Meditation: Macht ihr das und wenn ja welche?
09.07.2011 um 13:19
Das Ruhe- oder Hingabegebet (Nach Johannes Cassian 410 n. Chr.)
Peter Dyckhoff hat ein interessantes Buch über das Ruhegebet geschrieben. Eine kleine Einführung:
Der Geist ist unruhig in uns und nimmt gerne jede Ablenkung und Zerstreuung an. Im tiefsten Innern jedoch sucht er einen bleibenden Glückszustand, in dem er von all seiner Unrast ausruhen kann.
In der Zeit unmittelbar vor dem Gebet sollten möglichst keine neuen Eindrücke aufgenommen werden. Cassian sagt, dass das Gebet von dem inneren Zustand, in dem wir uns vor dem Beten befanden, mit geprägt wird. Ein stiller Raum unterstützt die innere Ruhe.
Das Gebet sollte im Sitzen und bei geschlossenen Augen ausgeführt werden. Der Betende zwingt sich zu nichts; weder kontrolliert er seine Sitzhaltung, noch seinen Atem.
Was sollte man wissen, bevor man beginnt?
1. Das Ruhegebet ist leicht zu erlernen, einfach und unkompliziert durchzuführen.
2. Es hat nichts mit Leistung zu tun. Es muss auch nichts erreicht oder erledigt werden.
3. Wenngleich diese Gebetsweise auch in der Gruppe ausgeführt werden kann, so bleibt sie doch Angelegenheit des Einzelnen.
4. Das Ruhegebet verlangt keine bestimmten Verhaltensweisen, sondern nur die Hingabe an Gott.
5. Eine tiefere Dimension des Lebens und des Glaubens wird erschlossen, eine Dimension, die trägt, Hoffnung gibt und Bereicherung schenkt.
6. Durch einfach nachvollziehbare Schritte in eine größere Innerlichkeit wird mitten im Alltag ein Weg bereitet, der das Leben nicht nur besser gelingen lässt, sondern auch zu einer umfassenderen Liebe führt, zu Gott, dem Ursprung allen Seins.
7. Auf dem Übungsweg geht es nicht um ein zu bewältigendes Pensum oder darum etwas Neuartiges zu suchen, sondern um die Tiefe der Erfahrung.
Viele Menschen leben zu wenig aus ihrer eigenen Mitte und spüren ihre eigenen Gefühle und Intentionen zu wenig oder gar nicht. Die Folge ist, dass sie sich nicht an wichtigen und wesentlichen Bedürfnissen orientieren, sondern mehr und mehr dem folgen, was andere tun oder gar den Wünschen und Erwartungen anderer.
Das Ruhegebet vermittelt die drei klassischen Wege des mystischen Gebetes:
1. Den Weg der Reinigung
2. Den Weg der Erleuchtung
3. Den Weg der Einigung
Durch Reinigung und Befreiung wird das Herz weit, um sich auf Gott auszurichten, und der Glaube wird vertieft. Der Betende lernt durch das Beispiel Christi das Gebet der Hingabe, das ihn mehr und mehr zum eigentlichen Wesen führt und den Willen Gottes erkennen lässt. Es geht um ein Loslassen des Ich, um ein Geschehenlassen und um ein neues Wahrnehmen dessen, was wirklich ist und bleibt.
Bereitung zum Ruhegebet:
Damit das Ruhegebet zu einem rechten Beten wird und wir es entsprechend einüben können, sollten wir Folgendes beachten:
1.Als erstes müssen wir äusserlich zur Ruhe kommen und dürfen körperlichen Wünschen und Begierden keine Beachtung schenken.
2.Wir müssen frei werden von allem, was unsere Aufmerksamkeit ungut fesselt, und dürfen nicht einmal im Inneren einen Gedanken daran verschwenden.
3.Alles dumme und unnötige Geschwätz sollten wir meiden – vornehmlich das Gerede über andere.
4.Verwirrung, die durch Zorn oder übergroße Traurigkeit entsteht, dürfen wir nicht zulassen.
5.Sowohl alle Sucht und Befriedigung rein egoistischer Bedürfnisse vermeiden.
Um das Ruhegebet durchzuführen, denkt sich der Betende einen Namen Gottes oder Jesu Christi aus, auf den man dann ständig seinen inneren Blick lenkt. Diese Worte soll man keinem anderen Menschen mitteilen, um diesem nicht die Kraft zu nehmen.
Als erstes beginnt man mit dem Kreuzzeichen und spricht: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Man beginnt, indem man die Tore äusserer Wahrnehmung, vornehmlich Mund und Augen, schließt, das bewusste Denken einstellt und dann seine Innerlichkeit durch ein liebendes Aufmerken oder Anrufen des Namens Jesu Christi auf Gott richtet. Das geschieht ohne willentliche Anstrengung und ohne irgendeine Erwartung (dies finde ich das Schwerste, erst mal nichts von Gott zu erwarten).
