später, dieser Beitrag ist lang genug geworden.