Grüß dich Edengefühle,
Edengefühle schrieb:Und wieso "willst" Du dazwischen unterscheiden?
Weil Realität etwas mit unumstößlichen Tatsachen zu tun hat und meines Erachtens beißen sich Tatsachen mit dem Glauben.
Edengefühle schrieb: Und Dein Anker wird Dich im Fahrwasser der Vergleiche halten. Viele Heiden tun das. Ich behaupte, dass das unseren Fortschritt hemmt.
Naja, vielleicht entsteht der Eindruck, dass ich mich (bzw. die heidnische Götterwelt) vielmehr mit dem Christentum vergleiche, als ich es eigentlich tue, aber das möchte ich an dieser Stelle gar nicht vertiefen.
Eher liegt mir daran, klarzustellen, dass es durchaus sein kann, dass viele Heiden nicht nach Fortschritt streben. Eigentlich weißt du es - ich habe Fortschritt seit jeher verurteilt. Auch wenn du mir jetzt wieder mit der Geschichte "Was ist der Unterschied zwischen einer Axt und einer Bombe" kommen kannst. Wenn ich mir deine folgenden Zeilen anschaue, dann kann bestärkt mich das in meiner Meinung.
Edengefühle schrieb:Die Zeiten haben sich geändert, heute sind wir im Vorteil.
Ich widerspreche dir da grundsätzlich erstmal nicht, aber: warum?
Edengefühle schrieb:Die kargen Überlieferungen sind ein loser Rahmen. Die stärkste Gemeinschaften, auch jene mit dem ersten Tempel auf Island, versuchen gar nicht erst, den alten Glauben zu glauben. Asatru ist eine neue Religion. Unser Schicksal erlaubt uns nicht mehr, die Perspektive eines Bauern aus dem 8. Jahrhundert einzunehmen, wir sind zum Wissen, zur Reflexion und Skepsis verurteilt. Wie gehen wir damit um?
Tja, da beginnt m.E. der Fehler. Wobei - nein, Fehler klingt zu überheblich. Letztendlich kann jeder Heide glauben, was er will.
Allerdings glaube ich nicht, dass wir zwischen neu und alt dermaßen unterscheiden sollten. Woran glauben wir als Heiden? An einen Zeitgeist? Daran, dass der Regen von Thor kommt und alle Wetterforschungen Mist sind? Glauben wir, dass unser Himmel tatsächlich Ymirs Schädeldecke ist?
Zumindest in meinem Verständnis ist es unmöglich, eine Religion wie das Heidentum zeitlich festzusetzen. Das Christentum (ja, ich bringe erneut den Vergleich) scheitert heute, weil seine Dogmen von dem wachsenden Sehnen nach Freiheit gesprengt werden (herzliche Grüße an die Iren und ihren letzten Volksentscheid!). Das kann dem Heidentum nicht passieren - wir sind frei.
Ich glaube, dass das Heidentum unabdingbar mit unserer Natur verwoben ist und auch wenn sich die Umwelt gewandelt hat, so ist das Einzelne im Detail doch gleich geblieben. Weder Baum noch Vieh hat eine nennenswerte Evolution in den letzten Jahren hinter sich.
Schließlich und endlich sind unsere Götter keine modernen Götter, sondern Namen aus lang vergangenen Zeiten. Wenn uns tatsächlich so wenig an ihrer Vergangenheit liegt, können wir sie genauso gut Asterix und Obelix nennen, warum auch nicht.
Außerdem nehme ich kaum jemandem ab, dass ihn die Vergangenheit, die Zeugnisse der alten Skandinavier kalt lassen. Wäre dem so, warum, Edengefühle, nennst du Odin nicht Wotan? Ich vermute, weil es von Wotan kaum Überlieferungen gibt - wir können ihn nur in dem Moment einschätzen, in dem wir ihn mit Odin gleichsetzen.
Wie auch immer, das ist meine Sicht der Dinge. Aus welchem Grund glaubst du, Asatru wäre eine neue Religion? Warum, glaubst du, unterscheiden wir uns in den wesentlichen (!) Punkten so sehr von einem Bauern aus dem 8. Jahrhundert?
Edengefühle schrieb:Du implizierst irgendwie, so wirkt es auf mich, wir müssten "zurück fliehen". Ich meine dagegen, dass wir mit einem weiterentwickelten Mythos viel tiefer und fester glauben können, als die Monotheisten, ja selbst als unsere Glaubensahnen. Wie sehr kommt es auf die Auslegung der Überlieferungen überhaupt an?
Du weißt ohnehin, dass ich mit der Vergangenheit nicht nur liebäugele, sondern sie sogar heiraten würde
:DWas verstehst du unter einem weiterentwickelten Mythos? Eigentlich sind Mythen ja zeitlos, weil sie sich Bilder bedienen, die nicht vergehen. Oder um Varg Vikernes an dieser Stelle zu zitieren (das hat er m.E. sehr hübsch gesagt):
"Mythen und Märchen werden nie inaktuell. Sie handeln nämlich nicht nur von "damals" und "zu der Zeit". Genauso gut können sie von "jedes mal" und "zu allen Zeiten" berichten."Um einzuschätzen, ob wir tiefer glauben könnten als unsere alten Glaubensbrüder, müsste man wissen, wie tief sie glaubten. Ich gehe nicht davon aus, dass wir es auf irgendeine Weise könnten, dafür sind wir in einer Zeit geboren, die Zweifel zu sehr stärkt. Persönlich glaube ich nicht, dass diese Zweifel in dieser Zeit allzu verbreitet waren; im Gegenteil.