Das Ruhegebet vermittelt allen, die diese Gebetsweise übten und üben und ständig in Gottes Gegenwart leben möchten, gleich wesentliche Erfahrungen:
- Durch das innerliche Sprechen, das nicht nur in Gedanken geschieht, sondern mehr und mehr mit dem Herzen, nimmt die vielfältige Gedankenaktivität ab.
- Beim Verinnerlichen der Gebetsformel erlebt der Betende, das er allmählich frei wird von übergroßen persönlichen Belastungen und Sorgen.
Um in eine ständige Verbindung mit Gott hinein zu wachsen, vertraut uns Cassian die folgende Gebetsformel an: Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen.
Sowohl diese Gebetsanrufung als auch die anderen enthalten:
- Eine Anrufung Gottes in Situationen seelischer Bedrängnis und Gefahr.
- Die Demut eines gläubigen Bekenntnisses.
- Wachheit in Verantwortung und Ehrfurcht.
- Die Hilfs- und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen.
- Das Vertrauen auf Erlösung,
- Die Zuversicht, zu jeder Zeit beschützt zu werden, denn wer immer wieder seinen Beschützer anruft, darf sicher sein, dass dieser stets gegenwärtig ist.
- Zuneigung und Liebe.
- Das Eingestehen möglicher Gefährdungen und zugleich ein helles Wachsein allem Feindlichen gegenüber.
Falls es sich nicht von selbst einstellt, nimmt der Betende nach ein bis zwei Minuten Stille sein Gebetswort auf, um es ganz sanft und leise innerlich zu wiederholen. Kommen Gedanken, geht der Betende ihnen nicht bewusst nach, sondern kehrt zu seinem Wort zurück und gibt ihm in allem den Vorrang.
Die empfohlene Gebetszeit beträgt ein bis zweimal am Tag 15 – 20 Minuten. Diese Zeit sollte wegen der einsetzenden tiefen Ruhe für Körper, Geist und Seele nicht überzogen werden. Ohne erneut das Gebetswort aufzunehmen sollte das Ruhegebet bei geöffneten Augen mit zwei Minuten Stille beendet werden.
Woran kann man erkennen, dass der geistliche Weg der Hingabe zu einer Wirklichkeit führt, die jenseits des Relativen angesiedelt ist und in der Gottesbegegnung sein Ziel findet?
Der Betende bleibt im Wachbewusstsein, ohne zu Schlafen oder zu Träumen. Folgt er den gegebenen Anweisungen, nimmt seine Gedankenaktivität immer mehr ab, bis es zu Momenten tiefen Schweigens kommt. Hier schwinden, wie die Erfahrungsberichte zeigen, die Relationen von Raum und Zeit. So wird zum Beispiel eine halbe Stunde wie einige Minuten erlebt.
Verlässt der Betende sich – im wahrsten Sinne des Wortes – vertrauend auf den Herrn, indem er sich seiner anziehenden Liebe überlässt, wird er vom heiligen Geist in tiefere Schichten seiner Persönlichkeit, bis hinein in seine Seele geführt. Ist dieser verborgene Raum der Gottesbegegnung von allem befreit, was vor Gott keinen Bestand hat, erfährt der so Betende als erstes eine tiefe wohltunende Ruhe für Körper, Geist und Seele. Gleichzeitig breitet sich himmlischer Friede aus. Ist die Seele ganz mit Gott vereint, lebt der Mensch auch ausserhalb der Kontemplation im Gottesbewusstsein. So sind seine positiven Kräfte, die Tugenden, so gestärkt, dass der Böse es nicht mehr wagt, an ihn heran zu treten.
Empfängt der Mensch das große Geschenk, in der Gegenwart Gottes zu leben, bleibt der Widersacher auf Abstand, da er besiegt wurde!
Aus einem weiteren Buch „365 Tage im Licht der Liebe“, von Peter Dyckhoff:
„Mein Herr und mein Gott, ohne dass ich es verdient habe, schenkst du mir bei meinen Gebetsübungen eine große Gnade. Mein Denken, mein Wollen und all meine Vorstellungen sind zur Ruhe gekommen. Deine Gnade ist so kostbar, so wohltuend, je tiefgreifender sie ist und je weiter sie meine Begrenzungen überschreitet. Niemals habe ich früher glauben und mir vorstellen können, dass diese Ruhe im Bereich der Sinne und des Geistes zum tiefsten Gebet werden kann, das du für mich bereitet hast. Wie dankbar bin ich, wenn keine Gedanken und Erwägungen aufsteigen, die mich in diesem Gebet der tiefen Ruhe daran hindern, in deine Nähe zu kommen. Hingabe von allem, was ich bin und habe, wird mir zum wahren und lebendigen Glauben. Ich sehe den Unterschied ein zwischen einem Glauben, der durch die abwägenden Gründe der menschlichen Vernunft an der Oberfläche bleibt und austauschbar ist, und einem erfahrenen, bleibenden Glauben, den du mir durch Schweigen, Hingabe und Anbetung in das tiefste Innere meiner Seele senkst.“
Der Mensch kann lernen, mit beruhigtem Denkvermögen und in liebender Achtsamkeit bei Gott zu verweilen. Selbst wenn es ihm vorkommt, als tue er nichts und als geschehe nichts Wesentliches, so sollte er in der ruhevollen Wachheit und im liebenden Aufmerken auf Gott bleiben. Sowohl der Körper als auch der denkende Geist müssen sich erst langsam an diese Stille gewöhnen, die ihnen vielleicht bisher in dieser Intensität noch nicht vertraut war. Erst langsam, dann aber wunderbar und erhaben senkt Gott die in ihm beheimatete Ruhe und den Frieden, von seiner Liebe umschlossen, in die Seele des Menschen.
Nähmen wir voreilig die Gedankenaktivität wieder auf, würden wir nicht nur die Zufriedenheit, den Frieden und die Ruhe der Seele stören, sondern sie zudem beunruhigen. Selbst wenn wir nichts tun, so tun wir doch viel, wenn wir der Seele erlauben, diesen Zustand zu genießen und Kraft für den Alltag aus ihm zu gewinnen.
Das Ruhegebet ist allen, die unter Anfechtungen zu leiden haben, ein sicherer Schutz, ein undurchdringlicher Panzer und eine unüberwindliche Mauer. Denjenigen, deren Leben sinnentleert ist, die an den Mitteln des Heils zweifeln oder die Angst vor der Wirklichkeit haben, so wie allen, die unter bedrückender Traurigkeit oder Depressionen leiden, wird ein sicheres Gefühl von Angenommensein geschenkt, wenn sie in der Anrufung Gottes eine der wesentlichsten Grunderfahrungen machen dürfen: Letztlich in ihrer Not nicht allein gelassen zu sein. Jedem wird die Gewissheit vermittelt, das Gott um unsere Schwierigkeiten weiß, stets gegenwärtig ist und uns begleitet.
Durch regelmäßiges Praktizieren des Ruhegebetes wird ein ungutes Zuviel abgebaut:
- Überheblichkeit schwindet
- Erfolgserlebnisse werden richtig eingeordnet
- Ausgelassenheit kennt ihre Grenzen
- Einbildung löst sich auf.
Das Ruhegebet bezeugt, dass der Betende einen glücklichen Zustand ohne Gottes Hilfe nicht bewahren kann. Mit kleinen Gebetsversen fleht er Gott an, nicht nur immer, sondern auch eilig zu helfen. Jedes Mal, wenn schlechte Gedanken sich in uns regen, müssen wir mitten unter sie die Anrufung unseres Herrn Jesus schleudern, und wir werden sehen, wie sie sich augenblicklich wie Rauch in der Luft verflüchtigen. Wenn der Geist wieder allein ist, nehmen wir erneut die Wachsamkeit und die dauernde Anrufung auf, und jedes Mal, wenn sich der gleiche Vorgang in uns wiederholt, handeln wir auf gleiche Weise.
Zum Schluss noch drei Ratschläge zum Durchführen des Ruhegebetes:
1. Unter Zeitdruck sollten sie mit der Einübung in das Ruhegebet nicht beginnen. Auch sollten sie nicht versuchen, schnell und „nebenbei“ etwas für sich zu gewinnen. Bei einer solchen Haltung geht der Wert dieser Gebetslehre und die eigentliche Tiefe verloren. Sie erreichen eher das Gegenteil.
2. Die besten Zeiten zum Üben: Morgens oder abends vor dem Essen.
3. Es wird empfohlen, nicht unmittelbar vor dem Schlafengehen das Ruhegebet zu üben, da sich sonst durch den aktivierenden Charakter Einschlafstörungen einstellen können.
Wir sprechen vom Ruhegebet, wenn der Betende sich selbst und damit alles Wollen, jegliche Vorstellungen, alle Erwartungen, ja, selbst die eigenen Gedanken verlässt und sich vertrauensvoll dem Herrn überlässt!
Im Ruhegebet erfahren wir die Armut des Geistes, wenn wir weder an materiellen Gütern, noch an Anerkennung festhalten. Wir geben alle Stimmungen ab, wie Gereiztheit, Zorn, Trübsinn und Traurigkeit.
Entnommen aus:
Peter Dyckhoff, Ruhegebet, Verlag Don Bosco Medien-GmbH München,
2. Auflage 2009
Peter Dyckhoff, 365 Tage im Licht der Liebe, Herder Verlag,
Freiburg im Breisgau, 2007