Warum strebst du eigentlich nach einem "weiterentwickelten Mythos", der uns "tiefer und fester" glauben ließe? Was würde er verbessern? Wie würde er entstehen?
Edengefühle schrieb:Was, wenn unser erster Schachzug ein neuer Mythos mit niederschmetternder Klarheit wäre?
Was würden Deine Götter davon halten? Davon, es Dir selbst zu erarbeiten. Und zwar alles.
Ich spreche nicht für meine Götter. Im höchsten Fall würde es sie in Staunen und Hochachtung versetzen, im schlimmsten Fall, könnte ich mir vorstellen, belächeln sie es.
Wie klar kann aber ein neuer Mythos sein? Vor allem, wie mythisch ist er dann noch? Ist es nicht die Aufgabe eines Mythos, nicht nur Platz für Interpretationen zu lassen, sondern diese geradezu zu fördern? Ein Mythos ist kein Gesetzestext. Wäre ein klarer Mythos nicht eher eine Anleitung á la Neue Enzyklopädie der Asatru?
Noch dazu, warum sollte ich mir selbst erarbeiten (klingt für mich übrigens nach "das Rad neu erfinden"), was bereits in Wurzeln und Erde begründet ist? Warum sollte ich die Weisheit von Jahrhunderten, das, was unsere Ahnen erarbeitet haben, in den Wind schlagen, um mich selbst zum Gode zu küren?
Du siehst, so wirklich schlau werde ich nicht aus deiner Vision. Vor allem scheint sie mir zu sehr darauf bezogen, alles neu und passend zu machen, anstatt das Alte zu ehren. In meinem Verständnis des Heidentums spielt aber gerade das eine bedeutende Rolle.
Übrigens versucht der moderne Mensch allerlei neu und passend zu machen. Seltsamerweise gerät dabei mehr und mehr alles aus den Fugen.
Edengefühle schrieb:Du fliehst, statt auf etwas zuzuschreiten. Das raubt einem die stoische Ruhe für philosophische Herausforderungen. Und vor der befindest Du Dich an dieser Stelle, glaube ich.
xD Der Begriff "stoisch" hat für mich schon immer entsetzliche Ähnlichkeit mit dem Begriff "störrisch" gehabt, und wenn ich "stoisch" höre, dann habe ich vor allem einen Esel vor Augen. Die Stoiker mögen viel Anerkennung bekommen haben, aber ein stoisches Reh wird gerissen und ein stoischer Wolf verhungert. Insofern erkenne ich in stoischer Ruhe keinerlei Erstrebenswertes an, tut mir leid.
Edengefühle schrieb:Wie entsteht denn "Glaube"? Wenn Du weißt, dass Du nicht weißt, wie die Germanen zu ihrem fanden, weißt Du ebenfalls nicht, ob sie das anders taten als besagte Oblivionerfinder.
Oh, ich weiß, dass, sollten die Germanen ihren Glauben tatsächlich einfach erfunden haben, sie es mit Sicherheit nicht taten wie Oblivion-Erfinder. Die einen sannen über Götter für ihre konstruierte Welt, Figuren, die sie brauchten um das Spiel zu untermauern. Die Germanen taten es wennschon umgekehrt, sahen Gegebenes und legten es in Götternamen.
Edengefühle schrieb:Momentan nimmst Du die historische Lücke, füllst sie mit mystischer Spekulation und hoffst, dass mehr dahinter steckt. Das ist Hoffnung, kein Glaube. So machen das alle. Soll so unser Weg aussehen? Auf die Gnade der Schattengeschichte hoffen? Unsere Welt sei doch nur halb so entzaubert und trostlos, wie die Materialisten denken?
Ich wage zu behaupten, dass ich die Phase dieser überzeugten Spekulation hinter mir gelassen habe. Allerdings haben wir Überlieferungen zum Götterglaube auf einer Metaebene, die von vielen leider außer Acht gelassen wird, da man sie nicht findet, indem man ein Stichwort bei Google eingibt. Beinahe interessantere Zeugnisse als den Inhalt der Göttersagen bringen uns nämlich jene Zeugnisse, die davon erzählen, wie dieser Glaube im Alltag aussah. Stichwort Skaldik, Runensteine und archäologische Funde. Und nein, ich meine keine Inschriften, die von den Göttern erzählen (gibt es so gut wie keine), keine Skaldengedichte darüber und erst recht keine Schilde, auf denen wir eine Sage überliefert hätten.
Übrigens, wenn du das schon so provokant hinschreibst: Wo beginnt denn Hoffnung, wo endet Glaube?
Wie stellst du dir denn unseren Weg als "gläubige Asatru" vor? Glaubst du, es hat irgendwann schon mal eine Religionsgemeinschaft gegeben, die ihre Überzeugungen nicht auf "Schattengeschichten" begründete?
Edengefühle schrieb:Was ist denn "Fantasie"? Weshalb ist sie Dir zu wenig? Ist sie neben den Geschichtswissenschaften deine einzige Option? Wirklich?
Fantasie ist von allem losgelöst - eine schöne Sache, aber bei Religion, wo es ohnehin um Spekulationen geht, finde ich es als Grundlage nicht unbedingt angebracht. Sie kommt früher oder später sowieso ins Spiel.
Nein, sie ist übrigens nicht meine einzige Option, neben Geschichtswissenschaften. Habe ich auch nie behauptet
;) Da gibt es noch soooo viel mehr, Edengefühle, so viel mehr.